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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 2 Marketing und Verkauf

Der Tierarzt als Unternehmer (Teil 2)

veröffentlicht 03/05/2021

Geschrieben von Philippe Baralon , Antje Blättner , Pere Mercader und Mark Moran

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Die meisten Tierärzte fühlen sich nicht besonders wohl, wenn es um das Festsetzen von Preisen geht oder wenn sie etwas „verkaufen“ sollen - aber das ist normal! Dieses Kapitel zeigt Ihnen Strategien, wie Sie Produkte und Leistungen effektiv verordnen oder empfehlen können.

Der Tierarzt als Unternehmer

Kernaussagen

Tierärztliche Empfehlungen - ob für medikamentöse Behandlungen, chirurgische Eingriffe oder präventive Maßnahmen, - sollten nur ausgesprochen werden, wenn eine tatsächliche Notwendigkeit vorliegt und sollten stets auf einer  wissenschaftlich validen Grundlage basieren.


Vielen Tierärzten ist gar nicht klar, dass Rabatte die Profitabilität der Praxis erheblich beeinträchtigen.


Medikamente und Nahrung verkaufen

Als Tierarzt liegt Ihre Rolle darin, sich auf die medizinische und chirurgische Versorgung von Tieren zu konzentrieren. Das ist das Herzstück unseres Berufs. Es versteht sich von selbst, dass der wirtschaftliche Erfolg einer Tierarztpraxis auf der Qualität der Dienstleistungen und der Fähigkeit des Praxisteams, diese den Kunden proaktiv anzubieten, basiert (Abbildung 2). Als Tierarzt werden Sie also immer auch Medikamente, Nahrung oder Zubehör empfehlen und im besten Fall auch verkaufen. Aus diesem Grund wird in diesem Abschnitt die relative Bedeutung jener Faktoren beschrieben, die dazu beitragen, erfolgreich zu verschreiben und zu verkaufen.

Abbildung 2. Der wirtschaftliche Erfolg jeder Praxis basiert auf der Qualität der medizinischen Leistungen und der Fähigkeit des Teams, Medikamente, Futter und Zubehör erfolgreich zu empfehlen und verstärkt anzubieten. © Shutterstock

Es ist wichtig, an dieser Stelle anzumerken, dass es hinsichtlich der Verschreibung von Medikamenten und dem Verkauf von tiermedizinischen Dienstleistungen und pharmazeutischen Produkten beträchtliche Unterschiede in den nationalen Regelungen der einzelnen Länder gibt.

Fast immer umfasst die Bereitstellung tiermedizinischer Dienstleistungen die Empfehlung bzw. das Verschreiben von Medikamenten, Nahrungen und manchmal auch Zubehör. 

Wie diese Produkte verkauft werden können, variiert allerdings stark von Land zu Land.

  • Sogar innerhalb der Europäischen Union bestimmen nationale Vorschriften, ob es möglich ist oder nicht, empfohlene oder verschriebene Produkte zu verkaufen.
  • Je nach geltenden Wettbewerbvorschriften ist es Tierarztpraxen erlaubt oder nicht erlaubt, am freien Markt zu konkurrieren.
     

Die Bedeutung von Empfehlungen

In der praktischen Tiermedizin wird das Wort „empfehlen“ oft anstelle von „verkaufen wollen“ verwendet, weil das Wort „verkaufen“ für Tierärzte einen unguten Beigeschmack hat. Empfehlung bedeutet, dass man den Tierbesitzer davon überzeugt, dass angesichts des Gesundheitszustandes des Tieres (physiologischer Zustand wie z.B. Trächtigkeit, Haltungsbedingungen, Krankheit, etc.) die vom Tierarzt vorgeschlagene Lösung die beste Option darstellt. Dieser Prozess ist ein rein kommerzieller, auch wenn es zu diesem Zeitpunkt nur darum geht, eine Idee zu verkaufen. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich Empfehlungen nicht nur auf Arzneimittel oder Medizinprodukte beziehen, sondern auch auf Futtermittel und spezifische Dienstleistungen. So wird man z. B. den Besitzer eines dreijährigen Yorkshire Terriers, der mit lokalisierter Gingivitis vorgestellt wird, empfehlen, dass sein Hund sehr von einer professionellen Zahnreinigung profitieren würde.
 
Wenn Tierärzte einem Patienten ein Medikament verabreichen oder seine Fressgewohnheiten ändern müssen – egal, ob als präventive oder therapeutische Maßnahme –, dann ist das ein rein fachliches Erfordernis. Empfehlungen können auch auf Hygieneprodukte erweitert werden, wenn dermatologische, orale oder dentale Erkrankungen vorliegen. Die Qualität der Empfehlung definiert das Ausmaß der Compliance vonseiten des Kunden. Deshalb ist es entscheidend sicherzustellen, dass der Kunde das Problem versteht und mit den Vorschlägen des Tierarztes einverstanden ist. Viele Complianceprobleme, über die Tierärzte sich beschweren, sind das Ergebnis eines mangelnden oder unzureichenden Empfehlungsprozesses.
 

Die Bedeutung des Vertriebs

Aus den genannten Gründen ist ein guter Empfehlungsprozess somit unverzichtbar. Eine Frage, die viele Tierärzte oft stellen, ist aber, ob es besser ist, die empfohlenen Produkte direkt abzugeben, also zu verkaufen (vorausgesetzt, dies ist gesetzlich erlaubt) oder sich eher auf Dienstleistungen und Empfehlungen zu konzentrieren. Zusammengefasst gibt es mindestens drei Vorteile des direkten Verkaufs von Medikamenten oder Futtermitteln (sofern erlaubt):
 
  • Für die Tierbesitzer ist es zweifelsohne von Vorteil und überaus praktisch, wenn sie die empfohlenen Produkte sofort mit nach Hause nehmen können. Dies steigert auch die Compliance. Dieses Konzept wird als „One-stop shopping“ (also etwa: alles aus einer Hand) bezeichnet und ist besonders wirksam, da es für die Kunden einfach praktisch ist.
  • Der zweite Nutznießer ist der Patient selbst, da er durch bessere Compliance die nötigen Produkte sofort bekommt, denn der Tierbesitzer muss nicht erst noch in eine Apotheke oder einen anderen Laden, sodass kein Risiko besteht, dass der Tierbesitzer etwas vergisst oder gar seine Meinung ändert.
  • Letztendlich bringt der Verkauf von medizinischen Produkten und Futtermitteln der Praxis zusätzliche Einnahmen, die je nach Konkurrenzsituation unterschiedlich hoch ausfallen können (siehe unten).
     

Erfolgreiche Empfehlungen

Ein erfolgreicher Empfehlungsprozess sollte drei Schlüsselelemente enthalten: Die Empfehlung sollte klar und eindeutig sein, sollte in fünf Schritten ablaufen und durch ein physisches Dokument untermauert sein.

Eine klare und eindeutige Empfehlung ist etwas komplett anderes als nach der Aufzählung möglicher Alternativen die finale Entscheidung dem Tierbesitzer zu überlassen. Letzteres wird in vielen Ländern regelmäßig praktiziert, und zwar oft aus ethischen Gründen, weil sich die Tierärzte bemühen, unabhängig zu bleiben von Pharmakonzernen und Futtermittelherstellern. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Empfehlung des Tierarztes klar und eindeutig sein muss. Das bedeutet, dass sie einen – und nur einen – Namen eines empfohlenen Produktes enthalten darf, ergänzt durch Empfehlungen zur Verabreichung. Diese Information ist von zentraler Bedeutung, um eine gute Compliance sicherzustellen und insbesondere um zu garantieren, dass der Kunde auch wirklich verstanden hat (Tabelle 7).

 
Tabelle 7. Die fünf Stadien des Empfehlungsprozesses.
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Zunächst muss der Tierarzt die Bedürfnisse des Tieres definieren und dem Tierbesitzer erklären und Zeit geben zu verstehen, dass es sich nicht um eine Standardempfehlung handelt, sondern um eine individuell auf das Tier zugeschnittene Maßnahme. Ein Beispiel: „Da Sie ein zweijähriges Kind haben, das oft mit dem Hund spielt und noch zu jung ist, entsprechende Hygieneregeln zu verstehen, würde ich Ihnen sehr raten, den Hund monatlich mit... (hier nennen Sie das von Ihnen empfohlene Produkt) zu entwurmen.“
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Als Nächstes legt der Tierarzt weitere Erklärungen zu den Bedürfnissen des Tieres dar, z.B. „Um unsere Vermutung einer Futtermittelallergie bestätigen oder ausschließen zu können, schlage ich für maximal 8 Wochen eine Ausschlussfütterung vor. Dabei erhält Ihr Hund ausschliesslich eine spezielle Nahrung. Hört der Juckreiz nicht auf, können wir eine Futtermittelallergie ausschließen. Hört der Juckreiz aber auf, so können wir eine Futtermittelallergie vermuten. Und zur Sicherung der Diagnose erhält der Hund kurzzeitig wieder das gewohnte Futter, um zu sehen, ob der Juckreiz dann wiederkommt.“
 3
Der dritte Schritt ist die Formulierung der spezifischen Empfehlung unter Angabe des Produktnamens, der Dosierung und der Dauer der Maßnahme.
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Der vierte Schritt besteht in der informierten Zustimmung seitens des Tierbesitzers. Nach den ersten drei Stadien sollte der Kunde die fachliche Beurteilung des Falles und den wissenschaftlich fundierten Therapieplan des Tierarztes vollständig verstanden haben. Was nun noch fehlt, ist, dem Kunden die Kosten der vorgeschlagenen Lösung klar zu machen. Dies kann man als Gesamtbetrag für die einmalige Behandlung oder als regelmäßige Kosten (monatliche Kosten bleiben Kunden am besten im Gedächtnis) für die Präventivmaßnahmen (wie topische Applikation von Antiparasitika oder Spezialdiät) oder für Langzeitbehandlungen (bei chronischen Krankheiten oder Spezialdiäten) formulieren. Bevor wir die endgültige Einwilligung des Kunden in die vorgeschlagene Behandlung einfordern, sollten wir ihm Gelegenheit geben, noch Fragen zu stellen, um so sicher sein zu können, dass er die Situation vollständig verstanden hat.
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Abschließend ist es wichtig, die praktischen Aspekte der Empfehlung zu besprechen. Dazu zählen mögliche Unterschiede im Aussehen der Nahrung oder der Präsentation des empfohlenen Produktes, praktische Tipps zur Verabreichung und eine Anleitung zur Beobachtung des Tieres (klinische Symptome, Gewicht, etc.). Dies ist auch das Stadium, in dem eventuell gewünschte oder nötige Erinnerungen durch die Praxis angesprochen werden sollten.


Den Verschreibungsprozess in fünf Schritte aufzugliedern, mag pedantisch erscheinen, doch die Praxis zeigt, dass viele Tierärzte den ersten und letzten Schritt einfach weglassen. Das Hervorheben der Bedürfnisse des Tieres ist ein absolut essentieller Schritt, um sicherzustellen, dass der Kunde versteht, dass die ärztliche Verschreibung genau an den individuellen Gesundheitszustand des Tieres angepasst ist. Die Erklärung potenzieller praktischer Probleme (z.B. bei der Verabreichung von Medikamenten) trägt zu besserer Compliance bei und kann, wenn nötig, durch eine kleine Demonstration der Handhabung ergänzt werden. Obwohl das Konzept der informierten Zustimmung in allen ethischen Berufscodes enthalten ist, kann es Tierärzten oft schwer fallen, die Frage zu stellen: „Sind Sie mit dieser Behandlung/der Futterumstellung einverstanden?“ Immerhin darf man nicht vergessen, dass eine Empfehlung nur ein Vorschlag ist und dass der Tierbesitzer das letzte Wort hat – auch wenn es vom fachlichen Standpunkt aus keine Alternative gibt. Aus diesem Grund ist die ausdrückliche Zustimmung des Kunden unverzichtbar.

Ausstellen einer Verschreibung

Empfehlungen sollten immer schriftlich erfolgen (Figure 3), insbesondere, wenn es laut Vorschriften verpflichtend ist, ein Rezept auszustellen. Eine Verschreibung und/oder ein zusätzliches unterstützendes Dokument erfüllt drei Funktionen:

  • Gesetzliche Vorgaben: Wenn das Ausstellen eines Rezepts vorgeschrieben ist.
  • Kommunikation: Eine Verschreibung oder ein begleitendes Dokument fasst die wichtigsten besprochenen Punkte noch einmal zusammen. Dies hilft nicht nur dem Kunden, sich an die Empfehlungen des Tierarztes zu erinnern, sondern kann auch dazu dienen, anderen Personen, die auch an der Versorgung des Tieres beteiligt sind oder die die Entscheidungsfindung des Kunden beeinflussen, mit der nötigen Information zu versorgen.
  • Anleitung: Zur Unterstützung des Kunden bei der Durchführung der empfohlenen Behandlung kann man z.B. einen Behandlungskalender mitgeben, in dem alle Daten für die Verabreichung interner und externer Antiparasitika für das ganze Jahr vermerkt sind, oder man gibt dem Kunden z.B. einen Zeitplan für die Futterumstellung, eine Fütterungsempfehlung oder eine bebilderte Erklärung, wie man ein Ohrpräparat verabreicht, mit.
     
 
Abbildung 3. Empfehlungen sollten immer schriftlich erfolgen, auch wenn es laut Vorschriften nicht notwendig ist, eine Verschreibung auszustellen. © Shutterstock

Derlei Dinge vorzubereiten, kostet Zeit, die überarbeitete Tierärzte oft nicht haben. Daher ist es umso wichtiger, den Empfehlungsprozess zur Teamaufgabe zu erklären und zu sehen, was man davon delegieren kann. Obwohl das direkte Gespräch zwischen Kunde und Tierarzt in den ersten Phasen des Empfehlungsprozesse essentiell ist, ist es im Allgemeinen besser, diese letzten Schritte (Besprechung praktischer Punkte, Terminerinnerungen, etc,) dem unterstützenden Praxisteam zu überlassen, sofern ein solches Team besteht und Zeit hat. Gelegentlich kann es auch möglich sein, einen Teil des ersten Schrittes zu delegieren, z.B. Informationen zu den Bedürfnissen des Tieres zu sammeln (z.B. Fragebogen zur Lebensweise zur Erstellung präventiver Maßnahmen).

Der Empfehlungsprozess ist komplex und erfordert Schulung, Praxis und Erfahrung. Vielen Tierärzten ist anfangs nicht wohl bei den verschiedenen Schritten, insbesondere, wenn das Honorar angesprochen oder die informierte Zustimmung eingeholt werden muss. Doch in der Regel ändert sich dies mit der Zeit, wenn sie dementsprechend geschult wurden und den Empfehlungsprozess innerhalb ihres Teams üben konnten.

Wie man Produkte gut verkauft

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren von Praxen, die in der Lage und bereit sind, empfohlene Produkte zu verkaufen?
 
Die ersten Faktoren wurden bereits angesprochen: Der wichtigste Treiber für den Verkauf von Medikamenten und Nahrung ist die Empfehlung des Tierarztes. Ohne diese Empfehlung sind die Ergebnisse meist enttäuschend.
 
Das Zweitwichtigste ist die Äußerung eines ganz spezifischen Vorschlags, der es erst ermöglicht, den Kunden um Einverständnis zu fragen. Dies gilt insbesondere bei chronischen Krankheiten oder Präventivmaßnahmen. Sehen wir uns einmal zwei Beispiele an. Beim ersten Beispiel haben wir einen Katzenbesitzer davon überzeugt, dass sein Tier viermal jährlich entwurmt werden muss. Beim zweiten Beispiel haben wir einem Hundebesitzer empfohlen, die Ernährung seines siebenjährigen Golden Retriever auf eine Nahrung für ältere Hunde umzustellen. Es macht einen großen Unterschied, ob man dem ersten Tierbesitzer zwei oder vier Entwurmungstabletten anbietet oder ob man dem zweiten Tierbesitzer eine Probe des Senior-Futters mitgibt, damit dieser erst einmal testen kann, ob sein Hund das Futter mag, damit auch wirklich eine erfolgreiche Ernährungsumstellung durchgeführt werden kann. Im ersten Fall handelt es sich um eine spezifische Empfehlung, die eine finanzielle Transaktion umfasst, der der Kunde zuerst einmal zustimmen muss. Im zweiten Fall schafft die Abgabe einer Gratisprobe per se keine Gelegenheit, die Zustimmung des Kunden bestätigt zu erhalten.

Generell ist es so, dass bei Einhaltung eines guten Empfehlungsprozesses mit spezifischen Vorschlägen die Praxis in der Lage sein sollte, regelmäßig therapeutische Produkte zu verkaufen und langfristige Behandlungs- und Diätpläne erfolgreich zu etablieren. Das zweite Szenario ist allerdings nur selten dazu angetan, den Kunden wirklich voll einzubinden. Wenn nämlich der Zeitpunkt kommt, dass der Kunde Nachschub benötigt, so bieten sich vielleicht schon Konkurrenzprodukte an oder andere Vertriebskanäle, die mit der Tierarztpraxis in Wettbewerb treten. An dieser Stelle gewinnt der dritte Erfolgsfaktor, nämlich das Konkurrenzmanagement, an Bedeutung.
 
 
Pere Mercader

Der wichtigste Treiber für den Verkauf von Medikamenten und Nahrung ist die Empfehlung des Tierarztes. Ohne diese Empfehlung sind die Ergebnisse meist enttäuschend.

Pere Mercader

Der erste Schritt zum Verständnis der Konkurrenz ist die Identifizierung lokaler oder internationaler Mitbewerber. Diese Situation wird von Land zu Land und je nach Produkt unterschiedlich sein und hängt auch von den jeweils geltenden Vorschriften und vom Marktkontext ab. Im Allgemeinen ist die Konkurrenz bei weniger streng regulierten Produkten wie Tiernahrung oder nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten größer. Dies gilt insbesondere für gut bekannte, große Markennamen sowie für Großpackungen mit höherem Nennwert. Je nach Land besteht die lokale Konkurrenz aus Apotheken, Gartencentern oder Zoofachgeschäften und gelegentlich auch Supermärkten (obwohl diese hauptsächlich Produkte verkaufen, die kaum in Tierarztpraxen zu finden sind). Für praktisch alle Länder aber gilt die internationale Konkurrenz durch den Internet- Handel, über den man Normal- und Diätfutter sowie Medikamente (oft auch verschreibungspflichtige) beziehen kann. Um diesen Mitbewerb zu verstehen, müssen sich die Tierärzte ihres eigenen Angebots hinsichtlich Bequemlichkeit (Lokalisation, Öffnungszeiten, Lieferung) und insbesondere bezüglich des Preises bewusst sein.

Der zweite Schritt ist die Umsetzung einer Preisstrategie, die sicherstellen soll, dass die Tierarztpraxis in den genannten Punkten konkurrenzfähig bleibt. Angesichts der Preise, die der Mitbewerb für die vom Tierarzt empfohlenen Produkte verlangt, können sich Praxisinhaber einer Strategie nach dem Motto „Bei uns ist es auch nicht teurer als anderswo“ bedienen. Das bedeutet, dass die Preise sehr nahe an denen der Konkurrenz liegen und nur geringfügig höher sein sollten. Der Unterschied sollte in der Regel also sehr klein sein und sich nicht in Prozenten ausdrücken lassen können. Besonders in stark umkämpften Märkten konnte empirisch festgestellt werden, dass z. B. eine Preisdifferenz von 3 Euro bei Preisen zwischen 20 und 25 Euro akzeptabel ist. Das bedeutet, dass der Preis eines Produktes auf einem extrem stark umkämpften Markt (nämlich für nicht verschreibungspflichtige Medikamente und zunehmend auch verschreibungspflichtige Arzneimittel für Langzeitbehandlungen) nicht länger durch einen Standardaufschlag auf den Einkaufpreis festgesetzt werden kann, sondern dass der Verkaufspreis vielmehr von der Analyse des Mitbewerbs abhängt.

Somit wird ein dritter Schritt notwendig. Dieser umfasst die Etablierung einer zuverlässigen Einkaufsstruktur, die es der Praxis erlaubt, den besten Nettopreis vom Lieferanten zu erzielen, und zwar egal, ob es sich um pharmazeutische Unternehmen, Futtermittelhersteller oder den spezialisierten Großhandel handelt. Obwohl sich die Situation je nach Land unterscheiden kann, haben es Tierärzte in den verschiedensten Regionen der Welt erfolgreich geschafft, durch den Zusammenschluss mehrerer Praxen beim Einkauf äußerst konkurrenzfähige Einkaufsstrukturen zu schaffen.

Ist es rentabel?

Berücksichtigt man all das Gesagte, kann man sich durchaus fragen, ob dieser Aspekt des veterinärmedizinischen Bereichs auch wirklich rentabel ist, vor allem dann, wenn er im Vergleich zu den eigentlichen tiermedizinischen Leistungen einen relativ kleinen Teil ausmacht (Figure 4). Tatsächlich haben viele Tierärzte beschlossen, diesen Teil des Geschäfts zu ignorieren und sich stattdessen auf die rein medizinischen und chirurgischen Dienstleistungen zu konzentrieren. Dieser Entschluss basiert hauptsächlich auf den Kosten im Zusammenhang mit dem Verkauf von Produkten.
Abbildung 4. Kann man sich durchaus fragen, ob dieser Aspekt des veterinärmedizinischen Bereichs auch wirklich rentabel ist. © Shutterstock 

Um effizient verkaufen zu können, müssen Tierärzte Folgendes sicherstellen:

  • Ihre Praxis muss eine gute Lage haben, gut sichtbar sein, über einen großen Parkplatz und einen geräumigen und hellen Empfangsbereich verfügen, wo die Produkte attraktiv, aber mit minimalen Platzbedarf präsentiert werden (auch wenn die Vertriebslogistik häufige Lieferungen an die Praxis zu geringen Kosten ermöglicht).
  • An der Rezeption muss ausreichend Personal zur Verfügung stehen und die Öffnungszeiten müssen großzügig bemessen und für die Kunden praktisch sein.
  • Ein Lager für die Produkte sollte vorhanden sein; dies erfordert ein gewisses Umlaufkapital.
  • Der Tierarzt muss den Einnahmenstrom durch Beobachtung der Konkurrenz, Festsetzen der Verkaufspreise, Verhandeln der Einkaufspreise, etc. managen, was Zeit kostet.
     

Wie man sieht, sind die Gesamtkosten bzw. der Aufwand nicht unerheblich, sodass es verständlich ist, dass viele Tierärzte dadurch abgeschreckt werden. Dennoch: Wenn wir uns die eben genannten Anforderungen ansehen, so werden wir merken, dass Dinge wie gute Lage, gute Sichtbarkeit der Praxis mit ausreichend Parkplätzen und einem großzügigen, hellen Rezeptionsbereich sowie für die Kunden praktischen Öffnungszeiten und gutes Personal auch ganz generell für eine erfolgreiche medizinische und chirurgische Versorgung der Patienten notwendig sind. Die einzigen zusätzlichen Kosten bestehen in der Haltung eines Lagers (räumlich und finanziell) sowie im Management des Einnahmenstroms und eventuell in zusätzlichem Personal oder mehr Platz im Eingangsbereich. Unter diesem Aspekt gesehen lässt sich durchaus sagen, dass das aus dem Verkauf von Tiernahrung und Medikamenten stammende zusätzliche Einkommen dazu beiträgt, dass letztendlich deutlich mehr finanzielle Mittel zur Sicherstellung einer optimalen medizinischen Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen. 

Außerdem sei festgestellt, dass die Hauptkosten im Zeitaufwand bestehen, der notwendig ist, um die Kunden von den entsprechenden empfohlenen Produkten zu überzeugen. Wie aber bereits erwähnt, ist das Empfehlen von Produkten oder Behandlungen ein wesentlicher Bestandteil der tierärztlichen Tätigkeit, und zwar egal, ob diese Produkte und Behandlungen direkt vor Ort verkauft werden oder nicht. So betrachtet stellt sich die Frage: Warum soll man Produkte nicht verkaufen, wenn dies möglich ist?

Ein weiteres Argument, das oft angeführt wird, ist, ob es nicht besser ist, sich auf die Verbesserung oder Erweiterung der tierärztlichen Dienstleistungen zu konzentrieren und den Verkauf von Produkten den aggressiven Mitbewerbern zu überlassen. Natürlich ist die quantitative und qualitative Entwicklung der tiermedizinischen Leistungen sowie der Perfektionierung und Erweiterung durch neue, innovative Dienstleistungen eine wichtige Priorität, wenn es um das gesunde Wachstum einer Praxis/Klinik geht. Somit muss die eigentliche Frage lauten: Wie behindert der Verkauf von Produkten die Fähigkeit der Praxis, sich zu entwickeln und zu verbessern bzw. das Dienstleistungsangebot zu erweitern?

Die Antwort auf diese Frage ist komplexer als es scheint und variiert je nach klinischem Modell, wobei sie sich allemal auf Praxen in jenen Ländern beschränkt, wo der Verkauf von Medikamenten und/oder Futter gesetzlich erlaubt ist.

Dazu einige wichtige Überlegungen:
 
  • In Fachpraxen und -kliniken, die vorwiegend überwiesene Fälle behandeln, ist der Verkauf von Produkten eher Nebensache.
  • In kleinen Allgemeinpraxen mit beschränkten Räumlichkeiten und wenig Personal mag es praktischer sein, sich auf ein dienstleistungsbasiertes Modell zu konzentrieren. Dennoch ist es unter Umständen eine Überlegung wert, die mittelfristige Nachhaltigkeit dieser Modelle zu überdenken.
  • In mittleren und großen Tierarztpraxen mit ausreichend großem Empfangsbereich und einem kleinen Lagerraum kann ein Geschäftsmodell, das hochqualitative medizinische Dienstleistungen mit dem Verkauf von hochqualitativen Produkten zu konkurrenzfähigen Preisen kombiniert, wirtschaftlich sehr erfolgreich sein, da zwischen beiden ein enger Zusammenhang besteht. Die wirtschaftliche Leistung kann durch Aushandeln guter Einkaufspreise, Rationalisierung der Einkäufe und optimiertem Management von Konkurrenzpreisen und eigenen Verkaufspreisen noch weiter verstärkt werden. Dies lässt sich oft dadurch erzielen, dass sich mehrere Praxen für Einkäufe zusammenschließen und gemeinsam bestellen.

Ist es ethisch korrekt?

Die extremste Kritik an Tierarztpraxen, die Medikamente und Nahrung verkaufen, basiert auf ethischen Argumenten. Ist es nicht ein Interessenskonflikt, wenn Tierärzte Medikamente verschreiben und gleichzeitig abgeben? Wenn Tierärzte Produkte verschreiben und gleichzeitig verkaufen, geraten sie dann nicht in den Verdacht, von bestimmten Herstellern „gekauft“ worden zu sein? Diese Fragen, die in gleicher Weise auf Humanmediziner zutreffen, werden oft von politischen Entscheidungsträgern, Berufsverbänden und Konsumentenvereinigungen gestellt. 

Solange jedoch bestimmte einfache Regeln beachtet werden, scheint es ungerechtfertigt zu behaupten, dass Produktverkäufe generell gegen die Berufsethik verstoßen.

  • Empfehlungen (für Behandlungen, Präventivmaßnahmen, Hygienemaßnahmen und Ernährung) sollten nur ausgesprochen werden, wenn sie wirklich notwendig sind und auf wissenschaftlich fundierten Protokollen basieren. Diese Protokolle und Indikationen sollten mit dem gesamten Praxisteam besprochen und von diesem gut geheißen werden. Dabei sollte man sich an den Konsensus-Leitlinien der verschiedenen internationalen Expertengruppen (wie ESCCAP1 für Parasitologie oder ABCD2 für Infektionskrankheiten der Katze) orientieren. Zum Beispiel zeigt die nachstehende Abbildung 5 vier Schlüsselsituationen, in denen ein bestimmtes Futter als Präventivmaßnahme verschrieben werden sollte.
  • Produkte, die von der Praxis empfohlen werden, sollten gut ausgewählt sein und nur dann abgegeben werden, wenn sie dem Bedarf des in Behandlung stehenden Patienten entsprechen und von seriösen, bekannten Marken stammen.
  • Die Palette an Produkten, die angeboten werden, sollte begrenzt sein und sich auf die wichtigsten Indikationen beschränken. Tierarztpraxen sind Empfehlungsnetzwerke und sollten eine begrenzte Auswahl anbieten. Dies steht im Gegensatz zu Gartencentern, Zoohandlungen und Internetseiten, die reine Auswahlnetzwerke sind, aber keine Empfehlungen geben. Um diesen Unterschied aufrechtzuerhalten, sollten Tierarztpraxen der Versuchung widerstehen, selbst zu einer Gemischtwarenhandlung für Tierprodukte zu werden.
  • Die Preise der angebotenen Produkte sollten jenen anderer Anbieter vergleichbar sein, denn die Konkurrenzfähigkeit hinsichtlich der Preise ist ein zentraler Aspekt, wenn es um die ethische Qualität einer Dienstleistung geht.
     
1 European Scientific Committee on Companion Animal Parasites
2 Advisory Board on Cat Diseases
 
Abbildung 5. Vier optimale Gelegenheiten, präventive diätetische Maßnahmen für gesunde Tiere zu empfehlen.

Rabatte und erlassene Honorare: Gift für unseren Beruf

Viele Praxiseigner räumen ein, dass Nachlässe auf den Preis erbrachter Leistungen viel zu oft gewährt werden. Viele Praxen/Kliniken berechnen z. B. nichts für Kontrolluntersuchungen oder kurze Beratungen. In vielen Kliniken wird häufig übersehen oder bewusst unterlassen, das Futter oder die Medikation für hospitalisierte Patienten in Rechnung zu stellen.

Für Unternehmen mit geringer Gewinnspanne, wie dies Tierarztpraxen nun einmal sind, können Rabatte oder nicht berechnete Leistungen schwerwiegende Folgen für die finanzielle Überlebensfähigkeit haben.

Studien haben gezeigt, dass bis zu 6 % der Jahreseinnahmen einer Praxis/Klinik durch derlei Preisnachlässe verloren gehen. In anderen Worten, zwischen einem Drittel und der Hälfte des voraussichtlichen Jahresgewinns geht verloren. Das entspricht etwa vier bis sechs Monaten, die der Tierarzt gratis gearbeitet hat!

In den meisten Fällen ist diese „Rabattkultur“ nicht die Idee des jungen, eben eingestellten Tierarztes, sondern stellt eine vom Praxiseigner geschaffene Tradition dar. Insofern verliert dieser jede Legitimierung, den neuen Mitarbeiter aufzufordern, genauer abzurechnen.

Für junge Tierärzte ist diese Rabattpraxis aus folgenden Gründen besonders schädlich:

  • Sie fördert ein vom finanziellen Standpunkt aus „toxisches“ Verhalten, das den Tierarzt wahrscheinlich für den Rest seines Berufslebens begleiten wird.
  • Man erzieht damit die Kunden dahingehend, dass sie auch in Zukunft bei jeder Leistung einen Preisnachlass erwarten. Ist dies dann nicht der Fall, kommt es zu Verwirrung und Unzufriedenheit von seiten des Kunden („Warum hab ich heute keinen Rabatt bekommen? Ist er böse auf mich?“).
  • Preisnachlässe sind das beste Alibi für mittelmäßige Leistungen (Figure 6). Wenn wir für jede unserer Leistungen das volle Honorar verlangen, heben wir automatisch das Niveau unserer Leistungen an, denn so eliminieren wir die praktische „Abkürzung“ über einen Rabatt, wenn einmal etwas nicht perfekt läuft. Schlimmer noch: Wir begnügen uns unter Umständen mit suboptimalen Ergebnissen, wenn wir schon vorher wissen, dass wir das durch die Gewährung eines Preisnachlasses wieder ausgleichen können.
  • Rabatte schädigen unsere Produktivität und wirken sich daher negativ auf die Gehälter aus. Tierärzte, die regelmäßig Rabatte gewähren, generieren weniger Einnahmen und machen sich dadurch zu Geiseln geringer Gehälter.
  • Kunden lieben uns nicht wegen Preisnachlässen. Kunden lieben und respektieren uns, wenn wir fachlich kompetent sind und ihnen gegenüber Respekt, Freundlichkeit und Empathie zeigen.
     

 

Abbildung 6. Rabatte sind eine schädliche Angewohnheit für den Tierarztberuf. Sie sind das beste Alibi für mittelmäßige medizinische Leistungen. © Vaniato

Schlussfolgerung

In allen Ländern der Welt können wir Tierärzte finden, die hervorragende medizinische Leistungen für Tiere erbringen, gleichzeitig aber sehr schlecht darin sind, die Finanzen ihrer Praxis/Klinik zu managen. Eine gute medizinische Versorgung von Tieren kann letztlich aber nur dann gewährleistet werden, wenn das Unternehmen Praxis profitabel und nachhaltig arbeitet. Das Verständnis der Grundlagen der Profitabilität einer Praxis und das Erkennen – und Korrigieren – der Schlüsselfaktoren, die zu einer schlechten finanziellen Performance beitragen, sind Fähigkeiten, die auch bei einem frisch approbierten Tierarzt sehr hoch geschätzt werden.

 

Philippe Baralon

Philippe Baralon

Dr. Baralon absolvierte 1984 die École Nationale Vétérinaire in Toulouse (Frankreich) und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre (Master of Economics, Toulouse, 1985) und Betriebswirtschaftslehre (MBA, HEC-Paris 1990). Mehr lesen

Antje Blättner

Antje Blättner

Dr. Blaettner wuchs in Südafrika und Deutschland auf und graduierte 1988 nach dem Veterinärmedizinstudium in Berlin und München. Mehr lesen

Pere Mercader

Pere Mercader

Dr. Mercader etablierte sich 2001 als Praxismanagement-Berater für Tierkliniken und hat seitdem diesen Beruf in Spanien, Portugal und einigen lateinamerikanischen Ländern entwickelt. Mehr lesen

Mark Moran

Mark Moran

Mark Moran ist seit 19 Jahren als Berater für die Tierärzteschaft tätig und bietet Mentoring und Unterstützung für Inhaber von Tierarztpraxen und deren Mitarbeiter in Schlüsselpositionen. Mehr lesen

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