Einleitung
Der Terminus Gluten beschreibt Pflanzenproteine, die im Endosperm von Zerealienkörnern vorkommen und den nutritiven Bedarf für die Keimung und das Wachstum decken. Wissenschaftler interessieren sich schon sehr lange für Gluten und analysierten unter anderem die Zusammensetzung. Die Proteine verschiedener Zerealienkörner werden heute in vier Kategorien unterteilt: Albumin, Globulin, Prolamin und Glutelin 1. Albumin und Globulin sind wasserlöslich, während Prolamine über ein alkoholisches Lösungsmittel, und Gluteline mit einem alkalischen Lösungsmittel extrahiert werden können. Prolamine tragen ihren Namen aufgrund ihres hohen Gehaltes an Prolin und Glutamin, und werden entsprechend ihrer Herkunft aus den verschiedenen Getreidearten als Gliadin (Weizen), Hordein (Gerste), Secalin (Roggen), Avenin (Hafer) und Zein (Mais) bezeichnet. Bei den Glutelinen handelt es sich um Proteine, die als Bestandteile von Enzymen und Zellwänden fungieren, und auch wieder entsprechend ihrer Herkunft aus den verschiedenen Getreidearten benannt werden. Der wichtigste Vertreter der Gluteline ist das Glutenin in Weizenkörnern. Einigen Autoren zufolge sollte der Begriff „Gluten“ ausschließlich für die beiden wasserunlöslichen Weizenkornproteine Gliadin und Glutenin reserviert sein.
Neben seinen Aufgaben bei der Unterstützung des Keimwachstums spielt Gluten auch eine wichtige Rolle in der Lebensmitteltechnik. Die Disulfidbindungen zwischen Gluten-Aminosäuren sind verantwortlich für die viskoelastischen und adhäsiven Eigenschaften gehender Teige und tragen zur inneren Struktur eines elastischen Brotlaibes bei. Die externe Zugabe von Gluten zu Teigen ist eine effiziente und ökonomische Strategie zur Verbesserung der Textur und des Mundgefühls von Backwaren. Allerdings kann Gluten auch zur Entwicklung verschiedener Erkrankungen beitragen, wie zum Beispiel der Zöliakie bei Menschen. So ist gut bekannt, dass der Verzehr von Zerealienkörnern von Pflanzen der Tribus Triticeae, wie zum Beispiel Weizen, Gerste und Roggen, bei empfänglichen Individuen entsprechende klinische Symptome auslösen kann. Ähnliche Symptome können auch durch bestimmte Sorten von Hafer und Haferkörnern getriggert werden, wenn diese in Mühlen verarbeitet werden, die auch für Weizen, Gerste und Roggen verwendet werden 2. Der Begriff „Gluten“ wird zwar für die Bezeichnung sämtlicher Zerealienproteine verwendet, bei Menschen besteht zwischen dem von Mais und Reis stammenden Gluten und Gluten-assoziierten Erkrankungen jedoch kein Zusammenhang. In diesem Artikel wird der Terminus Gluten daher ausschließlich für Proteine von Gerste, Roggen, Hafer und Weizen verwendet.
Gluten-assoziierte Erkrankungen beim Menschen
„Gluten-assoziierte Erkrankungen“ ist ein Sammelbegriff zur Beschreibung klinischer Symptome im Zusammenhang mit einer Glutenexposition. Auf der Grundlage ihrer verschiedenen Pathogenesen und Ätiologien können diese Erkrankungen in die drei folgenden Kategorien unterteilt werden 3.
Allergische Reaktionen
Bei einer allergischen Reaktion auf Gluten kann es sich um eine Typ-I- oder um eine Typ-IV-Überempfindlichkeit handeln, die bei empfänglichen Individuen dementsprechend entweder unmittelbar nach einer Glutenexposition oder verzögert auftritt. Wenn Immunglobulin E (IgE) beteiligt ist, triggert die Kreuzvernetzung (Crosslinking) zwischen IgE und Gluten zelluläre Kaskaden in Mastzellen und basophilen Granulozyten, die zu Degranulation führen und damit zur Freisetzung von Zytokinen und Entzündungsmediatoren wie Histamin. Diese Verbindungen induzieren dann klinische Symptome, deren Art und Ausprägung in erster Linie davon abhängen, in welcher Region des Körpers die Reaktion stattfindet, wie z. B. Erbrechen, Diarrhoe, Pruritus, Atopie, Asthma und Rhinitis. Gluten-assoziierte Erkrankungen mit Beteiligung allergischer Reaktionen werden kollektiv als Weizenallergie bezeichnet, und gehören zu den weltweit häufigsten Nahrungsmittelallergien 3.
Autoimmunreaktionen
Das klassische Beispiel für die Kategorie der Autoimmunreaktionen ist die Zöliakie. Wenn ein empfängliches Individuum weizenhaltige Produkte aufnimmt, führt Gliadin im Gastrointestinaltrakt (GI-Trakt) zu einer Störung der Integrität der Tight Junctions der Enterozyten und verändert die intestinale Permeabilität 4. Gliadin stimuliert systemische Immunantworten und hat die Bildung von Anti-Gliadin-Antikörpern zur Folge. Neben der Erhöhung der intestinalen Permeabilität trägt die Glutenassimilation auch zur Entwicklung von Autoimmunreaktionen gegen Gewebstransglutaminase (tissue transglutaminase; tTG) bei 5. Gewebstransglutaminase ist ein multifunktionelles, im menschlichen Körper ubiquitäres Enzym, das verantwortlich ist für die Desaminierung und Transaminierung von Glutamin im GI-Trakt. Aufgrund des hohen Glutamingehalts von Gliadin bildet tTG enge Kreuzvernetzungen mit Gliadin, welches dann neue antigene Epitope generiert, die wiederum zur Entwicklung von Autoantikörpern gegen tTG führen. Neben dem direkten Effekt von Gluten trägt bei Zöliakie-Patienten auch eine genetische Prädisposition zur Vulnerabilität bei. Die meisten Zöliakie-Patienten tragen spezifische Varianten von humanen Leukozyten-Antigen-Genen (HLA-Gene), die über eine gesteigerte Lymphozytenaktivierung für eine Verstärkung der Immunreaktion sorgen 3. Diese Multisystem-Beteiligung und die Autoantikörper machen die Autoimmunreaktion auf Gluten so einzigartig. Insgesamt leiden Zöliakie-Patienten unter Malabsorption und anderen GI-Symptomen, deren Ursachen die geschädigten Enterozyten und die sich in Folge einer Glutenexposition entwickelnde Zottenatrophie sind (Abbildung 1).
Anti-tTG-Antikörper sollen darüber hinaus auch zur Entwicklung der Dermatitis herpetiformis (Abbildung 2) und der Gluten-Ataxie beitragen, den anderen beiden Formen Gluten-assoziierter Autoimmunreaktionen 6. Zu bemerken ist, dass sich die Symptome dieser Krankheitsprozesse zwar überlagern können, das dominante klinische Symptom aber vom primär betroffenen Organ oder Gewebe geprägt wird. So zeigen zum Beispiel Patienten mit Gluten-Ataxie aufgrund der Beteiligung von Purkinje-Zellen im Kleinhirn in der Regel Bewegungsstörungen wie Ataxie, Tremor und Myoklonie 6. Die Bestimmung von Anti-tTG- und Anti-Gliadin-Antikörpern im Serum ist daher ein wertvolles Hilfsmittel zur Unterstützung der Diagnose in Verdachtsfällen einer Autoimmunreaktion gegen Gluten.