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Wenn es um Ernährungsberatung geht, sind wir Tierärzte besser als „Dr. Google“...
veröffentlicht 14/01/2021
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Die explosionsartige Steigerung der Korporatisierung im Bereich tierärztlicher Praxen über die vergangenen 20 Jahre kann man nur als phänomenal bezeichnen. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die aktuelle Lage und gibt einige wertvolle Tipps für Inhaber unabhängiger Praxen und Kliniken.
Eine Tierarztpraxis sollte unabhängig von den Besitzverhältnissen professionell betrieben werden, um nachhaltiges Wachstum und nachhaltigen Profit zu garantieren.
Unternehmensgruppen zahlen oft einen Aufpreis für die Übernahme von Praxen, von denen sie einen schnellen und nachhaltigen Profit erwarten.
Unabhängige Tierarztpraxen können auf den meisten Ebenen im Bereich der Dienstleistungen mit Unternehmensgruppen konkurrieren.
Die Korporatisierung in der Tiermedizin ist ein weltweites Phänomen, das bleiben wird.
In vielen Teilen der Welt ist das aktuelle Phänomen der Korporatisierung von Tierarztpraxen, also der Bildung und Erweiterung von „Praxisketten“, ein bedeutender Trend, der die Spielregeln für unabhängige Tierärzte (d. h. Tierärzte, die ihre eigene Praxis besitzen und betreiben) in ganz erheblichem Maße verändern kann. Dieser Artikel illustriert die Entwicklung von Unternehmensgruppen im Bereich Tiermedizin über die vergangenen Jahre und beleuchtet die Position unabhängiger Tierärzte auf dem aktuellen Praxismarkt.
Die Situation in Europa ist gegenwärtig sehr uneinheitlich. Auf der einen Seite befinden sich Länder wie Schweden, Großbritannien, Finnland, Norwegen, Dänemark und die Niederlande bereits in einem weit fortgeschrittenen Stadium dieses Korporatisierungsprozesses. In diesen Ländern arbeitet zwischen einem Viertel bis über die Hälfte aller Kleintierärzte in Unternehmensgruppen. Auf der anderen Seite befinden sich Spanien, Frankreich, Deutschland, Österreich, Irland, die Schweiz, Belgien und Portugal immer noch weitgehend in den Anfängen dieses Prozesses. Unter anderen spiegelt sich dies darin wider, dass in diesen Ländern durchschnittlich weniger als 10 % aller Kleintierärzte in Unternehmensgruppen tätig sind. In Asien zeigte insbesondere der chinesische Markt innerhalb weniger Jahre starke Korporatisierungstendenzen. Heute gibt es in China hauptsächlich zwei große Unternehmen, wovon eines mehr als 1000 Praxen besitzt und in Kürze einen Börsengang plant.
Insgesamt verlief und verläuft die Korporatisierung auf dem veterinärmedizinischen Markt aber in einem sehr hohen Tempo. So erweiterte zum Beispiel Evidensia (der europäische Marktführer in Sachen übernommener Praxen und angestellter Tierärzte) zwischen 2017 und 2019 seinen Bestand von 500 auf über 1200 Praxen und seine Personalstärke von 2000 auf über 4000 Tierärzte. (Abbildung 2) zeigt die wichtigsten Ereignisse auf dem Markt der tierärztlichen Praxisketten auf der Zeitachse von 2016 bis 2020.
Wie in den meisten Korporatisierungsszenarien ist schnelles Wachstum auch in der Tiermedizinbranche die Regel und nicht die Ausnahme. In Anbetracht dieser rasanten Entwicklungen kann man sich die Frage stellen, ob auf diesem Markt immer noch Platz für unabhängige Tierärzte ist. Die Korporatisierung in der Tiermedizin ist ein unumkehrbarer Trend: Die Praxen, die heute im Besitz von Unternehmensgruppen sind, werden nicht wieder unabhängig werden. Im Gegenteil, der Trend zur Korporatisierung wird letztlich die meisten Märkte der Welt erfassen, und sich dort, wo er bereits etabliert ist, weiter festigen und intensivieren. Dies bedeutet aber keineswegs, dass es für unabhängige tierärztliche Praxen keine Zukunft mehr gibt. In der Tat ist vielfach das Gegenteil festzustellen.
Philippe Baralon
Abhängig von ihrem jeweiligen Entwicklungsstadium unterscheiden sich Unternehmensgruppen unter anderen in ihrer finanziellen Struktur. Traditionell befindet sich eine Tierarztpraxis im Besitz eines oder mehrerer Tierärzte. Wenn eine Unternehmensgruppe gegründet wird, erfolgt die initiale Finanzierung durch einen Bankkredit. Sobald die Unternehmensgruppe schnell zu wachsen beginnt, muss sie über Kapital finanziert werden, in der Regel über einen Private Equity Fonds (außerbörsliches privates Beteiligungskapital). Das Ziel in diesem Stadium ist ein schnelles externes Wachstum (durch Erhöhung der Anzahl der Praxisübernahmen), um den Wert des Unternehmens innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums – im Allgemeinen zwischen drei und sieben Jahren – rasch zu steigern. Übliches Prozedere ist, dass ein Private Equity Fonds nach wenigen Jahren Gewinne realisiert, und ein anderer Fonds an seine Stelle tritt. Nach mehreren solcher Investitionszyklen kann die Unternehmensgruppe dann Teil eines multinationalen Konzerns werden (z. B. hat sich Nestlé an IVC Evidensia beteiligt) oder an die Börse gehen. Ab diesem Punkt ist schnelles externes Wachstum nicht mehr die einzige Priorität. Die Übernahme neuer Standorte ist zwar nach wie vor wichtiger Bestandteil der Strategie, internes Wachstum durch eine Steigerung von Umsatz und Gewinn aus jeder einzelnen Praxis der Gruppe wird jetzt aber zu einem der Hauptziele.
Diese unterschiedlichen Finanzierungsmodelle erklären den aktuell zu beobachtenden Unterschied zwischen einer Gruppe wie IVC-Evidensia mit ihrem spektakulären externen Wachstum und einer Gruppe wie VCA (ein Tochterunternehmen von Mars Petcare), die sich zwar auch weiterhin schnell entwickelt, deren Wachstum aber zum großen Teil durch die Weiterentwicklung bestehender Standorte konstant generiert wird.
Nicht alle Unternehmensgruppen verfolgen dieselbe Markenstrategie. So setzt zum Beispiel in Europa Anicura, ein Tochterunternehmen von Mars Petcare, seinen Markennamen an die Fassaden aller seiner Praxen und Kliniken, während die CVS-Gruppe (an der Börse London notiert) die historische Identität der einzelnen Praxen bewahrt und keine außerhalb der Finanzmärkte bekannte nationale Marke hat. Während einige Unternehmensgruppen eine klare und einheitliche Strategie verfolgen, haben andere – z. B. BluePearl in den USA – eine variable Herangehensweise und passen das Branding für jede einzelne Praxis von Fall zu Fall an, je nachdem, was für den konkreten Standort als die beste Option angesehen wird. Aus der Sicht des Konsumenten ist festzustellen, dass ein Tierbesitzer in aller Regel nur eine einzige erstbehandelnde Praxis besuchen wird. Deshalb ist es wichtig, eine starke, gut bekannte und unzweideutige Marke auf lokaler Ebene zu etablieren. Ein landesweites nationales oder sogar internationales Markenimage scheint zumindest auf den ersten Blick allenfalls sehr geringe zusätzliche Wettbewerbsvorteile auf dem Markt mit sich zu bringen, wenn man davon ausgeht, dass jede Praxis oder jeder Praxispool bereits als starke lokale Marke etabliert ist.
In vielen Ländern herrscht gegenwärtig offenbar ein echter Mangel an veterinärmedizinischem Personal. In diesem Bereich scheinen größere Unternehmen einen klaren Vorteil gegenüber unabhängigen Praxen zu haben. Alle größeren veterinärmedizinischen Unternehmen haben eigene Rekrutierungs-, Integrations- und Trainingsprogramme entwickelt, die auf einem substanziellen Input und einem erheblichen Ressourceneinsatz basieren. Solche Programme können von einer großen Zahl der angeschlossenen Praxen und Kliniken auf nationaler oder sogar internationaler Ebene gemeinsam genutzt werden. Besitzer unabhängiger Praxen sind dagegen nur selten in der Lage, die für die Entwicklung und praktische Umsetzung solcher Programme erforderlichen zeitlichen Spielräume und finanziellen Mittel aufzubringen.
Um schnell zu wachsen, kaufen Unternehmensgruppen tierärztliche Praxen im Allgemeinen mit einem Aufpreis, der zum Teil um das Zwei- bis Dreifache über dem liegt, was ein traditioneller Käufer (d. h. ein Tierarzt) bieten würde. Bestimmt wird der Wert einer Praxis in der Regel mit Hilfe eines Multiplikators des Nettogewinns, basierend auf dem EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization, also dem Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen). Die Höhe dieses Multiplikators richtet sich nach dem antizipierten zukünftigen Wachstum des EBITDA. Je größer die Chancen auf ein schnelles Wachstum, desto höher ist der gebotene Kaufpreis.
Bei der Bewertung einer traditionellen Praxis werden die Gesamtkosten aller Einkäufe für die Praxis (in der Regel Medikamente, Laborbedarf und Praxisverbrauchsmaterial – oft auch als Wareneinsatz oder Umsatzkosten bezeichnet) – vom Jahresumsatz subtrahiert, um die Bruttomarge (oder den Bruttogewinn) abzuleiten (Abbildung 3). Die Bruttomarge muss sämtliche operative Kosten (einschließlich Löhne, andere Einkäufe und externe Belastungen), Steuern und Abgaben sowie einen Gewinn (EBITDA) für die Besitzer decken. Zu beachten ist, dass die Lohnkosten in diesem Modell nicht die Kosten für die Arbeit der Partner umfassen. Grundsätzlich erfolgen die Vergütung der Partner und Reinvestitionen in die Praxis aus dem berechneten EBITDA. Das implizite Managementziel einer Praxis in privatem Besitz ist die Sicherstellung einer finanziellen Rendite für die Besitzer oder Partner unter Berücksichtigung ihrer Arbeitszeit, ihrer Ansprüche etc. Jede Steigerung der Profitabilität verbessert somit die Vergütung der Partner. Sobald aber in einem solchen Modell ein angemessenes Vergütungsniveau erreicht ist, besteht nur noch ein geringer Anreiz, den Profit marginal zu erhöhen, hauptsächlich wegen der oftmals progressiv steigenden Steuern (je höher der Gewinn, desto höher die verhängten Steuern). Dieses Phänomen wird oft auch als das „Gesetz des abnehmenden Ertrages“ bezeichnet, d. h., die zu erwartende Gewinnsteigerung erscheint zu gering, um die für das Erreichen dieses höheren Gewinns erforderlichen Anstrengungen zu unternehmen. Bei der Bewertung einer tierärztlichen Praxis für einen professionellen Käufer (d.h., einen Tierarzt) wird im typischen Fall ein kleinerer Multiplikator (1 bis 2 in den meisten Fälle) für das EBITDA eingesetzt.
Im Unterschied hierzu bewerten Unternehmensgruppen eine tierärztliche Praxis mit Hilfe eines Finanzanalysemodells, das die Vergütung der Arbeit der Partner innerhalb der fixen Kosten berücksichtigt (Abbildung 4). Das auf dieser Berechnung resultierende EBITDA ist dann eine gute Annäherung des für die Aktionäre verfügbaren Gewinns, und damit letztlich auch für den Gesamtwert des Unternehmens. Steigt dieser Gewinn, wenn auch nur marginal, ist dies eine gute Nachricht für die Aktieninhaber – trotz der proportional und progressiv erhobenen Körperschaftssteuer. So besteht in diesem Modell also weiterhin ein Interesse, die Profitabilität des Unternehmens zusätzlich zu verbessern.
In dieser Analyse repräsentiert das EBITDA eines Unternehmens eine schmalere Basis als beim traditionellen Bewertungsmodell. Ein Käufer, der überzeugt ist, dass die Gewinne schnell gesteigert werden können, wird also bereit sein, einen höheren Multiplikator des EBITDA anzuwenden (in der Regel 5 bis 12, gelegentlich sogar noch höher), um den für ihn akzeptablen Kaufpreis zu bestimmen. Unternehmensgruppen zahlen in der Regel mehr als traditionelle Käufer, weil sie Vertrauen in ihre Fähigkeit haben, das EBITDA und damit den Wert der Praxis schnell zu steigern, während unabhängige Praxen in erster Linie zum Ziel haben, den Partnern eine gute Rendite zu bieten, worauf dann letztendlich auch der Wert der Praxis basiert.
Wie sollte ein unabhängiger Tierarzt seine Entwicklungsstrategie im Angesicht der zunehmenden Konkurrenz durch Unternehmensgruppen planen? Eine finanzielle Bestandsaufnahme und die Erstellung einer Finanzplanung für die Zukunft reichen allein sicherlich nicht aus, sind aber nichtsdestotrotz die Basis der Analyse. Eine kritische Bestandsaufnahme sollte auch die Frage berücksichtigen, ob die aktuellen Tierärzte oder Partner die bestmöglichen Besitzer ihres Unternehmens sind. Da der Wert einer tierärztlichen Praxis in erster Linie auf dem wiederkehrenden Umsatz basiert, ist der beste Besitzer – bzw. der beste Käufer – stets derjenige, der diese wichtige Kennziffer maximieren und aufrechterhalten kann. Zu berücksichtigen ist aber auch die Nachfolgeplanung der Besitzer oder Partner. Ein wichtiger Faktor bei der Planung und bei der Wertmaximierung der Praxis ist in diesem Zusammenhang das strategische Antizipieren signifikanter Veränderungen im Unternehmen Praxis, wie zum Beispiel der bevorstehende Ruhestand eines Besitzers, oder ein Verkauf seiner Anteile.
Die an einem einzigen Standort etablierte tierärztliche Praxis ist ein gängiges und interessantes Geschäftsmodell, unter der Voraussetzung, dass es sich um einen optimalen Standort mit ausreichend hoher Bevölkerungsdichte handelt. Der Hauptvorteil dieses Modells liegt darin, dass ein solches Unternehmen relativ einfach zu managen ist. Da sämtliche geschäftliche Aktivitäten an einem Standort stattfinden, kann der Besitzer oder Manager die Entwicklung des Unternehmens mit Hilfe relativ einfacher Managementwerkzeuge überwachen. Mit dem weiteren Wachstum der Praxis besteht bei diesem Modell jedoch die Gefahr einer Limitierung der geschäftlichen Expansion aufgrund der geografischen Nähe zur Kundenbasis, die eine Akquise neuer Kunden einschränkt. Das Wachstum muss sich daher hauptsächlich auf eine Steigerung der Verkäufe pro Kunde stützen. Diese Strategie kann eine nachhaltige und stetige Steigerung des Umsatzes über viele Jahre ermöglichen. Grad und Geschwindigkeit dieser Umsatzsteigerung können aber erheblich variieren und sind von zahlreichen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel dem Standort der Praxis.
Um die geografischen Einschränkungen eines „Einzelstandortmodells“ zu überwinden, kann sich ein Unternehmen dafür entscheiden, mehrere Praxen zu betreiben. In den meisten Fällen geschieht dies in Form eines so genannten „Nabe-Speichen-Modells“, bei dem jeder Standort in der Regel mehr als 15 Minuten, aber weniger als 30 Minuten Fahrzeit entfernt liegt von einem primären zentralen Basisstandort (Abbildung 5), an dem sämtliche Back Office-Funktionen konzentriert sind, wie zum Beispiel die Lohnbuchhaltung und andere Managementaufgaben. Die peripheren Praxen sollten dabei jedoch nicht als „sekundäre“ Standorte betrachtet werden, da sämtliche Front-Line-Aspekte, wie zum Beispiel Öffnungszeiten, der Rezeptionsbereich, die Sprechzimmer, die Praxismitarbeiter, und grundlegende diagnostische Ressourcen in allen Filialpraxen denselben Standard haben müssen wie am Hauptstandort. Kern dieses Modells sind die möglichen Synergien zwischen den Standorten. So können zum Beispiel sämtliche chirurgischen Eingriffe – einschließlich kleinerer Operationen – am Hauptstandort durchgeführt werden. Managementressourcen können geteilt werden, und die Kerndienstleistungen sowie die wichtigen Geräte können am Hauptstandort ökonomischer genutzt werden unter Vermeidung potenzieller Probleme im Zusammenhang mit der geografischen Lage der peripheren Standorte. Die geschäftliche Entwicklung des Unternehmens wird in diesem Modell daher sowohl durch eine Erhöhung der Umsatzrate pro Kunde als auch durch Akquise neuer Kunden erreicht, insbesondere, wenn neue periphere Standorte eröffnet werden. Das Management eines solchen Modells ist komplexer als das eines Einzelstandortmodells, da an jedem Filialstandort ein kompetenter Manager installiert werden muss. Wichtig ist zudem, dass Faktoren wie Arbeitsmethoden und Marketing über alle Standorte hinweg standardisiert werden. Möglich ist dies vor allem deshalb, weil in diesem Modell alle zugehörigen Praxen geografisch relativ nahe beieinander liegen.
Lucile Frayssinet
Dieses Modell erfordert eine andere Art von Wachstum. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass das oben beschriebene „Nabe- und Speichen“-Modell an einem weiteren Standort in einiger Entfernung vom ursprünglichen Einzugsgebiet dupliziert wird, so dass letztlich eine größere regionale oder in Abhängigkeit von den jeweiligen Entfernungen sogar nationale Unternehmensgruppe entsteht. Ein solches Modell wird in der Regel schrittweise fortschreitend entwickelt und ist gekennzeichnet durch relativ wenige – oder gar keine – Synergien zwischen den einzelnen Standorten. Eine Hauptschwierigkeit bei diesem Modell liegt darin, dass die Organisation multipler Standorte aus der Ferne hoch professionelle Managementstrukturen erfordert wie etwa die Bildung eines zentralen Managementteams. Um sicherzustellen, dass die Kosten für ein solches aufwendigeres Management innerhalb eines akzeptablen Zeitraumes wieder hereingeholt werden, ist ein schnelles Wachstum der Anzahl der Standorte erforderlich (mehrere Dutzend oder sogar mehrere Hundert). Es handelt sich hierbei jedoch um ein eher ungewöhnliches Model für den veterinärmedizinischen Markt, das man insgesamt auch eher selten antrifft, da multiple, geographisch weit voneinander entfernte Standorte sehr komplexe Managementstrukturen verlangen.
Das letzte Stadium einer unabhängigen Entwicklung ist oft (aber nicht immer) die Übertragung (d. h., der Verkauf) der Praxis an eine Unternehmensgruppe. Auch wenn sicherlich nicht alle Praxen geeignete oder attraktive Kaufobjekte für eine Gruppe sind, bietet die Entwicklung dieser Unternehmensgruppen für viele unabhängige Tierärzte, die nach einer Ausstiegsmöglichkeit suchen, heute sehr viel größere strategische Möglichkeiten. Das heißt, Tierärzte können ihre Praxis in der Regel jederzeit verkaufen, wann immer sie sich dafür entscheiden. Diese Option kann sich zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten der Entwicklung einer Praxis auftun, zum Beispiel wenn sich eine Einzelstandortpraxis bereits gut entwickelt hat und gereift ist oder nachdem sich ein Praxispool etabliert hat oder nach Bildung einer regionalen oder nationalen Gruppe.
Das wichtigste für den Besitzer ist es, sein Unternehmen zum richtigen Zeitpunkt und zu einem guten Preis zu verkaufen. An dieser Stelle muss betont werden, dass der Verkauf einer Praxis keineswegs als Misserfolg oder Scheitern betrachtet werden sollte, sondern vielmehr als Anerkennung für den geschäftlichen Erfolg. Auf der anderen Seite sollte der Verkauf an eine Unternehmensgruppe aber auch nicht als einziger Ausweg betrachtet werden, zum Beispiel, wenn die Planung der Nachfolge nicht befriedigend verläuft.
Unabhängig davon, ob der Besitzer einer tierärztlichen Praxis zeitnah oder in fernerer Zukunft an eine Gruppe verkaufen möchte oder nicht, muss das unternehmerische Langzeitmanagement stets auf eine Optimierung des Praxiswertes ausgerichtet werden. Da dieser Wert immer sehr eng mit der zukünftigen Profitabilität verknüpft ist, muss angestrebt werden, einen wiederkehrenden Gewinn zu generieren, der mit dem Gewinn vergleichbar ist, den eine Unternehmensgruppe erzielen könnte. Unabhängig von der geschäftlichen Entwicklungsstrategie sollte eine unabhängige tierärztliche Praxis deshalb immer so gemanagt werden, als ob sie morgen verkauft würde – selbst wenn ein Verkauf tatsächlich vielleicht niemals ansteht.
Für eine schnelle Steigerung des EBITDA stehen drei zentrale Werkzeuge zur Verfügung.
Die Einführung und Weiterentwicklung zusätzlicher Leistungen wie Präventivmedizin (z. B. mit Wellness-Plänen), Überwachung chronischer Erkrankungen (z. B. Osteoarthritis) und Telemedizin stehen für erstbehandelnde tierärztliche Praxen an erster Stelle und können in ganz erheblichem Maße zu einer Steigerung des Umsatzes beitragen. So kann zum Beispiel die Telemedizin eine sehr effektive und effiziente Methode für die Überwachung eines chronisch kranken Patienten sein (Abbildung 6): Die erste Konsultation in der Praxis sollte stets durch einen Tierarzt erfolgen, das Leistungsangebot der Praxis kann im Anschluss daran aber erweitert werden durch regelmäßige telemedizinische Follow-ups zu geeigneten Zeitpunkten. Die telemedizinische Betreuung kann an entsprechend geschulte TFAs delegiert werden und unterstützt die Etablierung dauerhafter Interaktionen mit Kunden, die sich relativ einfach in Umsätze verwandeln lassen.
Neben der Telemedizin bieten zahlreiche neue Technologien weitere Möglichkeiten für den veterinärmedizinischen Markt. In vielen Ländern wirkt sich die zunehmende Entwicklung des E-Commerce – zumindest teilweise – verheerend auf Tierarztpraxen aus. Um in diesem Bereich konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Tierarztpraxen geeignete Tools anwenden, mit deren Hilfe sie den neuen Herausforderungen durch Online-Apotheken oder den zurzeit vor allem in Frankreich wachsenden Click & Collect-Dienstleistungen (Online bestellen & abholen) erfolgreich begegnen können. Die gegenwärtig stattfindende digitale Revolution bietet Tierärzten aber ganz neue Mittel und Wege, und zwar nicht nur im Bereich der Telemedizin oder des E-Commerce, sondern auch – und vor allem – auf dem wichtigen Sektor der Kommunikation. So kann zum Beispiel die Gründung einer Community von Besitzern aus dem Kundenkreis der Praxis über entsprechende Plattformen in den sozialen Medien die Bindung zwischen Tierarztpraxis und bestehenden Kunden sowie potenziellen Neukunden stärken und ausbauen. Weitere digitale Angebote, wie zum Beispiel Online-Terminbuchungssysteme oder das Teilen digitaler Patientenakten mit den Kunden, können ebenfalls zur geschäftlichen Weiterentwicklung einer Praxis beitragen. Was wir aber mit Sicherheit sagen können, ist, dass das volle Potenzial dieser neuen Technologien noch keineswegs vollständig genutzt wird und dass in den vor uns liegenden Jahren weitere Technologien entwickelt werden, die uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen.
Philippe Baralon
Die Korporatisierung auf dem veterinärmedizinischen Markt ist nicht mehr aufzuhalten. Die beteiligten Unternehmensgruppen bieten praktischen Tierärzten heute eine alternative Ausstiegsstrategie und zahlen für profitable Praxen oft sehr viel höhere Preise als traditionelle Käufer. Unabhängige Praxen müssen heute vielfach hart kämpfen, um tierärztliches Personal auf einem durch einen Mangel an frisch approbierten Tierärzten gekennzeichneten Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Dennoch sind unabhängige Tierarztpraxen generell in der Lage, sich gegenüber Unternehmensgruppen zu behaupten, wenn sie konkurrenzfähige wirtschaftliche, finanzielle und organisatorische Fähigkeiten und Strategien besitzen. Voraussetzung hierfür ist allerdings der Wille, die Fähigkeit und die Zeit, professionelle Managementstrukturen zu etablieren.
Frayssinet L. Evolution of veterinary business models in France and worldwide, with a focus on companion animals. Sans Pierre (dir), thesis, veterinarian, Université Paul Sabatier, 2019. [Évolution des modèles d’affaires vétérinaires en France et dans le monde, focus sur les animaux de compagnie]
Brealey R, Myers S, Allen F. Principles of corporate finance. 13th ed: New York McGraw Hill, 2019. ISBN-13: 978-1260013900
Philippe Baralon
Dr. Baralon absolvierte 1984 die École Nationale Vétérinaire in Toulouse (Frankreich) und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre (Master of Economics, Toulouse, 1985) und Betriebswirtschaftslehre (MBA, HEC-Paris 1990). Mehr lesen
Lucile Frayssinet
Dr. Frayssinet ist eine französische Tierärztin, die ihr Studium 2019 an der École Nationale Vétérinaire de Toulouse in Frankreich abschloss. Mehr lesen
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