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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 2 Finanzen

Der Tierarzt als Unternehmer (Teil 1)

veröffentlicht 30/04/2021

Geschrieben von Philippe Baralon , Antje Blättner , Pere Mercader und Mark Moran

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Das Verständnis der unterschiedlichen Faktoren, die zu den Einnahmen und Ausgaben einer tierärztlichen Praxis beitragen, ist der Schlüssel zu einem dauerhaften und nachhaltigen Erfolg. Dieses Kapitel erläutert Ihnen die grundlegenden finanziellen Aspekte Ihrer Arbeit.

Der Tierarzt als Unternehmer

Kernaussagen

Um sicherzustellen, dass jeder Mitarbeiter die geschäftliche Strategie, die Vision und die Mission der Praxis kennt, müssen diese Punkte klar definiert und mit allen Mitarbeitern offen geteilt werden.


Wichtig sind das Definieren von Zielen für das nächste Jahr und die Wahl der geeigneten Leistungskennzahlen (KPIs = Key Performance indicators) , um jederzeit sicherzustellen, dass sich die Praxis in einem wirtschaftlich guten Zustand befindet.


 

Einleitung

Die Grundprinzipien der Unternehmensführung sind immer die gleichen, egal, ob es sich um ein sehr kleines Unternehmen oder einen riesigen Konzern handelt. Was sich ändert, sind nur die Formalitäten der involvierten Vorgänge. In einer sehr kleinen Organisation wie z.B. einer Tierarztpraxis mit einem einzigen Eigentümer und wenig Personal können diese Vorgänge nur im Kopf des Eigentümers existieren und nur mündlich und ad hoc an das Praxisteam kommuniziert werden. In einem großen Unternehmen hingegen ist bereits der Entscheidungsfindungsprozess eine gemeinschaftliche Sache, und die Kommunikation von Informationen läuft deutlich komplexer ab, sodass alle Vorgänge formalisiert werden müssen, um effektiv zu sein.
 

 

Wie man ein Unternehmen führt

Ein bisschen Hintergrundwissen

Viele Tierärzte sind skeptisch, wenn es darum geht, etwas Unternehmensmanagement in ihrer Praxis/Klinik einzuführen, weil sie meinen, dies sei nur etwas für große Unternehmen, deren primäres Ziel allein die Schaffung von Reichtum für die Aktionäre ist, und so sehen sie ihr eigenes „Unternehmen“ als etwas gänzlich anderes an als diese profitorientierten Firmen. Tierärzte sind aber nicht die einzigen Menschen mit sozialem Gewissen. Der heute von vielen Unternehmen gepflegte strategische Zugang zur Unternehmensführung berücksichtigt auch die Bedürfnisse anderer Interessensgruppen wie Angestellten oder Gemeinwesen sowie die Auswirkungen ihrer eigenen Aktivitäten auf die Umwelt.

In diesem Abschnitt legen wir die Struktur eines strategischen Zugangs zur Unternehmensführung dar, um den Verantwortlichen zu einem besseren Verständnis dessen zu verhelfen, wie es um ihr Unternehmen – egal, wie groß oder klein es ist – wirklich steht. Dieser strategische Zugang ist für Tierarztpraxen jeder Größe geeignet. Allerdings wird die Umsetzung in einer sehr kleinen Tierarztpraxis wahrscheinlich nicht so formell ablaufen wie empfohlen.

Zielkonflikte ausgleichen

Wenn sich ein Unternehmen viele Ziele setzt und nicht nur auf Gewinnmaximierung aus ist, wird es unvermeidlich sein, dass einige Ziele in Widerspruch zueinander zu stehen scheinen. So kann es sich eine Tierarztpraxis/-klinik auf die Fahnen schreiben, „Immer für seine Kunden da sein zu wollen“ und gleichzeitig sagen „Wir möchten für alle Angestellten ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Berufsleben und Privatleben“. Der strategische Zugang zum Umgang mit solchen konfliktiven Zielsetzungen wird nach Kaplan und Norton als „Balanced Scorecard“, einem Verbindungsglied zwischen Strategiefindung und Strategieumsetzung, bezeichnet.

Die Vorgehensweise nach der Balanced Scorecard eignet sich ideal für Tierarztpraxen, da deren Eigner oft sehr breit gefächerte Ziele haben. Dieser Zugang muss entsprechend auf die typische Größe tierärztlicher „Unternehmen“ angepasst und der Umfang so beschränkt werden, dass er das Niveau der vorhandenen Managementerfahrung widerspiegelt. Praxen, die diesen strategischen Zugang umgesetzt haben, erzielen ein beträchtliches Wachstum und entwickeln gleichzeitig ihre Fähigkeiten, den Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden und auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu verbessern, während zusätzlich die sozialen und finanziellen Ziele der Kunden zufriedengestellt werden.

Das Umsetzen der Balanced Scorecard

Die Balanced Scorecard ist ein Konzept, das Strategie und Unternehmensführung in allen Ebenen einer Organisation miteinander verbindet. Somit muss es stufenweise umgesetzt werden, um ausreichend Zeit für die Entwicklung der für eine erfolgreiche Umsetzung nötigen Personen und Prozesse zu lassen.
 
Schritt 1 – Wohin gehen wir?

Der erste Schritt für den tierärztlichen Unternehmer besteht in der Festlegung einer klaren Vision für die Praxis: Was wollen wir sein? Wie möchten wir wahrgenommen werden? Wie soll unsere Vision auf alle anderen Beteiligten wirken? Was ist uns noch wichtig? Die Vision muss klar sowie kurz und bündig gefasst werden, damit sie leicht kommuniziert werden kann und leicht zu verstehen ist (Abbildung 1).
 
Schritt 2 – Was bedeutet unsere Vision für uns?

Hauptzweck einer Mission ist es, die angestrebten Ziele des Unternehmers an alle Beteiligten zu kommunizieren, sodass diese auch deren eigene Aktivitäten prägen. Intern bedeutet dies, dass die Vision der Praxis/Klinik alle täglich anfallenden Entscheidungen und Tätigkeiten des gesamten Praxisteams leiten soll. Damit dies gelingt, muss der Praxisinhaber klar ausdrücken, was er meint; insbesondere muss er eine Leitlinie vorgeben, wie man die manchmal auftretenden, in Widerspruch stehenden Ziele miteinander in Einklang bringt. Das lässt sich durch eine detailliertere Anleitung mit zusätzlichen Beispielen aus dem Praxisalltag erreichen (Abbildung 1).
 
Abbildung 1. Beispiele für Aussagen zur Vision und Mission einer Tierarztpraxis.
Schritt 3 – Unser Plan für das nächste Jahr

Man kann es ganz einfach ausdrücken: Wenn wir wissen, wo wir hin wollen, müssen wir uns nur noch überlegen, was die wichtigsten Dinge sind, die wir zur Erreichung unseres Ziels im nächsten Jahr angehen sollten. Die Ziele, die wir uns setzen, sollten sich vor allem daran orientieren, dass eine gewisse Ausgeglichenheit erhalten wird und dass sie angesichts der verfügbaren Ressourcen realistisch sind (Box 1)  
 
Box 1
Beispiel: Unsere Ziele für das kommende Jahr

Ziel 1: Die Praxis soll wachsen

Dies erreichen wir durch:

  • Förderung und Kommunizieren unserer klinischen Expertise
  • verstärktes Bemühen um Bestandskunden
  • Gewinnung neuer Kunden durch Bewerben unserer Praxis
  • Erweiterung der Tätigkeitsbereiche der tierärztlichen Fachangestellten
  • Einführen neuer Produkte und Dienstleistungen


Schritt 4 – Identifizierung der Schlüsselfaktoren zur Zielerreichung


Jetzt gilt es, zu überlegen, welche neuen Aktivitäten wir einführen sollten und welche wir vermehrt oder in geringerem Ausmaß durchführen sollten, um unsere Ziele zu erreichen. Diese Aktivitäten sind die Schlüsselfaktoren, also die Hebel, an denen wir ansetzen müssen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Das Festlegen von Schlüsselfaktoren nach der Balanced Scorecard von Kaplan und Norton erleichert uns die Überpüfung, ob wir wirklich eine ausgewogene Zusammenstellung von Schlüsselaufgaben geschaffen haben. Gleichzeitig reduziert es das Risiko unbeabsichtigter Auswirkungen (Tabelle 1).

Tabelle 1. Beispiel für wesentliche Jahresziele.
Finanziell
  • Kontrolle der Personalkosten im vereinbarten Rahmen
  • Kontrolle der Medikamentenkosten im vereinbarten Rahmen
  • Erweiterung unseres Gesundheitsprogramms für Haustiere
 Geschäftsprozesse
  • Entwicklung eines effizienten Systems zur Impferinnerung
  • Förderung der Gesundheitsvorsorge bei jedem Kundenkontakt
  • Verbesserung unserer Fähigkeit, Kunden über den Wert von Spezialdiäten zu informieren
  • Schaffung klarer Systeme für das Management unserer gemeinnützigen Arbeit bei gleichzeitigem Schutz der Praxisfinanzen
  • Aufrechterhaltung des Personalbestandes im vereinbarten Rahmen
  • Effizienterer Einsatz unserer Tierärzte
 Kunden
  • Verbesserung unserer Telefonkommunikation
  • Bekanntmachen der Praxis bei zukünftigen Kunden
  • Engagement innerhalb der Gemeinde
  • Verstärkter Einsatz digitaler Kommunikationsmittel
 Lernen und Wachstum
  • Sicherstellen regelmäßiger Personalbesprechungen und Leistungsbeurteilungen
  • Entwicklungspläne für alle Mitarbeiter
  • Schulungen für alle Mitarbeiter
  • Schaffung von Möglichkeiten für das Personal, eigene Ideen einzubringen


Schritt 5 – Entwicklung der Schlüsselmaßnahmen

Für jeden unserer definierten Schlüsselfaktoren müssen wir eine oder mehrere Maßnahmen identifizieren, anhand derer wir überpüfen können, ob wir uns unseren Zielen nähern. Sie können auch dafür herangezogen werden, den Prozess von „Überprüfen und Lernen“ anzuregen. Im Idealfall möchten wir die Aktivitäten, die zum Ergebnis führen, nachverfolgen können und nicht nur das Ergebnis selbst überprüfen. Wenn wir z. B. planen, in Zukunft mehr präventive Behandlungen durchzuführen und meinen, wir könnten das unter anderem dadurch erreichen, dass wir unseren Fachangestellten mehr Zeit einräumen, um diese Vorsorgemaßnahmen den Kunden näherzubringen, dann könnte die Nachverfolgung der Anzahl an stattgefundenen Beratungsgesprächen unserer Tierarzthelfer/innen ein Schlüsselindikator sein. Ähnlich verhält es sich, wenn wir den Einsatz digitaler Kommunikation erweitern wollen. Dann ist es wichtig, dass das Personal die Kunden um deren E-Mail-Adresse fragt. Der Prozentsatz aktiver Kunden mit dokumentierter E-Mail-Anschrift könnte dann ein Schlüsselindikator sein.

Für jede wichtige Aktion müssen eine oder mehrere Maßnahmen definiert werden (Tabelle 2).

Tabelle 2. Beispiele für Schlüsselmaßnahmen.
 Aktivität  Schlüsselmaßnahmen
Verbesserung der Telefonkommunikation Monatliche Beurteilung durch Testanrufe
Förderung der Gesundheitsvorsorge bei jedem Kundenkontakt Prozentsatz aktiver Patienten mit aktualisiertem Impfstatus
Schaffung von Möglichkeiten für das Personal, eigene Ideen einzubringen
  • Anzahl der abgehaltenen Teammeetings
  • Halbjährliche Personalbefragung
Verbesserung unserer Fähigkeit, Kunden über den Wert von Spezialdiäten zu informieren
  • Diätberatung durch tierärztliche Fachangestellte
  • Gesamtverkauf Futter
  • Anteil von Spezialdiäten
 

Schritt 6 – Überprüfen und aus dem Fortschritt lernen

Wir müssen unsere Fortschritte regelmäßig (monatlich) überprüfen (Tabelle 3). Bei der Überprüfung der Maßnahmen ist es wichtig, den Fortschritt als positive Erfahrung darzustellen. Auch wenn die Ergebnisse nicht so sind wie erwartet – keiner hat etwas falsch gemacht, sondern der Prozess selbst hat einfach nicht funktioniert. Wir planen ja nicht zu versagen und schließlich haben wir gute Leute eingestellt, die ihre Arbeit auch gut machen.

 

Tabelle 3. Beispiel für einen monatlichen Bericht hinsichtlich eines bestimmten Ziels.
 Ziel  Schlüsselmaßnahme
Kontrolle der Medikamentenkosten innerhalb des vereinbarten Rahmens  Medikamentenkosten in % des Umsatzes
 Jan.  21%
 Feb.  20%
 März  22%
 April  21%
 Mai  19%
 Kommentar

Beurteilung:

  • Ausgezeichnete Arbeit von Kati bei der Reduzierung des Medikamentenvorrates in den PKWs der Tierärzte
  • Teilweise mangelnde Aufzeichung des Verbrauchs, was zur Anzeige eines erhöhten Lagerbestands führte

Plan:

  • Besprechung des richtigen Aufzeichnungsprozederes von Warenein- und ausgang mit dem gesamten Personal

 

Bei der Überprüfung unserer Ziele sollten wir drei Fragen vor Augen haben:

  • Wen können wir loben? => Wir sollten jede Möglichkeit nutzen, um ein Lob auszusprechen. Wenn das Team alles wie geplant getan hat und das gewünschte Ergebnis trotzdem nicht erzielt wurde, können wir immer noch das Bemühen loben.
  • Was haben wir gerade gelernt? => Wie auch immer das Ergebnis ausfällt – gut, schlecht, mittelmäßig –, es hat uns immer etwas klar gemacht. Herauszufinden, was man gelernt hat, ist der Schlüssel zu weiteren Fortschritten.
  • Was ändern wir? => Was ändern wir und wem sagen wir Bescheid, damit der Lernprozess vorangeht und Morgen besser ist als Heute.

Resümee

Der Prozess einer strategischen Unternehmensführung umfasst alle Bereiche der Tierarztpraxis/-klinik. Die Umsetzung muss wohlüberlegt erfolgen, damit sie zur bestehenden Praxiskultur passt. Für Praxen/ Kliniken, in denen bereits eine Form des strategischen Managements besteht und deren Praxiskultur das Ermitteln und Überprüfen von Leistungsdaten umfasst, wird die Balanced Scorecard einen natürlichen Fortschritt darstellen und sollte daher relativ leicht umzusetzen sein. Die Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass das Einführen der Balanced Scorecard für viele Praxen/Kliniken einer signifikanten Weiterentwicklung der bestehenden Managerfähigkeiten bedarf und dass die Umsetzung nur langfristig und mit Unterstützung und zusätzlichem Einsatz der wichtigsten Praxismitarbeiter erfolgen kann.

Schlüsselindikatoren für das wirtschaftliche Verständnis einer Tierarztpraxis

Das Niveau der Praxismanagementfähigkeiten eines Praxisinhabers bzw. sein Interesse daran kann sehr unterschiedlich sein. Manche Praxiseigner (glücklicherweise jedes Jahr weniger) haben nicht die geringste Idee, wie die wirtschaftliche Leistung ihrer Praxis ist, während andere (immer mehr) ziemlich gut imstande sind, die wirtschaftliche Leistung ihres Unternehmens zu interpretieren und zu überwachen.
 
Dieser Abschnitt widmet sich der Bedeutung der am häufigsten verwendeten Leistungskennzahlen (Key Performance Indicators/KPIs). In gleicher Weise wie die Parameter eines Blutbildes uns Aufschluss über den Gesundheitszustand eines Patienten geben, beleuchten die KPIs die wirtschaftliche Gesundheit eines Unternehmens. Tabelle 4 zeigt die aufschlussreichsten Indikatoren im Überblick.
 
Tabelle 4. Schlüsselindikatoren.
 Typische Schlüsselindikatoren sind
 a. Indikator für Qualität der Einnahmen a. Diagnostischer Anteil
 b. Indikator für Aktivitäten b.1. Aktive Patienten pro Vollzeit-Tierarzt
b.2. Tägliche Transaktionen pro Vollzeit- Tierarzt
 c. Indikator für Kosten c.1. Personalkosten als Prozentsatz der Einnahmen
c.2. Kosten pro fakturierbare Minute Tierarztzeit


Tierarztpraxen generieren Einnahmen aus drei Hauptquellen:

  1. Klinische Dienstleistungen
  2. Verkauf von Medikamenten und Spezialprodukten
  3. Allgemeines Zubehör und Pflegeprodukte bzw. Hundesalon
     

Generell hat der Tierarzt einen beträchtlichen Einfluss auf die ersten zwei Punkte, da diese sich im Rahmen der Sprechstunde bzw. einer Behandlung ergeben. Somit werden die beiden Punkte unter „medizinischen Einnahmen“ zusammengefasst. Das Angebot an Zubehör, Pflegeprodukten oder Hundesalondienstleistungen variiert stark von Paxis zu Praxis und hängt von der Lage der Praxis und der Größe der Räumlichkeiten, aber weniger vom Tierarzt selbst ab. Deshalb wird dieser Punkt oft als Kennzahl nicht berücksichtigt.

Schlüsselindikatoren für Einnahmen

1. Diagnostischer Anteil

Dieser Indikator wird berechnet, indem man die Einnahmen, die von der Praxis mit diagnostischen Tests (externe und interne Labortests), Röntgenaufnahmen, Ultraschalluntersuchungen, Endoskopien, EKG, MRT, etc. generiert wurden, durch die Gesamteinnahmen aus klinischen Dienstleistungen dividiert.

 

                                                                         Einnahmen aus diagnostischen Tests
              Diagnostischer Anteil      =      ------------------------------------------------
                                                                    Einnahmen aus klinischen Dienstleistungen      

 

Der zu erwartende Wert dieses Anteils sollte irgendwo zwischen 20 % und 25 % liegen. Ein Wert, der deutlich unter 20 % liegt, kann auf eine intuitiv praktizierte Medizin hinweisen, die nicht wirklich evidenzbasiert ist. Im Gegensatz dazu können Werte, die 25 % übersteigen, auf eine übermäßige Abhängigkeit von diagnostischen Tests hinweisen. Es rentiert sich absolut, diesen Indikator nicht nur für die ganze Praxis zu berechnen, sondern auch für jeden einzelnen tierärztlichen Mitarbeiter. Dadurch lässt sich der Grad der praxisinternen Einheitlichkeit bei medizinischen Dienstleistungen beurteilen.

2. Durchschnittliche Einnahmen pro medizinischer Transaktion

Dieser Indikator wird berechnet, indem man die Gesamteinnahmen aus medizinischen Transaktionen durch die Anzahl der Transaktionen dividiert. So erhält man den durchschnittlichen Betrag pro Transaktion. Viele Praxismanagement-Softwares berechnen diesen Indikator automatisch.

                 
              Durchschnittliche Einnahmen                            Total medical revenue
              pro medizinische Transaktion      =       ---------------------------------------

                                                                                         Number of medical transactions
                                
 
Man geht im Allgemeinen davon aus, dass der Wert für diesen Indikator etwa 2,5-mal so hoch ist wie der Betrag für eine Konsultation. Werte unterhalb dieses Durchschnitts weisen auf einen hohen Prozentsatz an grundlegenden medizinischen Dienstleistungen wie Impfungen oder Routineuntersuchungen und wenige Mehrfachdienstleistungen hin.

Schlüsselindikatoren für Aktivitäten

1. Aktive Patienten pro Tierarzt in Vollzeit

Diesen Indikator erhält man, wenn man die Anzahl der Patienten, die im Laufe eines Jahres in die Klinik kamen, durch die Anzahl der in Vollzeit angestellten Tierärzte dividiert.

 

                          Aktive Patienten               Gesamtzahl Patienten pro Jahr
                               pro Tierarzt      =      --------------------------------------
                                                                                   Vollzeit-Tierärzte
 

Man schätzt, dass ein in Vollzeit arbeitender Tierarzt pro Jahr zwischen 750 und 1100 Patienten gut medizinisch versorgen kann. Jede Zahl, die sich außerhalb dieser Norm bewegt, sollte ein Warnsignal hinsichtlich der Größe der tiermedizinischen Belegschaft sein. Eine niedrigere Zahl zeigt an, dass Tierärzte in Bereichen arbeiten, die kein direktes Einkommen aus tiermedizinischen Leistungen generieren, während eine höhere Zahl dafür spricht, dass die Tierärzte für den einzelnen Patienten zu wenig Zeit haben.

2. Tägliche Transaktionen pro Vollzeit-Tierarzt

Diesen Indikator erhält man, indem man die Anzahl der medizinischen Transaktionen pro Jahr durch die Anzahl der Vollzeit-Tierärzte dividiert und mit der Anzahl der Tage, an denen sie pro Jahr arbeiten, multipliziert.

 

       Tägliche Transaktionen                        Jährliche Anzahl an Transaktionen
                pro Tierarzt          =         -------------------------------------------------------
                                                             Vollzeit-Tierärzte x Anzahl der Arbeitstage pro Jahr
 

Ziel ist, dass ein Tierarzt pro Tag durchschnittlich 10-12 medizinische Transaktionen aufweisen sollte. Das heißt, dass in einem Land, in dem Tierärzte 250 Tage pro Jahr arbeiten, etwa 2500 bis 3000 Transaktionen jährlich pro Tierarzt zu erwarten wären. Wenn wir davon ausgehen, dass ein Patient im Durchschnitt etwa drei medizinische Transaktionen pro Jahr generiert, dann brauchen wir zwischen 750 und 1000 aktive Patienten pro Tierarzt, um dieses Volumen zu erreichen.

Schlüsselindikatoren für Kosten

1. Personalkosten als Prozentsatz der Einnahmen

Bei dieser Kalkulation definieren wir die „Personalkosten“ der Praxis/ Klinik als die insgesamten Kosten im Zusammenhang mit der Entlohnung des Personals, einschließlich eventuell vorhandener weiterer Tierärzte, die als Geschäftspartner fungieren. Zusätzlich zu den Bruttogehältern enthält der Gesamtbetrag auch personalbezogene Steuern und Lohnnebenkosten bzw. zusätzliche Leistungen oder Boni, die das Praxisteam als Gesamtentlohnung erhält (z.B. private Krankenversicherung, Firmenpension, etc.).

 

                       Personalkosten als                            Aährliche Personalkosten x 100
                Prozentsatz der Einnahmen      =      ---------------------------------------
                                                                                                  Gesamteinnahmen

Übersteigen die Personalkosten deutlich 40 % der Einnahmen, beginnt die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Praxis ins Schwanken zu geraten. Sollte der berechnete Prozentsatz signifikant unter dem genannten Niveau liegen, könnte das bedeuten, dass zu wenig Personal vorhanden ist, um eine wirklich gute medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Ein typischer Fehler, der bei dieser Berechnung oft gemacht wird, ist, dass für den/die Praxiseigner (sofern sie als Tierärzte tätig sind), kein realistisches Gehalt angesetzt wird.

 
2. Kosten pro fakturierbare Minute der Zeit eines Tierarztes
 
Sinn und Zweck dieses Indikators ist, dem Praxiseigner und dem ganzen Team bewusst zu machen, welchen Wert das wertvollste Gut hat, das sie besitzen: die Zeit des Tierarztes.
 
Zur Berechnung dieses Indikators dividiert man die jährlichen Fixkosten der Klinik, d.h. alle Kosten außer jene für den Ankauf von Waren oder Geräten, durch die Anzahl der „Tierarztminuten“, die die Praxis pro Jahr in Rechnung stellt.
 
              Kosten pro fakturierbarer                   Jährliche Fixkosten der Klinik
                    Minute Tierarztzeit      =      ---------------------------------------------

                                                                        Fakturierbare Tierarztminuten pro Jahr

Zur Berechnung der fakturierbaren Tierarztminuten pro Jahr müssen wir für jeden Tierarzt die Anzahl der täglichen Arbeitsstunden, die Öffnungszeiten der Klinik und die Anzahl der effektiven Arbeitstage pro Jahr berücksichtigen. Da es unmöglich ist, jede gearbeitete Minute zu „verkaufen“, z.B. mangels an Patienten oder weil manche Aktivitäten wie administrative Aufgaben nicht fakturiert werden können, müssen wir die aus obiger Gleichung resultierende Zahl anpassen, indem wir den sogenannten „Effizienzfaktor“ verwenden. Für Dienstleistungsberufe wie Tierärzte schätzt man, dass wir im besten Fall 65 % der verfügbaren Zeit den Kunden in Rechnung stellen können.

 

                                                                       Jährliche Gesamtkosten der Klinik-Kosten            Kosten pro facturierbare                                 für Ankauf von Geräten und Waren
      Minute Tierarztzeit         =        ----------------------------------------------------------                                                                                    Tägliche Arbeitsstunden des Tierarztes                                                                                        x Arbeitstage pro Jahr x Öffnungszeiten x 60 min x 65 %

 

Damit eine Praxis überlebensfähig ist, muss das Honorar pro Minute Dienstleistung diese Zahl um eine akzeptable Gewinnmarge übersteigen. Ist dies nicht der Fall und kann man die Preise nicht erhöhen, müssen Einsparmöglichkeiten bei der Effizienz gefunden werden.

Betriebswirtschaft verstehen: Warum Produktivität ein Thema ist

Stellen wir uns einmal vor, wir fragen einen jungen Tierarzt: „Welches Einkommen würden Sie als fair ansehen, wenn Sie Vollzeit in einer Klinik arbeiten?“

Stellen wir uns auch vor, wir erhalten folgende Antwort: „Also, angesichts des schweren Studiums, der Verantwortung, die ich im Beruf haben werde und der körperlichen und geistigen Anstrengung, die die tägliche Abeit fordert... würde ich meinen, dass 2.500 Euro netto pro Monat ein faires Anfangsgehalt wären.“

Dieser Vorschlag, der aus der Sicht eines jungen Tierarztes absolut berechtigt ist, kollidiert total mit den wirtschaftlichen Prinzipien der Arbeitsproduktivität.

Die nachstehende Tabelle zeigt eine typische Gewinn- und Verlustrechnung (jährliche Einnahmen und Ausgaben), wie sie in zahlreichen Tierarztpraxen weltweit vorkommt (Tabelle 5).

 
Tabelle 5. Typische Einkommensaufgliederung einer Tierarztpraxis (alle Beträge als prozentueller Anteil der Einnahmen).

Auf den ersten Blick lässt sich erkennen, dass es für eine wirtschaftlich lebensfähige Tierarztpraxis (mit einem Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände zwischen 10 und 20 % [EBITDA]) notwendig ist, dass die Personalkosten für Tierärzte um die 25 % der Einnahmen der Praxis betragen. Gleichzeitig sehen wir, dass 80 % der Gesamteinnahmen (in Form klinischer Dienstleistungen und des Verkaufs von Medikamenten) als direkte Konsequenz der tierärztlichen Aktivitäten generiert werden.

Wenn wir diese beiden Daten (80/25 = 3,2) kombinieren, können wir ein Verhältnis berechnen, das für die restliche Analyse sehr bedeutend ist:

Verhältnis 1

 Die von den Tierärzten       ➜     solten mindestens     ➜        das 3.2-Fache der vollen                 
 der Klinik generierten                                                               Kosten für diese Tierärzte sein.
           Einnahmen


Das erste Problem, das sich bei dieser Formel stellt, ist praktischer Natur: Die meisten Angestellten sind sich nicht bewusst, welche Gesamtkosten das Unternehmen für sie hat – in anderen Worten, wieviel sie dem Unternehmen tatsächlich unterm Strich kosten. Angestellte interessiert in der Regel nur ihr Nettogehalt (also das, was sie de facto aufs Konto bekommen), aber sie sind sich weniger der Struktur ihrer Bruttokosten bewusst (also, Nettogehalt plus Steuern auf deren Einkommen, die der Staat einbehält, noch bevor das Gehalt ausbezahlt wird). In jedem Fall weiß kaum ein Angestellter, was er seiner Firma insgesamt kostet. Das ist das Bruttogehalt plus alle Lohnnebenkosten, Steuern, etc. (die in den meisten Ländern zur Sicherung des öffentlichen Gesundheitswesens, der Arbeitslosenunterstützung und der Pensionen herangezogen werden). Die Größenordnung dieser Lohnnebenkosten variiert signifikant von Land zu Land, sie sind jedoch in jedem Fall beträchtlich und in vielen Ländern stellen sie einen großen Brocken der vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten dar.

Obwohl die tatsächlichen Proportionen je nach geltenden Steuersätzen und Lohnnebenkosten der einzelnen Länder variieren, zeigt Verhältnis 2 ein typisches Beispiel:

Verhältnis 2
Nettogehalt eines Angestellten Bruttogehalt vor Steuern Gesamte Lohnkosten für das Unternehmen
 € 1.000.-  € 1.250.-  € 1.550.-

 

Dieses Beispiel zeigt, dass die tatsächlichen Kosten für die Tierarztpraxis 1,55-mal so hoch sind wie das Nettogehalt des Angestellten.

Wenn wir nun Verhältnis 1 und Verhältnis 2 kombinieren, folgt daraus:

 Die von einem angestellten  ➜   solten mindestens    ➜    5-mal so hoch sein wie das                        Tierarzt generierten                    3,2 x 1,55 = 5                 Nettogehalt des Tierarztes.                             Einnahmen                                           


Da die angegebenen Beispielzahlen für Gehälter und Einnahmen je nach lokalem Kontext in den verschiedenen Ländern hoch oder gering erscheinen mögen, beschreibt Tabelle 6 diese Verhältnisse für verschiedene Gehaltsniveaus.


Tabelle 6. Monatliche Einnahmen für Nettogehalt.
Nettogehalt eines jungen Tierarztes (in Euro) Personalkosten der Praxis (in Euro) Erforderliche, von dem jungen Tierarzt generierte Einnahmen (in Euro)
 1.000.-  1.550.-  5.000.-
 2.000.-  3.100.-  10.000.-
 2.500 €
(unser Beispiel)
 8.000 €
(unser Beispiel)
 12.500 €
(unser Beispiel)
 3.000.-  4.650.-  15.000.-
 4.000.-  6.200.-  20.000.-
 5.000.-  7.750.-  25.000.-

 

An dieser Stelle wäre die naheliegende Frage, die sich ein junger Tierarzt stellen sollte:
„Wie wahrscheinlich ist es, dass ich in der Lage sein werde, jährliche Einnahmen von € 150.000.- für meine Klinik zu generieren, sodass die Klinik sich leisten kann, mir die € 2.500 zu bezahlen, die ich gerne möchte?“

Die Antwort auf diese Frage hängt von einer Reihe von Faktoren ab, die nicht immer vom jungen Tierarzt beeinflusst werden können.

  • Fallzahl der Praxis. Hat die Praxis/Klinik genügend aktive Patienten, sodass jeder Tierarzt pro Tag wirklich mindestens 12-15 Transaktionen durchführen kann? Wenn nicht, wird es schwierig sein, das gewünschte Einkommen zu erzielen.
  • Preispolitik und Inkassodisziplin der Praxis. Wird jede in der Praxis verrichtete Tätigkeit adäquat abgerechnet? Werden willkürlich Nachlässe gewährt oder gar Gratisleistungen? Je niedriger die Preise und je höher die gewährten Rabatte, desto unwahrscheinlicher ist es, jene hohen Einnahmen zu erzielen, die notwendig sind, um qualifiziertes Personal gut zu bezahlen.
  • Qualität der angebotenen medizinischen Dienstleistungen. Welchen Anteil haben einfache medizinische Leistungen wie Impfungen und normale Sprechstunden im Vergleich zu hochwertigeren medizinischen Dienstleistungen?
  • Kommunikations- und Überzeugungsfähigkeit des Tierarztes. Ein Tierarzt, der klar und deutlich kommuniziert und den Kunden überzeugen kann, kann viel mehr Dienstleistungen anbieten, durchführen und abrechnen und generiert folglich höhere Einnahmen für die Praxis. 
     
Somit ist es für jeden jungen Tierarzt wichtig, frühzeitig zu begreifen, dass, je mehr er für die Praxis an Einnahmen generiert, desto mehr wird er selbst an Gehalt bekommen können. Gehälter und das Generieren von Einnahmen sind zwei Seiten derselben Medaille. Es ist das sogenannte „wirtschaftliche Gesetz der tierärztlichen Produktivität“.

Philippe Baralon

Philippe Baralon

Dr. Baralon absolvierte 1984 die École Nationale Vétérinaire in Toulouse (Frankreich) und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre (Master of Economics, Toulouse, 1985) und Betriebswirtschaftslehre (MBA, HEC-Paris 1990). Mehr lesen

Antje Blättner

Antje Blättner

Dr. Blaettner wuchs in Südafrika und Deutschland auf und graduierte 1988 nach dem Veterinärmedizinstudium in Berlin und München. Mehr lesen

Pere Mercader

Pere Mercader

Dr. Mercader etablierte sich 2001 als Praxismanagement-Berater für Tierkliniken und hat seitdem diesen Beruf in Spanien, Portugal und einigen lateinamerikanischen Ländern entwickelt. Mehr lesen

Mark Moran

Mark Moran

Mark Moran ist seit 19 Jahren als Berater für die Tierärzteschaft tätig und bietet Mentoring und Unterstützung für Inhaber von Tierarztpraxen und deren Mitarbeiter in Schlüsselpositionen. Mehr lesen

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