Der Trend zum kleinen Hund: Auswirkungen der Körpergröße auf die Gesundheit
veröffentlicht 07/11/2019
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Kleinere Hunderassen werden aus vielen Gründen immer beliebter, diese Popularität hat aber ihren Preis. Jamie Freyer gibt einen Überblick über die Situation und diskutiert einige der wichtigsten Faktoren, mit denen der praktische Tierarzt vertraut sein sollte.
Kernaussagen
Jüngste Daten zeigen, dass die Population der kleinen Hunde in vielen Ländern ansteigt.
Aufgrund dieses Trends versuchen einige Züchter sogar noch kleinere Versionen populärer Rassen hervorzubringen.
Es gibt zahlreiche Wege, um die Körpergröße einer Rasse zu reduzieren, alle Methoden haben aber Nachteile, einschließlich unerwünschter Effekte auf die Gesundheit einer Rasse.
Die bei kleineren Hunden häufig auftretenden Erkrankungen können sich von denen großer Rassen unterscheiden. Tierärzte müssen mit solchen Unterschieden rechnen.
Kleinere Hunde zeigen tendenziell mehr Verhaltensprobleme als größere Hunde. Die Nachfrage nach tierärztlicher Verhaltenstherapie könnte daher in der Zukunft ansteigen.
Tierärzte müssen in der Lage sein, diese Probleme zu erkennen, um ihre Kunden dabei zu unterstützen, die besten Entscheidungen für ihre Tiere zu treffen.
Einleitung
Weltweit nimmt die Population kleiner Hunde zu. Während kleine Hunde in einigen Ländern wie Japan, Brasilien und den Philippinen sich schon immer sehr großer Beliebtheit erfreu-ten, steigt ihre Zahl jetzt auch in Ländern, in denen sich die Präferenzen historisch eher in Richtung großer Hunde neigten 1 2. Nach den statistischen Daten von Banfield Pet Hospital, der größten tierärztlichen Klinikkette in den USA, stieg der Anteil der in den Kliniken dieses Unternehmens vorgestellten kleinen Hunde im Laufe der vergangenen zehn Jahre um 6 %, während die Anzahl sehr großer Hunde (Riesenrassen) und mittelgroßer Hunde im selben Zeitraum um 17 bzw. 8,6 % sank (unveröffentlichte Daten, (Abbildung 1). Der British Kennel Club berichtet 3, dass der durchschnittliche Hund heute etwa 2,5 cm kleiner ist als noch vor 25 Jahren und dass bei Rassen, bei denen es sowohl Standard- als auch Miniaturvarianten gibt, eine zunehmende Diskordanz festzustellen ist, wobei die MiniaturSubtypen immer beliebter werden, während ihre größeren Varianten tendenziell weniger stark nachgefragt werden. Auch Studien aus Australien weisen auf die jüngsten Trends in Richtung kürzerer, kleinerer Rassen mit breiteren Schädeln hin 4. Für diese Verschiebung in Richtung kleinerer Hunde gibt es mehrere Erklärungsversuche. Unter anderem wird postuliert, dass diese Hunde die grundsätzliche Entscheidung für die Anschaffung eines Haustieres erleichtern, da sie tendenziell geringere Haltungskosten verursachen. Hinzu kommt, dass kleinere Hunde schlicht und ergreifend besser geeignet sind für urbane Lebensräume. Es gibt aber noch zahlreiche weitere Gründe für die Beliebtheit kleinerer Hunderassen, zum Beispiel sind sie leichter zu transportieren, sie leben oft länger und nicht zuletzt können sie hervorragende Gefährten und Partner des Menschen sein. Unabhängig von diesen Ursachen müssen die Auswirkungen dieses Trends zum kleineren Hund auf die tierärztliche Versorgung und die Gesundheit unserer Hunde insgesamt berücksichtigt werden.
Wie kann man eine Rasse kleiner machen?
Zusätzlich zur Bevorzugung von bereits existierenden kleinen Rassen gibt es einen Trend, kleine Hunde sogar noch kleiner zu machen. Die Entstehung von „Miniatur“- oder „Toy“- Varianten einer Rasse kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden, jede Methode hat jedoch ihre spezifischen Vor- und Nachteile. So können zum Beispiel kleinere Individuen einer Rasse gezielt miteinander gepaart werden, um so die Körpergröße bestimmter Linien schrittweise zu reduzieren. Diese Form der Zucht auf ein bestimmtes Merkmal, insbesondere, wenn die gezüchteten Tiere einen gewissen Verwandtschaftsgrad aufweisen, wird als „Linienzucht“ bezeichnet. Dieser Ansatz wird von Rassepuristen tendenziell bevorzugt, da die ursprüngliche Genetik der Rasse auf diese Weise am ehesten erhalten bleibt. Jede Form der Linienzucht kann jedoch zu Veränderungen des fundamentalen genetischen Erscheinungsbildes oder der „genetischen Signatur“ einer Rasse und damit zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Divergenz von den anderen Mitgliedern der Rasse führen (Abbildung 2). Diese Methode ist zudem relativ langsam, und es kann mehrere Generationen dauern, bis der gewünschte Effekt erreicht ist. Bei Hunderassen, deren Körpergröße auf diese Weise reduziert wurde, kann es manchmal jedoch sogar zahlreiche Generationen später zu „Rückfällen“ mit ungewollt größeren Nachkommen kommen. Diese Form der genetischen Selektion reduziert darüber hinaus die Diversität der Population und kann so genetische Erkrankungen etablieren und schädliche Auswirkungen auf das Immunsystem der betroffenen Tiere haben.
Eine weitere Methode besteht aus der Einführung anderer, kleinerer Rassen in eine Linie, um so eine schnellere Miniaturisierung zu fördern. Hierbei handelt es sich um die bevorzugte Methode, wenn eine Beschleunigung des Miniaturisierungsprozesses angestrebt wird, da bereits mit einer einzigen Zucht kleinere Hunde hervorgebracht werden können. Bei diesem Verfahren muss jedoch besonderes Augenmerk auf die Genetik der Hunde gelegt werden, die in die zu verändernde Population eingebracht werden sollen, da die Gefahr besteht, neue genetische Erkrankungen von der kleineren Rasse einzuführen. So ist zum Beispiel die Merle-Färbung ein häufiges Merkmal bei Hütehunderassen, und hat sich zu einem relativ populären Farbmuster entwickelt (Abbildung 3). In den vergangenen Jahren wurde dieses Merkmal in einige Rassen hinein gezüchtet, die das verantwortliche Gen zuvor nicht getragen haben, wie zum Beispiel beim American Cocker Spaniel und beim Chihuahua. Gesundheitsprobleme wie Taubheit und Mikrophthalmie können bei Hunden auftreten, die homozygot sind für das Merle-Gen (das dominant vererbt wird), es können aber auch andere genetische Risiken eine Rolle spielen. Hütehunderassen tragen zudem oft eine Mutation im ABCB1-Gen (häufig auch als MDR1 bezeichnet), die einhergeht mit einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Arzneimitteln, wie zum Beispiel Ivermectin. Da diese Hunde sowohl das Merle-Gen als auch MDR1 tragen können, wäre es nicht überraschend, wenn einige der Rassen nach Einführung des Merle-Gens auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen zeigen, ganz im Sinne eines menschengemachten „genetischen Trittbrettfahrens“ („genetic hitchhiking“).
Tiere, die durch Kreuzung zweier reiner Rassen geschaffen werden, bezeichnet man gelegentlich auch als „Designer-Hunde“. Züchter und Halter solcher Hunde könnten irrtümlicherweise davon ausgehen, dass erbliche Erkrankungen kein Thema sind, da es sich beim Ergebnis dieser Züchtung nicht um reinrassige Hunde handelt. Eine jüngste Studie berichtete jedoch, dass etwa 40 % der gemischtrassigen Hunde mindestens einen Risikofaktor für eine genetisch assoziierte Erkrankung trugen 5. Tierärzten sollte daher stets bewusst sein, dass solche Probleme bei diesen Kreuzungen eine real vorhandene Möglichkeit sind, wenn die betreffenden Rassen ähnliche genetische Ursprünge haben. Zusätzlich zu bekannten genetischen Krankheitsmutationen gibt es zahlreiche Erkrankungen, bei denen eine erbliche Komponente vermutet wird, für die eine zugrundeliegende genetische Ursache bislang aber noch nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte. So scheinen zum Beispiel zahlreiche Tumorerkrankungen bei bestimmten Rassen überrepräsentiert, und es ist nicht bekannt, ob ein Kreuzen mit diesen Rassen ein erhöhtes Tumorrisiko auch für deren Nachkommen mit sich bringen würde.
Die Selektion auf das konformationelle Merkmal Chondrodysplasie ist eine dritte Methode, die zur Miniaturisierung einer Rasse eingesetzt werden kann. Mit Hilfe dieses Verfahrens werden eine kleinere Statur und ein von vielen Menschen als liebenswert empfundenes Erscheinungsbild erreicht. Chondrodysplasie ist eine abnorme Entwicklung von Knorpel und Knochen, die zu einer Verkürzung der Gliedmaße eines Hundes führt. Während dieses Merkmal bei einigen Rassen genetisch festgelegt ist, sodass sie es immer tragen (z. B. Dackel, Basset und Corgi), wird es von anderen Rassen lediglich intermittierend getragen oder wurde gezielt eingeführt (Abbildung 4). Viele Hundehalter sind sich der gesundheitlichen Probleme im Zusammenhang mit diesem längeren und niedrigeren Körperbau aber gar nicht bewusst. So stehen zum Beispiel Arthritis, Erkrankungen der Zwischenwirbelscheiben, Hüftgelenksdysplasie und einige andere bei chondrodysplastischen Rassen häufig festzustellende Erkrankungen in engem Zusammenhang mit dem Körperbau. Die Selektion auf dieses Merkmal kann daher zur Einführung einer für eine Rasse vollkommen neuen Gruppe von Gesundheitsproblemen führen.
Welche Probleme können bei kleineren Rassen entstehen?
Neben Problemen wie genetischen Erkrankungen und den oben genannten orthopädischen Problemen im Zusammenhang mit Chondrodysplasie führt der Trend zur Miniaturisierung zu zahlreichen weiteren Komplikationen. Wie immer, wenn etwas in Mode kommt und damit eine höhere Nachfrage generiert, versuchen Menschen diesen Trend zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Leider ergreifen immer wieder unverantwortliche Züchter die Gelegenheit, Modeerscheinungen wie die Miniaturisierung zu bedienen, in der Hoffnung, daraus leicht Kapital schlagen zu können. Dies kann zu Praktiken führen, die letztlich negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Welpen haben. Solche Menschen nutzen unter Umständen unethische Methoden wie das Züchten mit unterentwickelten Tieren, um kleinere Tiere hervorzubringen, oder den Verkauf von Welpen in einem extrem frühen Alter (wobei sie die neuen Besitzer möglicherweise nicht über das tatsächliche Alter der Tiere aufklären) oder sogar das Vorenthalten der geeigneten Nahrung, um das Wachstum der Tiere zu hemmen. Einige Händler importieren sehr junge Toyrassen-Welpen aus anderen Ländern, die dann über tausende von Kilometern eingeflogen werden und sich in einem Alter und einem Zustand befinden, die solche Reisen extrem gefährlich machen.
Eine wichtige Überlegung für Tierärzte bezüglich des Trends zu kleineren Hunden ist die Tatsache, dass viele der bei kleinen Hunden häufig festzustellenden Erkrankungen sich von den Erkrankungen ihrer größeren Artgenossen unterscheiden. Ein besonders aufschlussreicher Unterschied in diesem Zusammenhang ist die Disparität der Zahn- und Maulhöhlengesundheit. So leiden kleine Hunde beispielsweise mit höherer Wahrscheinlichkeit unter retinierten Milchzähnen und Parodontalerkrankung als größere Hunde. Vermutet wird, dass dies auf die kleine Maulhöhle und die eng stehenden Zähne zurückzuführen ist, die Forschung zu diesem Thema ist aber noch nicht abgeschlossen. Zudem haben die kleineren, filigraneren Kiefer dieser Hunde weniger Knochensubstanz, was sie anfälliger für gelockerte Zähne und pathologischen Knochenverlust macht und letztlich auch das Risiko einer Kieferfraktur bei tierärztlichen Eingriffen erhöht.
Die Maulhöhlen- und Zahngesundheit ist aber nicht der einzige Bereich mit auffälligen Disparitäten. So tritt zum Beispiel ein bei größeren Rassen praktisch nicht vorkommender Trachealkollaps bei kleinen Rassen und Toyrassen nicht selten auf, und auch eine der häufigsten Ursachen caniner Herzerkrankungen, die myxomatöse Mitralklappenerkrankung, kommt bei kleinen Rassen sehr viel häufiger vor 6 (Abbildung 5). Auch die Ursachen von Lahmheiten unterscheiden sich sehr deutlich zwischen kleinen und großen Hunderassen. So findet man auf der Liste der Differenzialdiagnosen für Lahmheiten der Hinterhand bei kleinen Hunden vor allem die mediale Patellaluxation und die Legg-Calvé-Perthes-Krankheit, während bei großen Rassen häufiger Kreuzbandrupturen und Hüftgelenksdysplasie zu beobachten sind. Dystokien aufgrund eines Missverhältnisses zwischen Hündin und Föten, und damit die Notwendigkeit von Kaiserschnitten, kommen bei kleinen Hunden ebenfalls häufiger vor. Besonders problematisch ist dies bei winzigen Hunden mit großem Kopf, also bei vielen kleinen brachy- cephalen Rassen.
Ein weiteres Problem in der Kleintiermedizin sind unerwünschte Ereignisse (Nebenwirkungen) bei häufig durchgeführten Behandlungen. In der Tiermedizin wird die Mehrzahl der oralen und injizierbaren Arzneimittel größen- bzw. gewichtsabhängig dosiert. Dies gilt jedoch nicht für Impfstoffe, und bei kleinen Hunden beobachtet man eine höhere Neigung zu Impfreaktionen 7. Toyrassen sind zudem anfälliger für Anästhesie-assoziierte Komplikationen, wie zum Beispiel Hypothermie, und ein akkurates Anästhesie-Monitoring ist bei diesen Hunden möglicherweise schwieriger 8. Sogar die häufigsten Mortalitätsursachen unterscheiden sich zwischen großen und kleinen Hunden. Während zum Beispiel große Hunde mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgrund von Neoplasien, Erkrankungen des Bewegungsapparates und gastrointestinalen Problemen sterben oder euthanasiert werden, zählen bei kleinen Hunderassen urogenitale, degenerative, kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen zu den wahrscheinlicheren Todesursachen 9.
Die bei kleinen Hunden und Toyrassen auftretenden Probleme werden bei den winzigen „Teacup“- oder „Teetassen“-Versionen (besonders winzige Hunde einer Zwerghunderasse, die ausgewachsen sogar in eine Teetasse passen) dieser Hunde noch zusätzlich vergrößert. Die winzigen, fragilen Knochen dieser Hunde in Kombination mit der „Tendenz, versehentlich unter die Füße ihres Halters zu geraten“, sind gute Voraussetzungen für echte Katastrophen. Frakturen können bereits durch einen kurzen Fall oder Sprung entstehen, aber auch durch versehentliches Setzen oder Treten auf den Hund, und sogar lediglich durch grobes Spielen. Diese winzigen „Teetassenhunde“ können darüber hinaus prädisponiert sein für Missbildungen wie persistierende offene Fontanellen und Hydrocephalus. Aufgrund der winzigen Körpergröße können Ereignisse und Zustände, die bei einem größeren Hund möglicherweise keine signifikanten Folgen haben, bei Miniatur- und Toyrassen zu hochgradigen Beeinträchtigungen führen. So leiden winzige Hunde im Falle einer Diarrhoe mit höherer Wahrscheinlichkeit unter einer hochgradigen sekundären Dehydratation als große Hunde. Die tierärztliche Behandlung kann bei diesen Minihunden folglich sehr viel dringender sein als zum Beispiel bei einem Labrador oder einem Deutschen Schäferhund mit einer ähnlichen Erkrankung. Toy- und „Teacup“-Hunde müssen aufgrund ihrer Neigung zu Hypoglycämie unter Umständen mehrfach am Tag gefüttert werden. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die gelegentliche Aufnahme menschlicher Nahrung auch in vermeintlich geringen Mengen durch einen Toyhund ähnlich wie bei Hunden großer Rassen durchaus einem ganzen Cheeseburger entsprechen kann, sodass Adipositas, Nährstoffmängel oder Nährstoffungleichgewichte bei diesen kleinen Hunden eine sehr reale Gefahr darstellen können (Abbildung 6). Der Mehrzahl der Hundebesitzer ist sich der Bedeutung dieser Unterschiede nicht bewusst, sodass eine gezielte Schulung und Information dieser Kunden besonders wichtig ist.
Die unerwünschten Effekte einer reduzierten Körpergröße können sogar innerhalb eines Wurfes deutlich werden. So können die kleineren Welpen eines Wurfes eine verminderte Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der Normothermie und Normoglycämie haben und/oder eine herabgesetzte Saugfähigkeit. Mögliche Folge dieses ineffektiven Saugens ist eine unzureichende Kolostrumaufnahme, die wiederum zahlreiche weitere nachteilige Auswirkungen haben kann. So sichert eine adäquate und bedarfsgerechte Absorption von Kolostrum das Wachstum der Welpen in der frühen Lebensphase und beeinflusst darüber hinaus auch die Regulation der Körpertemperatur und des Blutzuckerspiegels (Abbildung 7). Eine unzureichende Kolostrumaufnahme kann die bei diesen Welpen daher bereits vorhandenen Probleme zusätzlich verstärken. Kolostrum spielt auch eine Schlüsselrolle beim Wachstum des Darms und der Vergrößerung der intestinalen Oberfläche während der frühen neonatalen Periode 10. Eine Verminderung der intestinalen Wachstumsrate kann wiederum die Fähigkeit der Nährstoffabsorption des Welpen beeinträchtigen. Aufgrund der kombinierten Effekte dieser Einflüsse ist das Risiko der neonatalen Mortalität bei diesen Welpen deutlich erhöht, insbesondere in den ersten 48 Lebensstunden. Vermutet wird zudem, dass eine reduzierte Kolostrumaufnahme bei einigen Spezies zu Autoimmunerkrankungen und anderen Dysfunktionen des Immunsystems führen kann, die über das gesamte Leben des betroffenen Individuums zum Tragen kommen 11.
Kleine Hunde und Verhaltensprobleme
Neben der klinischen Gesundheit ist das Verhalten ein zentraler Aspekt der tierärztlichen Versorgung eines jeden Tieres und kann erhebliche Auswirkungen auf die Mensch-TierBindung haben. Verhaltensprobleme gehören zu den häufigsten Gründen für die Abgabe von Hunden in Tierheimen 12. Dokumentiert ist ein umgekehrt proportionales Verhältnis zwischen der Körpergröße eines Hundes und der Anzahl problematischer Verhaltensweisen 13. In einer Studie zur Untersuchung unerwünschten Verhaltens bei Hunden im Zusammenhang mit der Körpergröße und dem Körpergewicht waren die Regressionskoeffizienten für 14 Verhaltenskategorien (Aggression gegen Fremde, Besitzer oder Hunde, Rivalität unter Hunden, Furcht vor Fremden oder Hunden, nicht-soziale Furcht, Berührungsempfindlichkeit, trennungsassoziiertes Verhalten, Anhänglichkeit und Aufmerksamkeit suchendes Verhalten, Trainierbarkeit/Erziehbarkeit, Jagen, Erregbarkeit und Energielevel) negativ bis auf Trainierbarkeit/ Erziehbarkeit und Furcht vor Fremden 13. Von den in der Studie abgedeckten 22 weiteren „verschiedenen“ Verhaltensweisen zeigte die Mehrzahl ebenfalls eine negative Regression mit der Körpergröße. Diese Befunde weisen darauf hin, dass es bei Hunden eine signifikante Korrelation zwischen unerwünschtem Verhalten und geringer Körpergröße gibt.
Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage nach den Ursachen dieses Zusammenhangs zwischen unerwünschtem Verhalten und geringerer Körpergröße. Haben alle diese Verhaltensweisen eine genetische Basis oder werden sie verstärkt durch die Art und Weise, wie wir mit diesen kleinen Hunden umgehen? In diesem Fall ist der Effekt menschlichen Verhaltens auf das Verhalten unserer Haustiere wahrscheinlich recht substanzieller Natur. Möglicherweise tolerieren Tierhalter bestimmte Verhaltensweisen bei kleinen und großen Hunden unterschiedlich. Wenn zum Beispiel ein großer Hund Aggression zeigt oder an Menschen hochspringt, ist das für die meisten Hundehalter eindeutig besorgniserregend, während dasselbe Verhalten bei einem kleinen Hund möglicherweise als unproblematisch eingeschätzt wird. Einige solcher Verhaltensweisen werden in der Tat auch als „niedlich“ betrachtet und somit durch den Halter zusätzlich verstärkt. Von kleinen Hunden verlangt man zudem nicht unbedingt, dass sie auf Kommandos hören, sie werden zum Teil eher getragen, anstatt selbst laufen zu müssen, und von ihren Besitzern nicht selten in übertriebenem Maße beschützt. Alle diese Faktoren können die Sozialisation von Hundewelpen gegenüber anderen Menschen und Hunden beeinträchtigen.
Neben Umweltfaktoren und verschiedenen Aspekten der Erziehung und Haltung können auch genetische Prädispositionen einen Einfluss auf das Verhalten haben. Durch das Züchten auf eine bestimmte Körpergröße kann es unbeabsichtigt zu einer Intensivierung dieser Prädispositionen in Richtung problematischer Verhaltensweisen kommen. Es kann aber auch physiologische Ursachen für unerwünschtes Verhalten bei kleinen Hunden geben. So kann zum Beispiel das „Stubenreinheitstraining“ aufgrund der geringen Kapazität der Harnblase erschwert sein, mit der Folge, dass kleine Hunde häufiger nach draußen geführt werden müssen als ihre größeren Artgenossen. Unabhängig von der Ursache sollte der Korrelation zwischen Körpergröße und Verhalten jedoch in jedem Fall Beachtung geschenkt werden. Die entsprechende Schulung und Information der Besitzer ist in diesem Zusammenhang entscheidend, damit zukünftige oder frisch gebackene Halter kleiner Hunde wissen, was sie zu erwarten haben und wie diesen Problemen entgegengewirkt werden kann, bevor sie auftreten.
Wohin geht die Reise?
Einige Zuchtclubs und Zwingervereinigungen nehmen die Problematik der Miniaturisierung ernst und warnen potenzielle Käufer, dass diese Merkmale nicht erwünscht sind. Der Ethik-Code des Yorkshire Terrier Club of America sagt, dass Mitglieder in Werbeanzeigen Begriffe wie „teacup“ „tiny specialists“, „doll faced“ oder ähnliche Bezeichnungen nicht verwenden sollen. Auf der Website des Chihuahua Club of America findet man ein Statement über die irreführende Verwendung von Begriffen wie „teacup“ und eine entsprechende Erklärung, in der es sinngemäß heißt: „Wir verstehen, dass Chihuahua-Liebhaber sehr kleine Welpen möchten. Diese sind zwar bezaubernd und können bei bester Gesundheit sein, der Käufer sollte aber darauf hingewiesen werden, dass eine besondere Pflege und Fürsorge erforderlich sein kann im Hinblick auf ihre allgemeine Gesundheit und ihr Wohlbefinden“. Der Standard des American Kennel Club (AKC) für den Jack Russell Terrier sagt, dass jeder Hinweis auf eine Achondroplasie ein erheblicher Mangel ist, und rät davon ab, Hunde mit solchen Tendenzen zur Zucht für Ausstellungen einzusetzen.
Während der AKC „Teacup“-Rassen nicht registriert oder billigt, geht der British Kennel Club noch einen Schritt weiter und veröffentlichte ein Statement über „Teacup“-Welpen, in dem die potenziellen Gesundheitsprobleme angesprochen und skrupellose Praktiken von Züchtern solcher Hunde aufgezeigt werden, ergänzt um den Hinweis, dass „Teacup“Hunde vom British Kennel Club weder anerkannt noch registriert werden. Das Statement schließt mit dem Hinweis darauf, dass den Rassestandards des Kennel Clubs zufolge „Züchter jegliche Merkmale nicht übertreiben oder überbetonen sollten, einschließlich der Merkmale im Zusammenhang mit der Körpergröße, und dass Käufer von Hundewelpen dringend geraten wird, vor dem Kauf sicherzustellen, dass weder der Welpe noch dessen Eltern ein entsprechend übertriebenes Erscheinungsbild haben. Jede Abweichung von dieser Maßgabe kann zu ernsthaften Gesundheitspro-blemen in der Linie führen“.
Ein Tierarzt sollte mit einem frischge-backenen Besitzer eines Hundes einer kleinen Rasse verschiedene Aspekte diskutieren: • Mögliche Verhaltensprobleme und Fallgru-ben bei der Erziehung einiger kleiner Hunde |
Box 1.
Ermutigt durch Fotos von Prominenten, die winzige „Handtaschenhunde“ mit sich herumtragen, könnten zukünftige Hundebesitzer zu der Annahme verleitet werden, dass einer dieser Minihunde das ideale Haustier für sie sein könnte. Aus der Ferne betrachtet kann die Haltung eines solchen Hundes durchaus einfach und stylisch erscheinen, und ein Miniaturhund mag vielen als das perfekte Accessoire erscheinen. Trotz ihrer verminderten Größe handelt es sich aber auch bei „Teetassenhunden“ immer noch um Hunde, die mindestens dieselbe Aufmerksamkeit und Pflege brauchen wie ihre größeren Artgenossen. Ihre Gesundheitsprobleme mögen sich zwar von denen größerer Hunde unterscheiden, sie sind deshalb aber nicht weniger folgenreich und in manchen Fällen sogar noch deutlich komplexer. Insbesondere können diese Tiere Bedürfnisse haben, die von Menschen, die sich mit Hunden weniger gut auskennen, nicht erkannt werden. Und selbst Halter, die größere Hunde gewohnt sind, können sich bei Toyhunden zahlreichen Problemen gegenüber sehen, die sie aufgrund ihrer Erfahrungen mit größeren Hunden nicht erwartet hätten. Verhaltensprobleme können bei kleinen Hunden zahlreicher und hochgradiger sein und sich leichter tief verwurzeln als bei größeren Hunden. Tierärzte sollten daher mit Kunden, die einen Hund einer kleinen Rasse anschaffen möchten oder dies bereits getan haben, bestimmte Punkte diskutieren (Box 1). Da der Trend zu immer kleineren Hunden in absehbarer Zeit wohl nicht abebben wird, müssen Tierärzte in der Lage sein, ihre Kunden durch die einzigartigen Herausforderungen zu leiten, die diese Hunde stellen.
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Jamie L. Freyer