Renale Proteinurie bei Katzen
Proteinurie ist ein häufiger und klinisch relevanter Befund bei der Harnanalyse...
Ausgabe nummer 30.1 Nephrologie
veröffentlicht 25/06/2020
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Die Fütterung proteinreduzierter Diätnahrungen ist seit vielen Jahrzehnten der Grundpfeiler der therapeutischen Strategie bei Katzen mit Nierenerkrankung. Nach wie vor wird dieser diätetische Therapieansatz aber kontrovers diskutiert. Meredith Wall und Nick Cave geben einen Überblick über den aktuellen Wissensstand und einige Tipps für den praktischen Tierarzt.
Nach aktuellem Wissensstand ist eine Proteinrestriktion bis nahe an den diätetischen Mindestbedarf bei Katzen mit CNE ab den Stadien 2 und 3, und im Falle einer Proteinurie auch früher angezeigt.
Mögliche Vorteile einer proteinreduzierten Nahrung sind eine Reduzierung der Akkumulation stickstoffhaltiger Stoffwechselendprodukte und schädlicher urämischer Toxine, eine Reduzierung der Proteinurie und eine Minderung des oxidativen Stresses der Nieren.
Zu Hause zubereitete oder auf rohem Fleisch basierende Nahrungen können sehr proteinreich sein. Um die Eignung solcher Nahrungen zu garantieren, sollte ein Fachtierarzt für Tierernährung und Diätetik hinzugezogen werden.
Hohe Aufmerksamkeit sollte der Überwachung von Appetit, Kalorienaufnahme, Körpergewicht, Körperkondition und Bemuskelung gewidmet werden, um das Risiko einer Protein-Energie-Malnutrition zu minimieren.
Die chronische Nierenerkrankung (CNE) ist ein in der Katzenpraxis häufig auftretendes Problem 1 2. Bei Katzen über 15 Jahren wird eine Prävalenz dieser Erkrankung von über 30 % festgestellt 3. In der Mehrzahl aller Fälle kann die zugrundeliegende Ätiologie zum Zeitpunkt der Diagnose nicht geklärt werden, selbst wenn eine histopathologische Untersuchung durchgeführt wird 1. Bei allen Spezies ist CNE in vielen Fällen progressiver Natur, es handelt sich aber auch um einen auffallend dynamischen und heterogenen Krankheitsprozess, der – insbesondere bei Katzen – durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wird, die zu einem großen Teil unentdeckt bleiben 1 4.
Trotz dieser großen Variabilität war die diätetische Therapie über die vergangenen 60 Jahre der Grundpfeiler der CNE-Behandlung bei Katzen 4 5 6 7. Die Fütterung einer Nierendiätnahrung (entweder formuliert von einem veterinärmedizinischen Ernährungsexperten oder kommerziell hergestellt für die diätetische Behandlung von Tieren mit Nierenerkrankung) wird bei Katzen mit CNE der IRIS-Stadien 2 bis 41 (Tabelle 1) gegenwärtig als Therapiestandard betrachtet 8. Das diätetische Management gilt heute in der Tat als die therapeutische Maßnahme, die das Langzeitüberleben und die Lebensqualität von Katzen mit CNE der IRIS-Stadien 3 und 4 am wahrscheinlichsten verbessern kann 8. Nierendiätnahrungen unterstützen zudem die Verbesserung oder die Prävention der klinischen Folgen von CNE und Urämie, verlangsamen das Fortschreiten der Erkrankung, minimieren Störungen des Elektrolyt- und Mineralstoffhaushaltes sowie des Säure-Basen-Gleichgewichts und sorgen nicht zuletzt für den Erhalt des Körpergewichts sowie einer adäquaten Körper- und Muskelkondition. Die Einleitung einer Therapie mit einer Nierendiätnahrung ist auch Teil der Standardbehandlung der Proteinurie bei Katzen (Tabelle 2) 8.
Stadium
Blutkreatinin µmol/l (mg/dl)
Risikopatient*
< 140 (< 1,6)
1
< 140 (< 1,6)
2
141-250 (1,6-2,8)
3
251-440 (2,9-5,0)
4
> 440 (> 5,0)
Protein/Kreatinin-Verhältnis im Harn
Substadium
< 0,2
Keine Proteinurie
0,2-0,4
Grenzwertige Proteinurie
> 0,4
Proteinurie
1 http://iris-kidney.com/guidelines/index.html
Trotz der weithin anerkannten Rolle von Nierendiätnahrungen bei Katzen wird ihre Anwendung weiterhin auch kontrovers diskutiert, insbesondere, was die Restriktion des diätetischen Proteins betrifft. Die zunehmende Beliebtheit von rohen, proteinreichen und getreidefreien Tiernahrungen hat zu einer Abnahme des Interesses an der Anwendung proteinreduzierter Nierendiätnahrungen geführt. Zudem gibt es ein wachsendes Bewusstsein über die potenziellen Risiken proteinarmer Nahrungen, wie zum Beispiel die Protein-Energie-Malnutrition (PEM). Nach wie vor ist es eine große Herausforderung, die potenziellen Vorteile einer diätetischen Proteinrestriktion vollumfänglich zu evaluieren und dabei die Frage zu beantworten, ob diese Vorteile die möglichen Risiken überwiegen. Ein Grund für diese Unsicherheit ist die unzureichende Forschung bei der Spezies Katze, so dass zum Teil auf Ergebnisse von Studien bei Hunden, Menschen oder anderen Spezies zurückgegriffen werden muss, was offensichtlich kein idealer Zustand ist. Vor diesem Hintergrund gibt es drei zentrale Fragen, die beantwortet werden müssen:
1. Sollten wir die diätetische Proteinaufnahme bei Katzen mit CNE reduzieren?
2. Wenn ja, in welchem Maß sollten wir die Proteinzufuhr einschränken?
3. Wann sollten wir die Proteinaufnahme reduzieren?
Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zunächst die Vorteile einer Proteinrestriktion gegenüber ihren Risiken abwägen, den Proteinbedarf von gesunden Katzen und von Katzen mit CNE kennen und schließlich eine ganze Reihe von individuellen Faktoren berücksichtigen, wie zum Beispiel den Appetit des Tieres, begleitende Erkrankungen und deren Prognosen, aber auch das Alter der Katze.
Die Einschränkung der diätetischen Proteinaufnahme zur Verbesserung der klinischen Symptome einer Urämie gilt seit vielen Jahren als „Best Practice“ und wird bei Katzen mit fortgeschrittener Nierenerkrankung durch starke Evidenzen gestützt. Zahlreiche Studien zeigen, dass die Fütterung einer Nierendiätnahrung bei Katzen mit CNE zu einer Reduzierung des Blutharnstoffstickstoffs (BUN) und erkennbaren klinischen Vorteilen führt, einschließlich einer höheren Überlebenszeit. Ob aber tatsächlich die Proteinrestriktion (und nicht etwa andere Charakteristika einer Nierendiätnahrung) zu dieser Erhöhung der Überlebenszeit beiträgt, ist nach wie vor Gegenstand einer kontroversen und gelegentlich auch sehr hitzig geführten Debatte. Unklar ist nach wie vor, wie toxisch Harnstoff bei Katzen ist. Nachdem Harnstoff früher als biologisch inert gegolten hatte, wird dieses Stoffwechselprodukt bei Menschen heute in den bei einer CNE auftretenden Konzentrationen als direkt toxisch betrachtet 9. Direkt mit der Harnstoffkonzentration assoziiert werden beispielweise eine veränderte Insulinsensitivität, eine gesteigerte Produktion freier Radikale und die Einleitung von Apoptose, wobei auch von Harnstoff abstammende Metaboliten zu diesen Veränderungen beitragen könnten. Nachzuweisen bleibt jedoch, ob Harnstoff im Plasma von Katzen mit CNE tatsächlich ausreichend hohe Konzentrationen erreicht, um entsprechende direkte Effekte zu haben 2 4 7 10.
Eine Proteinrestriktion kann auch im Falle einer Proteinurie von Vorteil sein, obgleich auch dies umstritten ist. So soll eine diätetische Proteinrestriktion die glomeruläre Hämodynamik und Permselektivität verändern und auf diese Weise den glomerulären Filtrationsdruck reduzieren und den Proteinverlust in das Filtrat mindern. Bei anderen Spezies wird ein lineares Verhältnis zwischen einer Reduzierung der diätetischen Proteinaufnahme und einer Abnahme der Proteinurie beobachtet 11. In einer Studie, in der Katzen mit spontaner CNE im IRIS-Stadium 2 und 3 entweder eine proteinreduzierte Nierendiätnahrung oder eine Erhaltungsnahrung erhielten, wurden keine Unterschiede des Proteinuriegrades festgestellt 7. Möglich ist, dass die hämodynamische Antwort der Niere mit zunehmender Einschränkung der Nierenfunktion außer Kraft gesetzt wird oder dass sie abhängig ist von den in den Proteinen enthaltenen spezifischen Aminosäuren oder weiteren, bislang unbekannten Faktoren.
Unter experimentellen Bedingungen konnte gezeigt werden, dass eine diätetische Proteinrestriktion die Genexpression einiger Proteine reduziert, die eine wichtige Rolle beim Fortschreiten der chronischen Nierenerkrankung haben sollen, wie zum Beispiel der Platelet-Derived Growth Factor und der Transforming Growth Factor β im Glomerulum 12. Unklar ist, ob diese herabgesetzte Genexpression die direkte Folge einer Verbesserung der Proteinurie ist oder auf andere Effekte der diätetischen Proteinrestriktion zurückzuführen ist, wie zum Beispiel eine reduzierte renale Ammoniakgenese 13.
Die jüngste Forschung fokussiert sich auf die Vorteile der Proteinrestriktion im Hinblick auf eine Reduzierung der Bildung urämischer Toxine. Urämische Toxine sind gelöste Substanzen, die normalerweise über die Nieren ausgeschieden werden, bei Patienten mit CNE aber akkumulieren und schädliche Effekte haben. So werden urämische Toxine sowohl bei Menschen, als auch bei zahlreichen weiteren Spezies mit einem beschleunigten Fortschreiten der Nierenerkrankung, der Entwicklung oder dem Fortschreiten kardiovaskulärer Erkrankungen, Erkrankungen der Knochen und neurologischen Komplikationen in Zusammenhang gebracht.
Harnstoff war das erste identifizierte urämische Toxin und hat nach heutiger Kenntnis sowohl direkte als auch indirekte toxische Effekte 14. Bis heute konnten über 130 verschiedene urämische Toxine identifiziert werden. Bei der Metabolisierung oral aufgenommener Nährstoffe wie L-Carnitin, Tryptophan und Tyrosin durch die Mikrobiota des Verdauungstraktes entstehen urämische Toxine oder entsprechende Vorläufersubstanzen, die dann wiederum im Körper zu Toxinen metabolisiert werden (Abbildung 1). Wichtige aus diätetischen Nährstoffen stammende urämische Toxine sind Trimethylamin-N-Oxid, p-Cresyl-Sulfat und Indoxyl-Sulfat. Methylguanidin (ein Nephro- und Neurotoxin) erhöht nachweislich oxidativen Stress und beschleunigt die Apoptose neutrophiler Granulozyten bei Hunden 15.
Indoxyl-Sulfat entsteht durch hepatische Sulfatierung von Indol, das aus dem Darm absorbiert wird, wo es durch bakterielle Metabolisierung von diätetischem Tryptophan gebildet wird. Beschrieben wird, dass Indoxyl-Sulfat eine mitochondriale Dysfunktion induziert, die zu erhöhter Produktion reaktiver Sauerstoffspezies und oxidativer Schädigung der renalen Gefäßversorgung führt 16. Die Folgen sind eine Entzündung und eine Schädigung der renalen Tubuluszellen, eine Förderung der renalen Fibrose und ein Fortschreiten von Glomerulosklerose 17. Darüber hinaus kann eine Akkumulation von Indoxyl-Sulfat zu Sarkopenie (Abbau von Muskelmasse) beitragen. Eine Erhöhung der diätetischen Proteinzufuhr in einem Versuch, die fettfreie Körpermasse (Muskelmasse) aufrechtzuerhalten, kann also unter Umständen eine Sarkopenie fördern oder verstärken und somit zu Morbidität und letztlich zur Mortalität beitragen 18. Die Indolbildung ist jedoch sowohl von der Masse des im Darm verfügbaren Tryptophans als auch von der Anzahl der Indol bildenden Darmbakterien abhängig. Der Effekt einer Proteinrestriktion variiert also in erheblichem Maße zwischen individuellen Katzen mit unterschiedlicher intestinaler Mikrobiota.
Die Beurteilung der klinischen Auswirkungen verschiedener urämischer Toxine bei Katzen erfordert weitere Untersuchungen. Gezeigt werden konnte jedoch, dass Indoxyl-Sulfat bei Katzen mit CNE im Vergleich zu gesunden Kontrolltieren erhöht ist 17. Die Feststellung, dass Katzen mit CNE im IRIS-Stadium 2 (und auch in den Stadien 3 und 4) signifikant höhere Serumkonzentrationen von Indoxyl-Sulfat aufweisen, deutet darauf hin, dass eine gewisse diätetische Proteinrestriktion bereits ab dem IRIS-Stadium 2 von Vorteil sein könnte. Bei humanen Patienten wird unter stark proteinrestriktiver Diät eine signifikante Abnahme der aus Proteinen stammenden urämischen Toxine beobachtet: In einer entsprechenden Studie war Indoxyl-Sulfat um 69 % reduziert 19. Vieles wissen wir aber noch nicht über urämische Toxine und ihre Effekte bei Katzen mit Nierenerkrankungen. Die aktuelle Forschung liefert uns jedoch einige schlüssige Evidenzen, die für eine frühzeitige und kontrollierte Reduzierung nicht-essenzieller diätetischer Proteine sprechen.
Ungeachtet der oben genannten Vorteile einer diätetischen Proteinrestriktion, gibt es begründete Bedenken, dass proteinarme Nierendiätnahrungen feline Patienten für einen Gewichtsverlust und einen Verlust an fettfreier Körpermasse (Muskelmasse) prädisponieren könnten. Protein-Energie-Malnutrition, ein unterschätztes Problem bei CNE, ist zweifellos das größte Risiko im Zusammenhang mit einer diätetischen Proteinrestriktion 4. Das Expertengremium der International Society of Renal Nutrition and Metabolism definiert Protein-Energie-Malnutrition als „einen Zustand verminderter Körperproteinspeicher und Energiereserven (Körperprotein und Körperfettmasse)“ 20. Die Ursachen der Protein-Energie-Malnutrition sind multifaktoriell und umfassen sowohl nutritive als auch nicht-nutritive Mechanismen.
In der Humanmedizin konnten die Bedenken hinsichtlich proteinrestriktiver Diäten und Protein-Energie-Malnutrition weitgehend ausgeräumt werden durch einige Studien, die zeigen, dass sorgfältig geplante Low-Protein-Diäten (die von motivierten Patienten exakt eingehalten werden) klinisch wirksam sind und nicht zur Entstehung einer Protein-Energie-Malnutrition führen 21. Gut etabliert ist in diesem Zusammenhang, dass eine Proteinrestriktion bis hinunter auf die für einen gesunden Erwachsenen empfohlene Proteinmindestzufuhr eine Protein-Energie-Malnutrition mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht fördert, immer unter der Voraussetzung, dass die Proteinquellen hochverdaulich sind, eine hohe biologische Wertigkeit haben und der Patient insgesamt ausreichend Nahrung aufnimmt, um seinen Energiebedarf zu decken 22.
Auch in Studien an Katzen mit spontaner CNE, die therapeutische Diätnahrungen mit restriktivem Proteingehalt erhielten, wurden über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren keine negativen Auswirkungen auf das Körpergewicht oder den Body Condition Score festgestellt 6. Bei alternden Katzen und bei Katzen mit CNE kommt es häufig zu einem Verlust von Körpergewicht und fettfreier Körpermasse. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber die Erkenntnis, dass die naheliegende Lösung nicht unbedingt in einer Erhöhung der diätetischen Proteinzufuhr besteht, da einige der von Aminosäuren abstammenden urämischen Toxine anorexigen wirken und darüber hinaus eine urämische Sarkopenie fördern und das Fortschreiten der Nierenerkrankung beschleunigen können 23 (Abbildung 2).
Eine weitere Sorge im Zusammenhang mit der diätetischen Proteinrestriktion ist die Schwierigkeit einer objektiven Beurteilung des aktuellen Proteinstatus einer Katze in der Praxis. Das Muscle-Condition-Scoring ist ein relativ subjektives Beurteilungssystem, und in vielen Fällen wird eine sorgfältige nutritive Beurteilung von Patienten nicht ausreichend regelmäßig durchgeführt. Die Empfehlungen für Menschen mit CNE umfassen eine sorgfältige monatliche Beurteilung des Ernährungsstatus einschließlich Appetit, diätetische Proteinaufnahme, Energieaufnahme, Körpergewicht und Muskelmasse sowie verschiedener Harn- und Serummarker. Bei Katzen mit CNE hätte eine routinemäßige Überwachung des Ernährungsstatus, insbesondere der Energiezufuhr, sicherlich ähnliche Vorteile, insbesondere was die Möglichkeiten einer Früherkennung jeglicher auftretender Probleme betrifft. Bekannt ist, dass Aminosäuren aus der Muskulatur für die Glukoneogenese herangezogen werden, wenn keine adäquate Kalorienzufuhr stattfindet. Wird der Energiebedarf nicht gedeckt, entsteht somit eine katabole Stoffwechsellage, die zu einem Verlust von fettfreier Körpermasse führt und möglicherweise zu einer klinischen Verschlechterung.
Im Vergleich zu anderen Karnivoren haben Katzen einen hohen diätetischen Proteinbedarf, um ihren Proteinturnover zu sichern und ihre relativ hohe Glukoneogenese-Rate zu bedienen 24. Bei sämtlichen Überlegungen zum adäquaten Grad der Proteinrestriktion, müssen wir also verstehen, wie hoch der Proteinbedarf einer gesunden adulten Katze ist und inwieweit dieser Proteinbedarf bei einer Katze mit CNE davon abweichen könnte.
Meredith J. Wall
Der vom National Research Council (NRC) festgelegte Mindestbedarf für Protein und Aminosäuren wurde auf der Basis von Daten wachsender Katzenwelpen, verschiedener Studien zur Stickstoffbilanz und anderer Parameter ermittelt. Die vom NRC für adulte Katzen empfohlene diätetische Proteinaufnahme von 50 g /1000 kcal ME (metabolisierbare Energie) entspricht einer 25 %igen Steigerung des absoluten physiologischen Mindestbedarfes, um Variationen der Verdaulichkeit und der Bioverfügbarkeit Rechnung zu tragen. Zur Berücksichtigung von Verlusten während der Herstellung und Lagerung von Futtermitteln und der geringeren Verdaulichkeit einiger in kommerzieller Nahrung enthaltenen Inhaltsstoffe wurden spezifische Nährstoffprofile erstellt, die Association of American Feed Control Officials (AAFCO) Dog and Cat Food Nutrient Profiles. Bei der Berechnung des AAFCO-Mindestbedarfs wurde eine weiterer „Sicherheitszuschlag“ hinzugefügt, so dass der Mindestproteinbedarf für adulte Katzen in dieser Leitlinie mit 65 g / 1000 kcal ME angegeben wird. Dieser erhöhte Zuschlag sichert eine adäquate Aufnahme von Protein und Aminosäuren bei den meisten Katzen, stets unter der Voraussetzung, dass der Kalorienbedarf gedeckt wird.
Nick Cave
Für eine verlässliche Festlegung des Proteinmindestbedarfes von Katzen mit spontaner CNE gibt es bislang leider zu wenige klinische Forschungsdaten, und Studien zum Vergleich des Proteinbedarfs von Katzen in den verschiedenen CNE-Stadien fehlen vollständig. Man geht jedoch davon aus, dass der Proteinbedarf von Katzen mit CNE dem Proteinmindestbedarf gesunder Katzen ähnelt 4. In einer Studie wurde festgestellt, dass der diätetische Proteinbedarf von Katzen mit spontaner chronischer Nierenerkrankung bei etwa 20 %, bezogen auf die metabolisierbare Energie liegt 25. Kommerzielle Nierendiätnahrungen enthalten typischerweise etwa 55-95 g Protein/ 1000 kcal ME 26 oder etwa 22-24 % Energie aus Protein, bezogen auf die ME. Diese Menge liegt über dem vom NRC empfohlenen Proteinanteil von 50 g Protein /1000 kcal ME für adulte Katzen, aber unterhalb des häufig in üblichen Erhaltungsnahrungen verwendeten Gehaltes von etwa 80-120 g Protein / 1000 kcal ME.
Viele Katzenbesitzer wissen nicht, dass die meisten kommerziellen Nierendiätnahrungen den von der AAFCO empfohlenen Proteinmindestbedarf decken, mit einigen wenigen Ausnahmen. Darüber hinaus sind sorgfältig arbeitende Hersteller von Tiernahrung in der Lage, die Verdaulichkeit und das Aminosäureprofil kommerzieller Nierendiätnahrungen zu optimieren, um so eine hohe Proteinqualität und eine adäquate Nährstoff- und Energieversorgung sicherzustellen. Wünschenswert wären natürlich weitere Forschungsbemühungen zum Proteinbedarf von Katzen in verschiedenen Stadien der spontanen CNE. Gegenwärtig gibt es aber keinen Grund für die Annahme, dass der Grad der Proteinrestriktion in kommerziellen Nierendiätnahrungen unangemessen oder übermäßig stark ist oder dass die in diesen Produkten eingesetzte Proteinrestriktion das Risiko für eine Protein-Energie-Malnutrition steigern wird, immer unter der Voraussetzung einer adäquaten Kalorienaufnahme der Katze.
Es ist unwahrscheinlich, dass eine hochgradige Proteinrestriktion bereits in den sehr frühen Stadien einer nicht-proteinurischen felinen CNE (IRIS-Stadium 1) erforderlich ist. Dieses Stadium kann jedoch ein guter Zeitpunkt sein für eine allmähliche Umstellung der Ernährung von einer bislang sehr proteinreichen Fütterung auf eine Nahrung mit etwas moderaterem Proteingehalt. Wenn die Katze bislang üblicherweise rohe oder (gefrier-)getrocknete Nahrung bekommen hat, sollte zudem sichergestellt werden, dass sie auch kommerzielle Feuchtnahrung und/oder Trockennahrung akzeptiert.
Ein Hinauszögern der diätetischen Proteinrestriktion, bis die Katze beginnt, klinische Symptome einer Urämie zu zeigen – typischerweise im späteren IRIS-Stadium 3 oder im IRIS-Stadium 4 – ist nicht ratsam und kann zu metabolischen Störungen aufgrund einer unentdeckten Akkumulation urämischer Toxine oder sogar zur Entwicklung einer manifesten urämischen Krise führen. Die Einleitung einer Proteinrestriktion auf dem Level von Nierendiätnahrungen sollte also bereits im IRIS-Stadium 2 einer CNE beginnen (zusammen mit einer diätetischen Phosphorrestriktion), da sie zu diesem Zeitpunkt das Fortschreiten der CNE verlangsamen, das Einsetzen urämischer Symptome verzögern und die Akzeptanz diätetischer Modifikationen erleichtern kann. Da die meisten kommerziellen Nierendiätnahrungen den Proteinmindestbedarf von Erhaltungsnahrungen für adulte Tiere überschreiten, gibt es zudem weder einen Grund, die Fütterung dieser Produkte in den frühesten Stadien zu vermeiden, noch irgendein überzeugendes Argument für eine schrittweise Steigerung der Proteinrestriktion mit fortschreitender Erkrankung.
Eine Studie untersuchte die Eignung von 28 zu Hause selbst zubereiteten Diätnahrungen für Katzen mit CNE und fand heraus, dass kein einziges der verwendeten Rezepte alle empfohlenen Nährstoffkriterien des NRC für adulte Tiere erfüllte 5. Insbesondere gilt dies für den Proteingehalt dieser Nahrungen, denn die Autoren berichten, dass die Konzentrationen von Rohprotein oder mindestens einer Aminosäure bei 42,9 % der beurteilten Rezepte niedrig waren. Damit soll nicht gesagt werden, dass zu Hause selbst zubereitete Diätnahrungen kommerziellen Diätnahrungen nicht gleichwertig sein können, sondern lediglich, dass Erstere mit besonders großer Sorgfalt formuliert werden müssen. Wird die Fütterung mit einer zu Hause selbst zubereiteten Nahrung in Betracht gezogen, wird deshalb dringend empfohlen, einen Fachtierarzt für Tierernährung und Diätetik hinzuzuziehen, um eine für das Alter und die Erkrankung des Patienten optimal geeignete Rezeptur sicherzustellen (Abbildung 3).
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Beliebtheit der Rohfütterung von Hunden und Katzen gibt es ein steigendes Interesse an der Fütterung rohfleischbasierter Diätnahrungen auch bei Katzen mit CNE. Die Bereitschaft, die Vorteile einer diätetischen Phosphorrestriktion anzuerkennen, ist heute zwar weit verbreitet, dagegen wird eine Proteinrestriktion jeglicher Art von den Befürwortern der Rohfütterung oft als unnötig und sogar potenziell schädlich betrachtet. Viele Besitzer glauben, dass die einzige notwendige Veränderung ihrer Fütterungspraxis in einem Austausch phosphorreichen Knochens gegen gemahlene Eierschalen besteht. Die meisten Rohnahrungen sind relativ schmackhaft, was sicherlich von Vorteil in Sachen Akzeptanz sein kann. Oft sind diese Futtermittel aber sehr reich an Protein (über 50 % der ME) und Phosphor. Eine sehr proteinreiche Nahrung mit einem deutlich oberhalb des Bedarfes einer Katze liegenden Proteinanteil wird wahrscheinlich die Bildung urämischer Toxine erhöhen und das Fortschreiten der Erkrankung fördern. Fleischreiche Nahrungen haben darüber hinaus einen ansäuernden Effekt, der sich in Anbetracht der Tatsache, dass einige Katzen mit CNE bereits eine metabolische Azidose aufweisen, negativ auswirken kann. Aus diesem Grund sind kommerzielle Nierendiätnahrungen so formuliert, dass sie alkalisierend wirken. Zudem ist es sehr schwierig, den Phosphorgehalt in fleischreichen Nahrungen in ausreichendem Maße zu reduzieren, insbesondere, wenn große Anteile mageren Fleisches wie Känguru, Pute oder Reh enthalten sind (Abbildung 4).
Trotz kontroverser Auffassungen hat eine diätetische Proteinrestriktion bei Katzen mit CNE wissenschaftlich gut belegte Vorteile, wie zum Beispiel eine Reduzierung stickstoffhaltiger Stoffwechselendprodukte und schädlicher urämischer Toxine, eine Verbesserung der Proteinurie, eine Reduzierung des oxidativen Stresses der Niere und eine Begrenzung der für eine CNE charakteristischen metabolischen Störungen. Der ideale Grad der Proteinrestriktion für Katzen mit CNE ist zwar immer noch unklar, kommerzielle Nierendiätnahrungen liefern jedoch eine moderate Menge qualitativ hochwertiger diätetischer Proteine, die den etablierten Mindestbedarf einer adulten Katze decken oder leicht übersteigen, und somit eine angemessene Sicherheitsspanne bieten. Es liegen keine Forschungsergebnisse vor, die dafür sprechen, dass proteinrestriktive Nierendiätnahrungen das Risiko für Protein-Energie-Malnutrition erhöhen, entscheidend ist aber die sorgfältige Sicherstellung einer adäquaten Energiezufuhr. Die heute verfügbaren Evidenzen sprechen dafür, dass eine Proteinrestriktion ab dem IRIS-Stadium 2 einer CNE von Vorteil sein kann oder möglicherweise sogar schon früher bei Katzen mit CNE im IRIS-Stadium 1, wenn eine Proteinurie nachzuweisen ist. Wie bei allen chronischen Erkrankungen der Katze sollte der Überwachung des Appetits, des Körpergewichts, der Körperkondition und der Bemuskelung eine hohe Aufmerksamkeit gelten, um das Risiko eines Katabolismus und eines Verlustes fettfreier Körpermasse zu reduzieren.
Watanabe H, Enoki Y, Maruyama T. Sarcopenia in chronic kidney disease: factors, mechanisms, and therapeutic interventions. Biol Pharm Bull 2019;42(9):1437-1445.
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