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Veterinary Focus

Ausgabe nummer Sonstiges Wissenschaft

Compassion Fatigue – Leben mit Mitgefühlserschöpfung

veröffentlicht 16/04/2020

Geschrieben von Kimberly-Ann Therrien und Dana Novara

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Gesunde Tiere brauchen gesunde Tierärzte, die Ausübung eines medizinischen oder pflegenden Berufes kann jedoch einen hohen Tribut von uns fordern. In diesem Artikel teilen die Autorinnen ihre eigenen Erfahrungen mit der Mitgefühlserschöpfung und geben einige Tipps, wie Sie auf sich selbst achten können.

Compassion Fatigue – Leben mit Mitgefühlserschöpfung

Kernaussagen

Mitgefühl ist unser Geschäft, deshalb können wir Mitgefühlserschöpfung nicht „heilen“, wir müssen lernen, damit umzugehen.


Sie sind nicht allein: Studien aus den USA zeigen, dass jeder Dritte der Tierärzte unter Angst leidet, und einer von sechs schon einmal Selbstmordgedanken hatte.


Erstellen Sie einen nachhaltigen Plan für Sie selbst, der Ihren Körper, Ihren Geist, Ihre Karriere, Ihr soziales Umfeld und Ihre Finanzen berücksichtigt.


Wenden Sie „Sofort“–Hilfsmittel an, die Ihnen helfen, mit der Situation umzugehen, sobald Sie eine beginnende Überforderung spüren.


Anmerkung der Redaktion

Unter „Compassion fatigue“ wird wörtlich übersetzt „Mitgefühlserschöpfung“ verstanden, aber auch „Burnout der pflegenden Berufe“ oder „Erschöpfungsdepression“ kommen als Übersetzung vor. Um nicht unklar zu bleiben oder mit dauernd wechselnden Übersetzungen zu arbeiten, wurde der psychologische Fachbegriff nicht aus dem Englischen übersetzt. CF wird nicht mit Burnout gleichgesetzt, sondern eher als ein Symptom des Burnouts (und Sekundärem Traumatischen Stress STS) angesehen. Das Gegenteil von Compassion Fatigue CF ist Compassion Satisfaction CS. Die CF Erschöpfung entsteht aufgrund möglicher, mangelnder Fähigkeiten zur psychischen /inneren Abgrenzung welche vorhanden sein muss, trotz aufrechter und empfundener Empathie. Im Artikel werden die verschiedenen persönlichen und systembedingten Einflussfaktoren genannt welche die Bildung fördern und auch Strategien des „active coping“ zum Umgang und der Vermeidung der Erschöpfungsdepression beschrieben.

Einleitung

Tierärzte werden täglich mit zahlreichen ethischen Dilemmas und schwierigen Situationen konfrontiert. Die Behandlung eines Patienten im Endstadium oder die Euthanasie eines liebgewonnenen Langzeitpatienten und das gleichzeitige Trösten eines verzweifelten Besitzers können emotional sehr stark belastend sein.
Abbildung 1. Tierärzte werden täglich mit zahlreichen ethischen Dilemmas und schwierigen Situationen konfrontiert. Die Behandlung eines Patienten im Endstadium oder die Euthanasie eines liebgewonnenen Langzeitpatienten und das gleichzeitige Trösten eines verzweifelten Besitzers können emotional sehr stark belastend sein.© Shutterstock

Als Tierärzte erkennen wir nicht immer, dass wir – aufgrund der Komplexität unserer Arbeit – ein hohes Risiko für die Entwicklung einer Mitgefühlserschöpfung1 tragen. Die permanente Achterbahn der Gefühle, die entsteht, wenn wir einen Langzeitpatienten einschläfern, uns anschließend mit einer Familie über deren neuen Hundewelpen freuen, gefolgt von der Konfrontation mit einem Fall von Tierquälerei oder der Behandlung eines komplexen medizinischen Problems, sorgt für extreme emotionale Hochs und Tiefs im Stundentakt während des ganzen Tages (Abbildung 1). Eine Studie fand heraus, dass sich 57 % aller Tierärzte im Rahmen ihrer Arbeit pro Woche mit einem oder zwei ethischen Dilemmas konfrontiert sehen 1. Und eine andere Studie schätzt, dass 40 % aller Tierärzte unter einer Depression leiden oder sich im Grenzbereich zur Depression befinden 2. Aus all diesen Gründen wird weiter geforscht über die Ursachen von Burnout, Mitgefühlserschöpfung und die in der Tiermedizin über dem Durchschnitt liegende Rate von psychischen Gesundheitsproblemen 1.

1 Compassion fatigue oder Mitgefühlserschöpfung ist ein Zustand emotionaler und physischer Erschöpfung, dessen Folge eine verminderte Fähigkeit zu Empathie oder Mitgefühl für andere ist, oft beschrieben als die unvermeidbaren Folgen von Fürsorge (Wikipedia).

Eine Studie der Centers for Disease Control and Prevention2 (CDC) fand heraus, dass nahezu jeder Dritte der Tierärzte unter Angst leidet und einer von sechs Selbstmordgedanken hatte, wobei die Suizidrate unter Tierärzten mindestens dreimal höher liegt als in der allgemeinen Bevölkerung (Abbildung 2) 2. Diese Befunde sind alarmierend und bedeuten, dass Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mit jemandem zusammenarbeiten, der mit dieser Problematik zu kämpfen hat, oder dass Sie selbst zu den Leidenden gehören. Diese Statistiken stützen die Tatsache, dass Probleme der psychischen Gesundheit in unserem Berufsstand sowohl schwerwiegend sind als auch häufig vorkommen. Dennoch haben die meisten betroffenen Tierärzte das Gefühl, stigmatisiert zu werden und ihre Karriere aufs Spiel zu setzen, wenn sie offen damit umgehen und Hilfe suchen (Abbildung 3) 1.

2 https://www.cdc.gov

Mitgefühlserschöpfung kann bei Tierärzten zu erheblichem Druck beitragen und ist ein wichtiger Aspekt in einigen schockierenden Statistiken über unseren Berufsstand.
Abbildung 2. Mitgefühlserschöpfung kann bei Tierärzten zu erheblichem Druck beitragen und ist ein wichtiger Aspekt in einigen schockierenden Statistiken über unseren Berufsstand.© Sandrine Fontègne

Mit diesem Artikel hoffen wir, diese Problematik aus dem Dunkeln ins Licht zu holen, indem wir unsere eigenen Geschichten und unsere Lehren daraus teilen sowie einige hilfreiche Tools zur Überwindung der Barrieren vorstellen, die dem Suchen und Annehmen von Hilfe im Wege stehen. Wir beide wissen, wie es sich anfühlt, zu kämpfen, und ohne die Hilfe anderer hätten wir es nicht geschafft, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Indem wir nun teilen, was wir gelernt haben, hoffen wir, anderen in ihrem Wunsch zu helfen, diesen Beruf weiterhin mit Freude auszuüben. Einen Beruf, der für viele von uns schon seit jungen Jahren ein Traum ist.

Das Definieren und Erkennen des Problems ist der erste Schritt. Nach Dr. Charles Figley, Professor of Mental Health an der Tulane University, Louisiana, ist Compassion Fatigue, also die Mitgefühlserschöpfung „ein extremer Zustand der Anspannung und des Vertieftseins in das Leiden derer, denen geholfen wird, bis zum Grad, dass dies einen sekundärtraumatischen Stress für den Helfenden verursachen kann“. Dr. Elizabeth Strand, Director of Veterinary Social Work an der University of Tennessee, drückt dies etwas anders aus: „Es ist das Resultat von sehr viel mitfühlen und sehr hart arbeiten… wobei die eigenen Bedürfnisse übersehen und ignoriert werden.”

Compassion Fatigue

Compassion Fatigue oder Mitgefühlserschöpfung kann sich auf vielerlei Weise manifestieren. Burnout oder die Loslösung und Distanziertheit von der Arbeit und anderen bedeutsamen Beziehungen, zusammen mit Schlafstörungen, erhöhtem Alkoholkonsum, intensivem Grübeln, Depression und psychosomatischen Beschwerden können Indikatoren für eine Mitgefühlserschöpfung sein (Abbildung 4). Klingt irgendetwas davon vertraut für Sie? Die Chance besteht durchaus, dass Ihnen zumindest einer dieser Indikatoren bekannt vorkommt, und wir möchten an dieser Stelle einige Prozesse beschreiben, die beim Auftreten solcher Symptome hilfreich sein können.

Tierärzte neigen zu Depression, viele Betroffene haben aber Angst vor Stigmatisierung, wenn sie über psychische Gesundheitsprobleme sprechen, und befürchten, dass dies ihrer Karriere schaden könnte.
Abbildung 3. Tierärzte neigen zu Depression, viele Betroffene haben aber Angst vor Stigmatisierung, wenn sie über psychische Gesundheitsprobleme sprechen, und befürchten, dass dies ihrer Karriere schaden könnte.© Sandrine Fontègne
Mitgefühlserschöpfung kann sich auf vielen Wegen manifestieren, wie zum Beispiel Burnout, Schlafstörungen, erhöhter Alkoholkonsum, intensives Grübeln, Depression und psychosomatische Beschwerden.
Abbildung 4. Mitgefühlserschöpfung kann sich auf vielen Wegen manifestieren, wie zum Beispiel Burnout, Schlafstörungen, erhöhter Alkoholkonsum, intensives Grübeln, Depression und psychosomatische Beschwerden.© Sandrine Fontègne

Wichtig ist nicht nur, dass Sie auf sich selbst achten, Sie müssen auch mit Ihren Kollegen sprechen, wenn Sie entsprechende Indikatoren bei anderen erkennen. Vielleicht verfügen Ihre Kollegen noch nicht über die erforderlichen Kenntnisse und die notwendigen Hilfsmittel, um mit dieser Problematik umzugehen, und nicht zuletzt sind wir es anderen schuldig, uns gegenseitig zu helfen. Als Gemeinschaft müssen wir besser darin werden, diese wichtigen Probleme zu erkennen, zu entstigmatisieren und entsprechende Hilfe in Anspruch zu nehmen – denn das kann buchstäblich Leben retten. Je mehr wir solche Gespräche normalisieren und je mehr wir an solchen Gesprächen teilnehmen, desto gesünder werden wir letztlich als gesamte Berufsgruppe.

Wir müssen aber auch erkennen, dass es sich beim Risiko der Mitgefühlserschöpfung nicht um etwas handelt, was wir vollständig aus unserem Leben verbannen können, denn es handelt sich gewissermaßen um ein Nebenprodukt der Arbeit, die wir tagtäglich tun. Als Ärzte möchten wir behandeln und heilen, aber Mitgefühlserschöpfung können wir nicht heilen. Wir müssen also lernen, wie wir unsere Arbeit tun können und gleichzeitig auf uns selbst achten. Dies erfordert Planung und praktische Übung.

Emotionalen Stress erkennen

Erst wenn wir die Dinge schwarz auf weiß sehen, beginnen wir zu realisieren und zu verstehen, welche Bedeutung die oben aufgeführten Statistiken für unseren Berufsstand haben. Wie können wir also emotionalen Stress und emotionale Überforderung bei uns selbst und bei anderen erkennen?

Dana Novara

Wir müssen erkennen, dass es sich beim Risiko der Mitgefühlserschöpfung nicht um etwas handelt, das wir vollständig aus unserem Leben verbannen können, denn es handelt sich gewissermaßen um ein Nebenprodukt der Arbeit, die wir täglich tun.

Dana Novara

Dana’s Geschichte:

Zwei Jahre nach Abschluss meines Studiums arbeitete ich als Tierärztin in leitender Position in einer sehr arbeitsreichen Kleintierpraxis mit insgesamt vier Tierärzten. Als leitende Tierärztin fühlte ich mich nicht nur verantwortlich für das Wohl meiner Patienten und meiner Kunden, sondern auch für das meines Teams. Was ich dabei nicht erkannte, war, dass ich stets versuchte, mein Team vor negativen Emotionen zu schützen, indem ich diese ausschließlich auf mich selbst lenkte.

Oft waren meine Tage gefüllt mit mehreren Euthanasieterminen, wobei ich meine Mitarbeiter nicht selten Dinge sagen hörte wie: „Leg“ den Termin auf Dr. Novara, ihr macht das nichts aus.“ Gelegentlich wurde ich von Mitarbeitern sogar als „Dr. Tod“ bezeichnet. Ich redete mir ein, dass dies ein Kompliment sei, dass meine Mitarbeiter anerkannten und zu schätzen wussten, dass ich diese Dinge für sie übernahm und dass mich diese Dinge vielleicht nicht so stark berührten wie andere Mitarbeiter im Team. Leider musste ich schließlich auf die harte Tour lernen, dass ich mir gegenüber diesbezüglich nicht ehrlich war. Eines Tages standen fünf Euthanasien auf meinem Terminplan. Der letzte Euthanasiepatient des Tages war ein liebgewonnener Langzeitpatient von mir. Nicht nur war die Sache an sich sehr hart für mich, sie hielt mich auch lange Zeit am Arbeitsplatz fest und verhinderte, dass ich rechtzeitig nach Hause zu einem Treffen mit Freunden gehen konnte. Ich lief aus dem Sprechzimmer und sagte zu mir: „ Lass sie bloß nicht sehen, dass ich weine“.

Auf dem Weg nach Hause war ich so stark emotional belastet, dass ich fast in den Straßengraben fuhr. Ich rief meinen Mann an und hörte mich schreien: „Ich wollte, ich wäre in den Straßengraben gefahren“. Bis heute glaube ich immer noch, dass ich das damals nicht tatsächlich so gemeint hatte, im Nachhinein betrachtet hätte ich es aber nicht zulassen sollen, so tief zu sinken. Dank der Liebe und Unterstützung meines Mannes war ich dann in der Lage, zu erkennen, dass mir mein Gehirn mitzuteilen versuchte, dass ich eben nicht OK bin und dass sich die Dinge ändern müssen. Gemeinsam erstellten wir einen Plan für Gespräche mit meinem Team und für das konsequente Setzen von Grenzen im Job.

Mitgefühlserschöpfung kann vielerlei verschiedene Formen haben und sich auf unterschiedlichen Wegen manifestieren, abhängig von der Person und von der Situation, wie wir an Kimberley‘s Geschichte erkennen werden:

Kimberly’s Geschichte:

Als eine „Typ A“-Perfektionistin (perfektionistisch, stets hoch motiviert und selbstkritisch), Vollzeit arbeitend während des Studiums und dann gelandet im Traumjob in einer sehr arbeitsreichen Kleintierpraxis, kannte ich nie etwas anderes als lange Arbeitstage und den permanenten Anspruch an mich selbst, noch mehr zu lernen und noch mehr zu arbeiten. Mit der Zeit wurde die Arbeit alles für mich. Wenn ich nicht in der Praxis war, sprang ich in anderen Jobs als Urlaubs- oder Krankenvertretung ein. Ich kam schließlich an einen Punkt, an dem es in meinem Leben keine Freude und keinen Spaß mehr gab, da die Arbeit jede Minute eines jeden Tages verschlang.

Obwohl die Fakten klar auf dem Tisch lagen, war ich mir dieser Situation überhaupt nicht bewusst, bis mein Mann mir eines Tages half, zu erkennen, wie sehr mein Leben aus dem Gleichgewicht geraten war. Je mehr ich arbeitete, umso mehr musste ich leisten, um mir selbst zu beweisen, dass ich „gut genug“ war. Und das ging auf Kosten meiner körperlichen und mentalen Gesundheit, und letztlich auch meiner Beziehungen. Ich erkannte schließlich, dass ich an Selbstzweifeln litt – auch als Impostor- oder Hochstapler-Syndrom bezeichnet –, und sehr schnell mündete dies in einer Mitgefühlserschöpfung, die sich in Form eines Burnouts manifestierte. Mir wurde klar, dass ich in diesem Beruf nicht überleben konnte, wenn ich so weitermachen würde.

Ich traf also Entscheidungen, die es mir ermöglichen sollten, mein Gleichgewicht wiederzufinden und definierte sehr genau die Auslöser, die dafür sorgen konnten, dass ich wieder in alte Bahnen zurückfiel. Sehr klar formulierte ich meine Ziele und Vorsätze und prüfe mich diesbezüglich bis heute kontinuierlich, um sicherzustellen, dass ich mich auch tatsächlich im Gleichgewicht fühle. Heute kenne ich die Zeichen und bespreche sie ganz offen mit den Menschen, die mich umgeben, damit auch mein soziales Umfeld mir helfen kann, darauf zu achten.

Einen Fürsorgeplan erstellen

Zur Unterstützung der Prävention emotionaler Überforderung empfiehlt es sich, einen Fürsorgeplan zu erstellen, mit dem Ziel, auf Ihr eigenes Ich zu achten, um auf diese Weise eine bessere Resilienz unter schwierigen Umständen sicherzustellen. Ein erfolgreicher Fürsorgeplan befähigt uns, blockierte Emotionen freizusetzen, die wir während des Tages mit uns herumtragen. Dieser Plan sollte sehr facettenreich sein, sich ständig verändern und ein integraler Teil unseres Lebens werden.

Vor diesem Hintergrund, beginnen wir zunächst damit, zu erkennen, dass unser allgemeines Wohlergehen sehr stark beeinflusst wird durch die fünf Schlüsselelemente der Gesundheit und des Wohlbefindens: Gesunder Körper, Gesunder Geist, Gesunde Karriere, Gesunde Gemeinschaft und Gesunde Finanzen. Wenn wir jede dieser Kategorien auseinandernehmen und uns die Zeit nehmen, über die Bedeutung jeder einzelnen Kategorie nachzudenken, können wir schließlich einen individuellen Fürsorgeplan erstellen, der uns hilft, gegenüber einer Mitgefühlserschöpfung zu bestehen (Abbildung 5).

Ein Fürsorgeplan, der die fünf Schlüsselelemente der Gesundheit und des Wohlergehens abdeckt, kann helfen, eine bessere Resilienz im Angesicht schwieriger Situationen zu entwickeln.
Figure 5. Ein Fürsorgeplan, der die fünf Schlüsselelemente der Gesundheit und des Wohlergehens abdeckt, kann helfen, eine bessere Resilienz im Angesicht schwieriger Situationen zu entwickeln.© Sandrine Fontègne

Das Nachdenken über einen Gesunden Körper umfasst mehr als nur Bewegung und Sport. Dazu gehören ohne Zweifel auch Schlaf in ausreichender Quantität und Qualität, gesunde Ernährungsgewohnheiten und der Zugang zum Gesundheitswesen für Prävention und Therapie. Dies ist sehr eng verknüpft mit dem Gesunden Geist, denn das Bewusstsein und die Akzeptanz Ihrer Gefühle ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Fürsorge für Ihre Gesundheit. Das Schaffen von Routinen rund um Bewegung, Sport, Essen und Schlafen ist wichtig für Ihren Körper, wie aber schaffen Sie entsprechende Routinen auch für Ihren Geist? An dieser Stelle kommt die Mindfulness ins Spiel, ein Konzept, bei dem es im Wesentlichen darum geht, sich selbst beizubringen, der Regisseur seiner eigenen Gedanken zu werden. Mit anderen Worten, trainieren Sie Ihr Gehirn, sich der gegenwärtigen Verfasstheit Ihres Geistes, Ihres Körpers und ihrer unmittelbaren Umwelt zu widmen, und nicht das zu tun, was die meisten von uns typischerweise tun, nämlich umherzuwandern in Gedanken, die vorwiegend um Sorgen, negative oder kritische Botschaften, „Was, wenn?“-Fragen und vergangene Fehler kreisen. Ganz so wie Ihr Körper bei Bewegung und Sport Training benötigt, braucht auch Ihr Gehirn regelmäßige Übung, um sich in Richtung Mindfulness zu entwickeln.

Was die Gesunde Karriere betrifft, haben wir das Glück, in einem Beruf zu arbeiten, der primär von Leidenschaft und Bestimmung angetrieben wird, was in den meisten Fällen bedeutet, dass wir eine Arbeit verrichten, die uns selbst etwas bedeutet. Ebenso wichtig ist es aber, eine Arbeit zu tun, die nachhaltig und zukunftsfähig ist. Nehmen Sie sich also die erforderliche Zeit, um für sich selbst zu klären, wie Ihre Karriere aussehen soll und was Ihnen an Ihrer Arbeit tatsächlich am wichtigsten ist.

Genauso wichtig sind aber Kontakte und Verbindungen mit Menschen außerhalb der Arbeit, die Ihnen Unterstützung, Mitgefühl und gemeinschaftliches Engagement zuteilwerden lassen. Wer ist Ihre Familie, Ihre Sippe oder Ihre Gruppe? Das Aufbauen, der Erhalt und die Pflege einer Gesunden Gemeinschaft sind ganz wesentlich, da wir unsere von Zweckbestimmtheit geprägte berufliche Tätigkeit ohne soziale Unterstützung nicht nachhaltig ausüben können. Das Gefühl, eng mit anderen Menschen verbunden zu sein über soziale Netzwerke, Freiwilligenprojekte oder Hobbys außerhalb der Arbeit, kann Sie in die Lage versetzen, Ihre Gedanken in Richtung von etwas Positivem zu lenken. Hier können Sie Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen, die Sie in schweren Zeiten unterstützen werden.

Der letzte Teil der Fürsorge für Ihr eigenes Ich umfasst Ihre Gesunden Finanzen. Finanzielle Verpflichtungen für die Familie, das Haus, die Gesundheit und (in vielen Fällen) umfangreiche Schulden aus dem Studium lasten jeden Tag sehr schwer auf uns. Der erste Schritt auf dem Weg zum finanziellen Wohlbefinden ist das Erkennen des Status quo, so dass wir einen konkreten Plan auf der Basis unserer Ziele erstellen können. Realistische Ziele und das strikte Einhalten eines Plans erhöhen dabei die Wahrscheinlichkeit, dass Sie spezifische finanzielle Ziele tatsächlich erreichen und geben Ihnen eine stabile Basis, um in die richtige Richtung weiterzugehen. Sie müssen erkennen und ehrlich analysieren, wo Sie jetzt stehen, um den richtigen Langzeitplan für Ihr finanzielles Wohlbefinden erstellen zu können. Die Unterstützung eines Finanzberaters kann hilfreich sein, um von Beginn an den richtigen Weg einzuschlagen.

LASTing im tierärztlichen Beruf

In Krisensituationen können verschiedene Hilfsmittel zur Unterstützung der Bewältigung eingesetzt werden. Die Listen- Accept-Seek-Test-Methode (L.A.S.T.) kann in solchen Momenten äußerst hilfreich sein.
Abbildung 6. In Krisensituationen können verschiedene Hilfsmittel zur Unterstützung der Bewältigung eingesetzt werden. Die Listen- Accept-Seek-Test-Methode (L.A.S.T.) kann in solchen Momenten äußerst hilfreich sein.© Shutterstock

Der Fürsorgeplan kann ein hervorragendes Langzeithilfsmittel zur Unterstützung der Aufrechterhaltung Ihrer Gesundheit und Ihres Wohlergehens sein. In Anbetracht der Tatsache, dass wir das Risiko der Mitgefühlserschöpfung nicht vollständig aus unserer täglichen Arbeit verbannen können, müssen wir aber auch über Tools und Ressourcen verfügen, die uns in akuten Krisensituationen helfen (Abbildung 6). Ein solches Tool ist das bei Banfield entwickelte Akronym L.A.S.T., das für „Listen“ (Hören), „Accept“ (Akzeptieren), „Seek“ (Suchen), „Test“ (Probieren) steht. Eine hilfreiche Eselsbrücke in der englischen Sprache lautet: „If I want to last in this profession, I need to LAST.” Wenn Sie die unten näher erläuterten Schritte der LAST-Methode gehen, kann Ihnen dies helfen, Ihre blockierten Emotionen in der akuten Krisensituation zu lösen.

Wenn Sie das Sprechzimmer verlassen nach einem emotionalen Fall, einem verärgerten Kunden oder einer Euthanasie, kann Ihr erster Instinkt sein, Ihre Emotionen abzuschotten (Kompartimentierung), um so über den Tag zu kommen. Unser Beruf verlangt zwar eine gewisse Fähigkeit zur Abschottung, dies bedeutet aber nicht, dass diese Strategie keinen Tribut von unserem Wohlergehen fordert. Wenn Sie das nächste Mal in einer solchen Situation sind, versuchen Sie, eine Minipause einzulegen, und hören („Listen“) Sie auf Ihren Körper. Vielleicht schmerzt Ihr Rücken, oder Sie sind hungrig oder traurig oder frustriert. Alle diese Empfindungen sind real und müssen dementsprechend berücksichtigt werden.

Nach dem Hören, ist es an der Zeit, zu akzeptieren („Accept“). Das mag abstrakt erscheinen, oft behandeln wir uns selbst aber sehr hart, indem wir Dinge zu uns sagen wie: „Ich bin der Arzt, ich darf nicht weinen“ oder „Ich habe viel zu viel zu tun, um jetzt eine Pause für das Mittagessen machen zu können“ oder „Mein Rücken tut weh, aber das halte ich schon aus“. Oft gelingt es uns während unserer geschäftigen Arbeitstage nur schwer, zu akzeptieren, wie es uns tatsächlich geht. Es ist aber ganz entscheidend, dass wir dies akzeptieren, ohne uns dabei selbst zu verurteilen.

Nachdem Sie die Situation akzeptiert haben, müssen Sie einen Plan suchen („Seek“). Anstatt sich selbst dafür zu verurteilen, wie Sie sich fühlen, denken Sie über mögliche Lösungen nach. Vielleicht müssen Sie sich irgendwohin zurückziehen, um zu weinen, oder Sie suchen die Unterstützung eines Kollegen, oder Sie machen eine längere Pause, um etwas zu essen oder Sie nehmen sich fünf Minuten, um zu meditieren oder zu stretchen. Wichtig ist dabei nicht, dass Sie Ihre prekäre Gefühlslage sofort reparieren, sondern dass Sie überhaupt etwas versuchen. Was auch immer es ist, das Sie fühlen, es ist real, ob Sie sich nun selbst dafür verurteilen oder nicht. Wenn Sie diese Tatsache ignorieren und nichts tun, besteht die Gefahr, dass Ihre Emotionen und körperlichen Verletzungen akkumulieren.

Kimberly-Ann Therrien

Zur Unterstützung der Prävention emotionaler Überforderung empfiehlt es sich, einen Fürsorgeplan zu erstellen, mit dem Ziel, auf Ihr eigenes Ich zu achten, um so eine bessere Resilienz unter schwierigen Umständen sicherzustellen.

Kimberly-Ann Therrien

Im nächsten Schritt suchen Sie eine Lösung und probieren Sie diese aus („Test“). Wenn diese Lösung nicht zu helfen scheint, versuchen Sie beim nächsten Mal etwas anderes. Mitgefühlserschöpfung ist kein statischer Zustand, die Lösung kann also auch nicht statischer Natur sein. Ein reales, praktisches Beispiel für die Anwendung von LAST soll diese Zusammenhänge illustrieren:

Ich habe gerade die vierte Euthanasie des Tages hinter mir, und es ist Heiligabend. Zwei Stunden später als geplant setze ich mich in mein Auto, um nach Hause zu fahren. Ich fühle mich niedergeschlagen und habe Schwierigkeiten, mich auf das Fahren zu konzentrieren. Ich entscheide, dass es das Beste für mich wäre, anzuhalten und die LAST-Methode anzuwenden.

Listen: Ich stelle fest, dass ich den Atem angehalten habe, und ein schweres Gewicht auf meinem Brustkorb fühle, wenn ich atme. Meine Sicht ist leicht verschwommen und meine Kiefer schmerzen vom krampfhalten Zähnezusammenbeißen. Ich fühle eine tiefe Traurigkeit, die ich nicht abschütteln kann, weiß aber, dass ich schon zu spät bin für die geplante Weihnachtsfeier, was mir zusätzlich auch noch Schuldgefühle macht und mich sehr allein fühlen lässt.

Accept: Ich erkenne, dass ich, obwohl ich dafür bekannt bin, Euthanasien gut zu managen, die bei jedem dieser Fälle empfundene Traurigkeit lediglich in mich hineinfresse. Ich fühle mich überfordert, traurig und schuldig. Ich habe das dringende Bedürfnis zu schreien oder zu weinen.

Seek: Da ich das Bedürfnis verspüre zu schreien oder zu weinen, ist dies vielleicht der beste Weg. Ich versuche zunächst, einen Schrei auszustoßen, da dies leichter ist. Zunächst ist mir das ein wenig unangenehm und peinlich, da ich aber allein im Auto sitze und versuche, mich nicht selbst zu verurteilen, schreie ich immer lauter und lauter und weine schließlich.

Test: Nachdem ich mir selbst zugestanden hatte, einige Minuten lang in meinem Auto zu schreien und zu weinen, fühle ich, dass ich wieder leichter atmen kann. Ich fühle mich jetzt deutlich weniger von meinen Gefühlen überwältigt, nachdem ich einigen Emotionen, die mich den ganzen Tag belastet hatten, freien Lauf lassen konnte. Ich denke, der nächste Schritt ist, dass ich meine Augen trockne und nach Hause fahre, wo ich mit meinem Partner über meinen Tag sprechen werde und mich dann sicherlich nicht mehr so allein fühle.

Dieses beispielhafte Szenario soll verdeutlichen, wie Sie diese Methode in der akuten Krisensituation einsetzen können, um Ihre blockierten Emotionen zu lösen. Denken Sie aber daran, dass LAST nicht nur in extremen Krisensituationen eingesetzt werden sollte, denn auch kleine Momente und schwächere Emotionen addieren sich mit der Zeit. Je besser Sie werden bei der praktischen Umsetzung von Mindfulness und bei der frühzeitigen Lösung kleinerer emotionaler Blockaden, bereits wenn diese entstehen, desto größer sind Ihre Chancen, in diesem wunderbaren Beruf auch langfristig bestehen zu können. Am Ende des Artikels finden Sie eine Liste mit einigen hilfreichen Ressourcen wie Büchern, Webseiten und Apps.

Weitere Ressourcen

Webseiten

Apps

  • CALM – Mindful mediations and help falling asleep
  • Headspace – Mindful meditation
  • SAM – Self-help anxiety management
  • Happify – Evidence based activities and games to reduce stress and negative emotions

Während wir das Phänomen der Mitgefühlserschöpfung im tierärztlichen Beruf immer besser erforschen und verstehen, müssen wir auch damit beginnen, darüber nachzudenken, was wir tun können, um besser damit umzugehen. Die Definition der Mitgefühlserschöpfung und das Lernen, wie wir dieses Problem bei uns selbst und bei anderen erkennen können, ist dabei der erste Schritt. Suchen Sie das Gespräch mit Kollegen, wenn Sie Symptome feststellen, auch wenn zu erwarten ist, dass solche Gespräche schwierig sein werden. Erstellen Sie einen nachhaltigen Plan, wie Sie für Ihr eigenes Ich Sorge tragen können und wie Sie die vielschichtigen Auswirkungen der Mitgefühlserschöpfung über die Zeit verhindern können. Am wichtigsten aber, stellen Sie sicher, dass Sie in einer Krisensituation unmittelbar handeln können mit Hilfe des LAST-Akronyms. Wir verdienen unser Brot damit, dass wir Tieren und Menschen helfen, langfristig können wir das aber nur dann tun, wenn wir zunächst uns selbst helfen. Wer seine Bestimmung in diesem Beruf sieht, sollte deshalb nicht nur in der Lage sein zu überleben, es sollte ihm dabei auch gut gehen.

Literatur

  1. Bartram DJ, Baldwin DS. Veterinary surgeons and suicide: a structured review of possible influences on increased risk. Vet Rec 2010;166(13);388-397.
  2. Nett RJ, Witte TK, Holzbauer SM, et al. Notes from the field: Prevalence of risk factors for suicide among veterinarians — United States, 2014. Centers for Disease Control and Prevention. Morb Mortal Wkly Rep 2015;64(05);131-132.

Weiterführende Literatur

  1. Kabat-Zinn J. Full Catastrophe Living; Coping with stress, pain and illness, using mindfulness meditation. London, Piatkus, 2013.

  2. Fisher R, Ury W, Patton B. Getting to Yes Without Giving In. Bicester UK; Baker and Taylor, 2011.

  3. Kabat-Zinn J. Wherever You Go, There You Are. London, Piatkus, 2004.

  4. Figley C, Roop R. Compassion Fatigue in the Animal Care Community. Washington DC, Humane Society Press, 2006.

  5. Dana D. Conflict Resolution New York, MacGraw-Hill, 2001.

  6. Marshall Rosenberg Non-Violent Communication Encinitas, CA; PuddleDancer Press, 2015.

Kimberly-Ann Therrien

Kimberly-Ann Therrien

Dr. Therrien schloss ihr Studium an der University of Montreal ab und kam 2006 als Tierärztin zu Banfield Pet Hospital, wo sie in verschiedenen Positionen Mehr lesen

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Nach Abschluss ihres Studiums an der University of Minnesota im Jahr 2008 arbeitete Dr. Novara in der Kleintierpraxis, bevor Sie führende Positionen bei Mehr lesen

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