Es mag überraschen, dass es so viele Gründe gibt, nicht gleich zu Beginn der beruflichen Karriere eine eigene Praxis zu eröffnen, vor allem, wenn man bedenkt, von wie vielen Tierärzten genau dieser Weg in der Vergangenheit gewählt wurde. Aber die Zeiten haben sich geändert, und in den meisten Fällen ist es nicht ratsam, die Karriere anderer Personen zu kopieren. Tierarztpraxen haben sich in den vergangenen 20 Jahren signifikant verändert. Sie sind heute strukturierter und um größere Teams herum gebaut, die unterschiedliche Fachrichtungen abdecken.
Genau diese fachliche Expertise kostet auch mehr Geld! Außerdem sind Tierarztpraxen heute größer, liegen an gut ausgewählten Standorten und sind besser ausgestattet. Alle diese Faktoren verstärken noch die Hindernisse, strategisch “Einstiegsbarrieren” genannt, die den Aufbau einer eigenen Praxis besonders für Berufsanfänger so erschweren.
Das Risiko liegt nicht so sehr darin, vollkommen zu versagen, sondern vielmehr darin, nicht rasch genug ausreichend erfolgreich zu sein und so in einer suboptimalen Situation mit einer zu kleinen Praxis stecken zu bleiben, wodurch es unmöglich wird, mit der Zeit eventuell auftauchende Chancen nutzen zu können.
Allerdings gibt es vom eben beschriebenen Prinzip auch seltene Ausnahmen. Dies sind Situationen, wo zu einer außerordentlichen persönlichen und fachlichen Reife des jungen Tierarztes noch eine spezifische Gelegenheit, wie ein guter Standort oder aber ein bestimmtes erfolgversprechendes Geschäftsmodell kommt.
Solche Ausnahmefälle finden sich häufiger in aufstrebenden Märkten wie Südostasien, Lateinamerika oder Osteuropa, nicht aber in reifen Märkten wie Westeuropa, Nordamerika oder Japan. Für alle von Ihnen, die sich trotzdem auf das Abenteuer einer eigenen Praxis gleich von Beginn an einlassen wollen, wird die Lektüre dieser Sonderausgabe wertvolle Informationen liefern, die Ihnen helfen sollen, viele der lauernden Fallen zu umgehen.
Arbeit in einer Gruppenpraxis oder Einzelpraxis
Wenn Sie sich nicht für ein Internship entscheiden, sondern sich für Ihre erste Stelle als Tierarzt umschauen, so wird eine der wichtigsten Überlegungen zweifellos sein, in welchem Team Sie gerne arbeiten möchten. Denn die Menschen in diesem Team werden es sein, die die Arbeitsatmosphäre prägen und Ihnen die fachliche und psychologische Unterstützung angedeihen lassen, die entscheidend dafür ist, dass Sie gleich auf die richtige Spur gebracht werden. Nur so gewinnen Sie das Vertrauen, das für Ihre persönliche und berufliche Entwicklung notwendig ist. Neben dieser kleinen täglichen Arbeitsgruppe sollten Sie jedoch auch das größere Umfeld berücksichtigen, in dem Sie Ihre ersten Schritte als Tierarzt machen. Entscheiden Sie sich für eine kleine Praxis, mit etwa ein bis zwei Tierärzten? Oder ziehen Sie ein großes Tierarztunternehmen vor, mit Praxen an mehreren Standorten und Dutzenden bis Hunderten von Tierärzten?
Es sei allerdings gleich gesagt, dass die erstgenannte Variante deutlich häufiger ist als die zweite, da solche großen tierärztlichen Unternehmen nicht in allen Ländern bestehen. Wo es sie gibt, wie z.B. in den USA, in England, in Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland, betreiben diese nur die Minderheit der gesamten in diesen Ländern bestehenden Tierkliniken. Eine Ausnahme ist Skandinavien, wo der Markt von solchen riesigen Gruppenpraxen dominiert wird. Es stellt sich also die Frage: Gibt es irgendwelche Vorteile oder Nachteile, wenn man seine berufliche Karriere in einer so großen Gruppenpraxis beginnt? Die Antwort fällt oft sehr nuanciert aus, aber es gibt einige wichtige Punkte, die je nach individuellen Umständen einen positiven oder einen negativen Einfluss ausüben können. Einstellpolitik und – was noch wichtiger ist – Integrationsphilosophie unterscheiden sich je nach Gruppen- oder Einzelpraxis. Gruppenpraxen gehen hier eher professionell vor, doch kann es durchaus auch Ausnahmen geben. Für Studienabgänger hätte die Arbeit in einer großen Gruppenpraxis den Vorteil, dass sie von einem Integrationsprozess profitieren, der die Eingewöhnung und Anpassung an interne Arbeitsweisen und Regeln erleichtert und adäquate Verhaltensweisen vorgibt. Dies kann sowohl prägend sein als auch eine gewisse Sicherheit vermitteln. Der Nachteil ist jedoch, dass die Freiheit und die Gelegenheiten, Eigeninitiative zu zeigen, begrenzt sind, weil medizinische Abläufe in der Regel standardisiert sind (genau das Ziel in größeren Gruppenpraxen). Dies verzögert das Gewinnen eigener, „echter” Praxiserfahrungen.