Einleitung
Die folgenden Punkte sind besonders wichtig, wenn ein Hund mit nachlassendem Sehvermögen vorgestellt wird.
Signalement
Es ist allgemein anerkannt, dass viele Augenerkrankungen bei Hunden in bestimmten Altersklassen und bei bestimmten Rassen gehäuft vorkommen. Um ein Grundverständnis für veterinärmedizinische Ophthalmologie zu entwickeln, sollte der Einsteiger also wissen, welche Hunderassen besonders zu bestimmten Augenerkrankungen neigen. Wird zum Beispiel ein acht Jahre alter Labrador mit einem Vorbericht über Nachtblindheit vorgestellt, und die Augenuntersuchung bestätigt eine beidseitige Netzhautdegeneration, so weist dies sehr stark auf eine generalisierte progressive Retinaatrophie hin (gPRA). Bei einem Hund, der mit einem schmerzhaften, trüben, blinden Auge vorgestellt wird, spricht vieles für ein Glaukom, handelt es sich dabei aber um einen Jack Russell Terrier, so hat man es sehr wahrscheinlich mit einem sekundären Glaukom infolge einer primären Linsenluxation zu tun. Eine umfassende Augenuntersuchung einschließlich Augeninnendruckmessung (Tonometrie) würde die Diagnose bei einem solchen Patienten bestätigen und eine sofortige gezielte Behandlung ermöglichen. Eine Fehldiagnose müsste man in diesem Fall sogar als fahrlässig bezeichnen. Ist der ambitionierte Ophthalmologe aber bereit, zu lernen, welche Erkrankungen bei welchen Rassen auftreten können, hat er bereits den halben Weg zu einem umfassenden Verständnis der tierärztlichen Augenheilkunde zurückgelegt.
Ist das nachlassende Sehvermögen akut oder chronisch?
Leider sind einige Besitzer nicht besonders aufmerksam, wenn es um die Feststellung geht, dass etwas nicht stimmt mit den Augen ihres Tieres. Und wenn sie dann tatsächlich ein Problem feststellen, kann erst einige Zeit verstreichen, bis sie sich entschließen, tierärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies ist aber zum Glück nicht immer der Fall, und es gibt viele Besitzer, die sich unmittelbar an ihren Tierarzt wenden. Geht das Problem mit Augenschmerzen einher, erkennbar an Tränenfluss und Blepharospasmus, veranlasst dies Besitzer oft dazu, ihr Tier bereits in einem frühen Stadium der Erkrankung vorzustellen. Ohne offensichtliche Schmerzen werden die ersten Symptome jedoch nicht selten übersehen. Die Persönlichkeit und die Bereitschaft des Besitzers, tierärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, haben einen starken Einfluss darauf, ob ein Tier bereits in den frühen Stadien eines Sehkraftverlusts vorgestellt wird. Ein wichtiger Aspekt der Anamnese ist deshalb der Versuch einer Klärung der Frage, seit wann das Augenproblem bestehen könnte. Hierzu sollte der Tierarzt nach Möglichkeit offene Fragen stellen, um dem Besitzer die Möglichkeit zu geben, mit eigenen Worten zu antworten.
Welches ist das Hauptanliegen des Besitzers, und welche anderen Augensymptome könnten vorhanden sein?
Finden Sie heraus, ob das Auge schmerzhaft ist, fragen Sie den Besitzer, ob vermehrte Augenrötungen oder Augenausfluss aufgefallen sind, und ob das Auge „abnorm“ aussieht (z. B. getrübt). Ermitteln Sie aus dem Vorbericht und mit Hilfe der klinischen Untersuchung, ob das Problem ein oder beide Augen betrifft. Ist eine Erblindung der Hauptgrund für die Vorstellung des Patienten, würde man erwarten, dass beide Augen mit einem gewissen Grad an Symmetrie der offensichtlichen Läsionen betroffen sind. Möglich ist aber auch, dass ein Hund aufgrund einer bestimmten Erkrankung zunächst das Sehvermögen auf einer Seite verliert, und am anderen Auge dann zu einem späteren Zeitpunkt entweder dieselbe Erkrankung oder eine andere pathologische Veränderung entwickelt.
Klinische Untersuchung
Viele systemische Erkrankungen können zusätzlich ophthalmologische Befunde haben. Der aufmerksame Untersucher sollte deshalb bei jeder allgemeinen klinischen Untersuchung immer auch die Augen mit einbeziehen. Ebenso sollte aber der Ophthalmologe auch sämtliche die „Augen unterstützenden Strukturen“ (also gewissermaßen den Rest des Tieres!) berücksichtigen und stets das gesamte Tier sorgfältig untersuchen. Dies gilt insbesondere, wenn eine beidseitige Augenerkrankung vorliegt. Wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht, sollte nach Möglichkeit also eine vollständige klinische Untersuchung durchgeführt werden. So entwickeln beispielsweise diabetische Hunde nicht selten sekundäre Katarakte und sollten deshalb stets umfassend untersucht werden, obwohl diese Patienten zum Zeitpunkt der Entwicklung einer Katarakt in aller Regel bereits mit anderen Symptomen, wie zum Beispiel einer Polydipsie, vorgestellt worden waren und möglicherweise bereits mit Insulin behandelt werden.
Augenuntersuchung
Die ophthalmologische Untersuchung ist der Schlüssel für eine spezifische Diagnose. Das zentrale Anliegen einer Augenuntersuchung ist die Lokalisierung und Identifizierung einer Läsion im Auge. Bereits bei augengesunden Tieren ist das Erscheinungsbild der Augen durch eine große Vielfalt gekennzeichnet, und ein ganz wesentlicher Aspekt der tierärztlichen Augenheilkunde ist die Kunst der Unterscheidung zwischen dem, was normal ist, und einer erworbenen oder angeborenen pathologischen Veränderung. Eine ausführliche Beschreibung der praktischen Durchführung einer Augenuntersuchung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, und der an weiteren Details interessierte Leser sei auf die einschlägige Literatur verwiesen 1. Für sachdienlich halten wir an dieser Stelle jedoch eine Diskussion über verschiedene Tests zur Ermittlung des Sehvermögens. Auch ein Grundwissen über die Tonometrie (Messung des Augeninnendrucks) muss als wesentlich gelten, da für Verluste der Sehkraft nicht selten Glaukome verantwortlich sind und die Anwendung eines Tonometers in diesen Fällen sehr hilfreich ist.
Die Augenuntersuchung beginnt zunächst mit der Beobachtung des Hundes aus gewisser Distanz. Oft streben Tierärzte danach, ihre Patienten so schnell wie möglich in den Untersuchungsraum zu komplementieren, und setzen sie gewöhnlich unmittelbar nach Betreten des Raumes auf den Untersuchungstisch. Verbauen Sie sich durch ein solches überschnelles Vorgehen aber nicht potenziell wichtige Erkenntnisse, sondern beobachten Sie Ihren Patienten nach Möglichkeit zunächst aus einiger Distanz. Ich betrachte mir den Patienten bereits bei der Begrüßung des Besitzers aus der Entfernung. Beobachten Sie die Bewegungen des Tieres am Boden, wenn es den Untersuchungsraum betritt, nach Möglichkeit ungestört vom Besitzer. Akut erblindete Tiere, insbesondere diejenigen mit nervösem Temperament, zeigen in ihrem Gesichtsausdruck oft Anzeichen von Angst. Dagegen können sich langsam und schrittweise erblindende Hunde oft sehr gut anpassen und entwickeln ein räumliches Bewusstsein und eine Orientierungsfähigkeit. Diese Hunde sind oft in der Lage, sich sogar im unbekannten Umfeld eines Untersuchungsraumes so sicher zu bewegen, als sei ihre Sehkraft erhalten. Als Ophthalmologe müssen Sie ein Gefühl dafür entwickeln, ob ein Hund tatsächlich sehen kann oder nicht, denn vorgefasste Vorstellungen können Ihre Herangehensweise an einen Fall erheblich beeinflussen.
Das Testen des Sehvermögens eines Hundes ist im Allgemeinen der erste Schritt meiner Augenuntersuchung. Es ist eine Binsenweisheit in der praktischen Veterinärmedizin, dass ein Test des Sehvermögens eines Patienten stets eine subjektive Angelegenheit ist. Wenn unsere Patienten sprechen und uns berichten könnten, was sie sehen, und was nicht, wäre die Ophthalmologie eine völlig andere Disziplin. Mein Lieblingstest ist das visuelle Tracking mit Hilfe eines Wattebausches. Dieser wird innerhalb der Augenlinie des Hundes von oben herabfallen gelassen, und der Untersucher beurteilt die Reflexbewegungen des Augapfels oder des Kopfes, während der Hund das sich nach unten bewegende Objekt beobachtet. Ein Wattebausch ist für diesen Test am besten geeignet, weil er die optimale Fallgeschwindigkeit hat und aufgrund seiner weißen Farbe gut sichtbar ist. Beide Augen werden nacheinander getestet, wobei sich die Sehfelder überlappen dürfen. Ich bitte den Besitzer, ein Auge des Hundes sanft mit der flachen Hand abzudecken, während ich das andere Auge teste. Wichtig ist, dass dabei nicht zu viel Zwang ausgeübt wird, um die Diagnose störenden Abwehrbewegungen des Kopfes zu verhindern.
Bei größeren Hunden kann der Test an dem auf dem Boden stehenden Patienten durchgeführt werden, während mittelgroße Hunde auf dem Untersuchungstisch stehend vom Besitzer sanft fixiert und gesichert werden. Kleine Hunde kann der Besitzer auf dem Arm halten. Insbesondere bei einem nervösen oder erregten Hund muss sichergestellt werden, dass das Gesicht des Hundes ohne Zwang in Richtung Untersucher deutet und nicht etwa unter dem Arm des Besitzers festgeklemmt oder gegen seine Brust gedrückt wird. Einige Hunde kooperieren jedoch gar nicht, und die Widersetzlichkeit von Katzen bei solchen Tests ist hinreichend bekannt.
Andere Formen visueller Tests:
1. Hinderniskurs. Wenn das Wartezimmer leer ist, und ich unsicher bin über das tatsächlich vorhandene Sehvermögen eines Hundes, baue ich einen Hinderniskurs auf. Im Rahmen einer Erstuntersuchung ist ein solcher Test unter Umständen jedoch nicht geeignet, da er viel Zeit und Raum beansprucht. Es empfiehlt sich daher, für solche Untersuchungen gegebenenfalls Termine außerhalb der üblichen Sprechzeiten zu vereinbaren. Es muss ein ausreichend großer, sicherer Raum ohne störende Anwesenheit anderer Tiere oder Besitzer verfügbar sein. Sämtliche Türen müssen geschlossen sein, damit der Hund nicht flüchten kann. Gegenstände verschiedener Größen und Formen werden auf dem Boden verteilt, so dass eine Art von Labyrinth entsteht, das der Patient bewältigen muss. Ich verwende leicht verfügbare Gegenstände, wie zum Beispiel auf die Seite gelegte Stühle, Ständer für Broschüren und Papierkörbe (Abbildung 1). Der Besitzer stellt sich nun am fernen Ende des Hinderniskurses auf, während ich den Patienten am Startpunkt des Labyrinthes festhalte. Dann wird der Besitzer gebeten, seinen Hund ruhig herbeizurufen, damit ich das Sehvermögen des Hundes beurteilen kann, während er sich durch den Hinderniskurs in Richtung seines Besitzers bewegt. Allzu enthusiastisches Rufen ist zu vermeiden, da die Gefahr besteht, dass der Hund über den Hinderniskurs stürmt und sich dabei verletzt.
Wenn möglich, sollte das Sehvermögen des Hundes sowohl im Hellen (photoptisches Sehen, Tagsehen) als auch im Dunkeln (skotopisches Sehen, Nachtsehen) überprüft werden, da einige Erkrankungen, wie zum Beispiel erbliche Retinopathien (insbesondere gPRA) aufgrund bestimmter Effekte auf die Stäbchenfunktion anfangs zunächst das Nachtsehen beeinträchtigen. Da bereits der Vorbericht erste Hinweise in diese Richtung liefern kann, ist es wichtig, Besitzer betroffener Patienten zu fragen, welchen Eindruck sie vom Sehvermögen ihres Hundes bei nächtlichen Spaziergängen haben. Ergänzend zu solchen anamnestischen Informationen sollte aber nach Möglichkeit auch im Rahmen der tierärztlichen Untersuchung beurteilt werden, ob die Ergebnisse entsprechender Sehtests in dämmrigem Licht schlechter werden, wobei natürlich auch dies wiederum eine sehr subjektive Beurteilung ist.