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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 22.3 Zahnheilkunde

Persönliche empfehlungen… Frakturen des Oberkiefers und des Unterkiefers bei Katzen

veröffentlicht 01/04/2021

Geschrieben von Markus Eickhoff

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Bei der Katze machen Kieferfrakturen 5-7% aller Frakturen aus, häufig verursacht durch Autounfälle oder Stürze aus großer Höhe. Kieferfrakturen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Frakturen anderer Lokalisationen. 

Fraktur des Corpus mandibulae. Gelber Pfeil = Zugrichtung der Kieferöffner, roter Pfeil = Zugrichtung der Kieferschließer. Ungünstiger Verlauf der Frakturlinie einer Unterkieferkörperfraktur mit Klaffen des Frakturspaltes.

Kernaussagen

Im Vordergrund der Versorgung von Kieferfrakturen bei der Katze steht die Wiederherstellung einer funktionellen Okklusion.


Kieferfrakturen sind oft nur eine Komponente einer Polytraumaproblematik.


Es muss darauf geachtet werden, dass die Behandlung einer Kieferfraktur nicht zu einer Beeinträchtigung der Vitalität von Zähnen führt.


Die Beurteilung von Kieferfrakturen verlangt eine gute Röntgentechnik und kann durch den Einsatz von CT und MRT verbessert werden.


 

Einleitung

Bei der Katze machen Kieferfrakturen 5-7% aller Frakturen aus, häufig verursacht durch Autounfälle oder Stürze aus großer Höhe (Abbildung 1). Kieferfrakturen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Frakturen anderer Lokalisationen. Unterschiede ergeben sich insbesondere bei der Versorgung von Frakturen in zahntragenden Abschnitten der Kiefer. Zähne sind bei Kieferfrakturen häufig mit betroffen. Deren Schonung und Funktionalität in ungestörter Okklusion stellen wichtige Faktoren der therapeutischen Versorgung dar. Zähne können zudem eine wichtige Rolle bei der Reposition und Stabilisierung einer Fraktur spielen. Eine schnelle funktionelle Wiederherstellung für die zwingend notwendige Futteraufnahme steht im Vordergrund der Versorgung. Häufig ist die Fraktur des Kiefers jedoch eingebunden in eine Polytraumaproblematik, so dass primär nicht die Rekonstruktion des Kiefers im Fokus steht, sondern die Stabilisierung des Tieres z.B. in Form stationärer Aufnahme mit Schockbehandlung. In der Regel wird die verunfallte Katze vom Besitzer zeitnah beim Tierarzt vorgestellt, da häufig ausgeprägte, multiple Verletzungen vorliegen. Manchmal erscheinen die verletzten Tiere jedoch auch erst Tage nach dem Trauma wieder beim Besitzer, so dass das akute Geschehen oder speziell auch eine mögliche Kieferfraktur nicht mehr so offensichtlich sind. 
 

 

Abbildung 1. Katze nach Trauma: Inhibierung des Kieferschlusses aufgrund einer Okklusionsstörung im Bereich der Canini nach Unterkieferfraktur. © Markus Eickhoff / Thieme

 

Diagnose

Sichere Frakturzeichen sind die abnorme Beweglichkeit eines Kieferanteils, zeigt sich zusätzlich Krepitation ist definitiv von einer Fraktur auszugehen. Symmetrieabweichungen wie Schwellungen, Enophthalmus, Exophthalmus oder laterale sowie rostrokaudale Abweichungen im Kieferschluss sind allein unsichere Frakturzeichen. Ein inhibierter Kieferschluss mit unnatürlicher Bewegungsamplitude des Unterkiefers kann z.B. auch Folge einer Kiefergelenksluxation sein.

Objektiviert wird das Vorliegen einer Kieferfraktur durch Röntgenaufnahmen in mehreren Ebenen mit dorsoventralem oder ventrodorsalem, sowie laterolateralem Strahlengang, ergänzt durch Schrägprojektionen zur Eliminierung von Superposition einzelner Strukturen. Bei Impressionsfrakturen des Oberkiefers oder bei kaudalen Unterkieferfrakturen ist eine Darstellung im Schnittbildverfahren kombiniert mit einer daraus errechneten dreidimensionalen Darstellung (CT, MRT) häufig aussagekräftiger. In zahntragenden Kieferabschnitten ist mit detailgenauen intraoralen Einzelzahnröntgenaufnahmen eine feinzeichnende und aussagekräftige Darstellung des Frakturbereichs möglich. 

Kombiniert mit einer Kieferfraktur finden sich häufig Weichteilverletzungen mit Blutungen in der Mundhöhle, vermehrtes Speicheln, traumatisch bedingte Zahnfehlstellungen oder -luxationen, alles eingebunden in ein schmerzhaftes, entzündliches Geschehen, welches die Untersuchung nicht erleichtert. Abweichungen im Kieferschluss infolge von Störkontakten in der engen Verzahnung der Katze sollten immer auf eine potentielle Kieferfraktur abgeklärt werden. 

 

Oberkieferfrakturen

Der Oberkiefer setzt sich zusammen aus dem paarigen Os maxillae, Os incisivum und Os palatinum. Linke und rechte Seite vereinen sich mittig in der Sutura palatina mediana. An großen versorgenden Gefäßen findet sich im Oberkiefer die A. infraorbitalis, und die A. palatina major. Über das Foramen maxillare in der Fossa pterygopalatina tritt die A. infraorbitalis kaudal in den Canalis infraorbitalis ein, am Foramen infraorbitale verlässt sie die Maxilla wieder. Die A. palatina major tritt am Foramen palatinum majus auf die mundhöhlenseitige Fläche des Gaumens und verläuft im Sulcus palatinus mittig auf jeder Seite nach rostral. 

Bei Frakturen der Maxilla sind Dislokationen der Frakturenden in der Regel nicht ausgeprägt. Am häufigsten kommt es zur Sprengung im Bereich der Sutura palatina mediana. Dabei kann es zu einem vertikalen wie horizontalen Versatz der Frakturseiten gegeneinander kommen mit Störung der Okklusion. Meist zerreißt zusätzlich Gaumen- wie Nasenschleimhaut, so dass eine traumatisch bedingte Gaumenspalte entsteht, welche die Gefahr der Aspiration von Futter oder Fremdkörpern birgt. Ein Reponieren der Frakturenden ist aufgrund der Masse der beteiligten Strukturen im Bereich des Gesichtsschädels nicht immer möglich. Gelingt sie, ist eine Stabilisierung der reponierten Situation über eine DrahtKunststoffschienung eine geeignete Vorgehensweise. Dabei werden Cerclagedrähte um die Zähne geführt, verdrillt und in Kunststoff eingebettet, welcher mittels Anätztechnik mit Phosphorsäure an den Zähnen befestigt wird. In vielen Fällen ist auch eine alleinige Stabilisierung über Kunststoff möglich. Cerclagedraht ist immer dann von Nöten, wenn für das Aufbringen des Kunststoffes die reponierte Situation gesichert werden muss.

Ist ein Reponieren im Bereich der Sutura palatina mediana nicht möglich, ist die weichgewebliche Deckung der traumatischen Gaumenspalte angezeigt. Bei weitem Klaffen der Spalte werden zwei Schleimhautplastiken bevorzugt zur Deckung angewandt, die Brückenlappenplastik und die Umschlaglappenplastik. 
 
  • Brückenlappenplastik: Nach Auffrischung der medialen Wundränder wird ein Paramarginalschnitt wenige Millimeter palatinal der Backenzähne durchgeführt. Der gesamte Gaumenfaltenbereich zwischen Gaumenspalte und Paramarginalschnitt wird samt A. palatina unterminiert und bleibt lediglich rostral und kaudal mit der Gaumenschleimhaut verbunden. Um einen mehrschichtigen, und damit sichereren Verschluss zu erzielen, wird die Schleimhaut des Nasenbodens nach Mobilisierung miteinander vernäht. Zusätzlich kann unter der Gaumenschleimhaut eine resorbierbare Membran eingebracht werden, die die Heilung unterstützen soll. Anschließend werden die „Brückenlappen“ der Gaumenschleimhaut nach medial verschoben und mit Einzelheften vernäht.

  • Umschlaglappenplastik: Vorrangiges Ziel der Umschlaglappenplastik ist die Verlagerung des Nahtbereichs in eine knochenunterstützte Zone. Auf einer Seite der Gaumenspalte wird mittels Paramarginalschnitt ein Umschlaglappen präpariert unter Schonung der A. palatina, der Rand der Gaumenspalte bleibt unberührt. Der Lappen wird umgeschlagen und unter die gaumenspaltenseitig unterminierte Schleimhaut gezogen und mittels Nähten fixiert. Problematisch bei dieser Form des Verschlusses bei der Katze ist die Mobilisierung der A. palatina, welche für die vaskuläre Versorgung des Umschlaglappens essentiell ist. Bei Verletzung oder Abriss der Arterie muss mit der Nekrose des Schleimhautlappens gerechnet werden. Weiterhin kann durch die Zerreißung der Schleimhaut im Bereich der traumatischen Gaumenspalte nach Umklappen per se eine Undichtigkeit vorliegen, so dass die Gefahr einer bleibenden Fistelung besteht. 
Ausbruchsfrakturen des Oberkiefers finden sich häufig unter Mitbeteiligung des Oberkiefercaninus, welcher aufgrund seiner exponierten Lage und seiner Länge prädisponiert ist. Es kommt zu einer lateralen Luxation des Zahnes aus seiner Alveole mitsamt der bukkalen Knochenbedeckung. Bei zeitiger Behandlung ist zumeist ein Reponieren möglich, welches dann mittels einer Kunststoffschienung stabilisiert werden kann. Nach Ausheilung sollte die Vitalität des betroffenen Zahnes mittels Röntgenaufnahmen kontrolliert werden (Pulpaweite, periapikales Geschehen), um gegebenenfalls eine endodontische Behandlung einleiten zu können. 
Bei multiplen Frakturen im Oberkieferbereich mit Dislokation der Frakturfragmente bietet sich der Einsatz von Miniplatten an, um eine Rekonstruktion des Oberkiefers unter maximaler Schonung der Zahnwurzeln zu erzielen.
 

Unterkieferfrakturen

TDer Unterkiefer besteht aus rechter und linker Mandibula, die im Bereich der Unterkiefersymphyse syndesmotisch oder synchondrotisch miteinander verbunden sind. Die Entwicklung einer Synostose ist im Laufe des Katzenlebens zwar möglich, in der Regel bleibt jedoch eine limitiert bewegliche Verbindung der linken und rechten Unterkieferhälfte. Man unterscheidet das Corpus mandibulae (horizontaler Unterkieferast) vom Ramus mandibulae (vertikaler Unterkieferast). Die Zähne befinden sich in der Pars alveolaris des Corpus. Zentrale Gefäße und Nerven erreichen den Unterkiefer mit Eintritt am Foramen mandibulare an der Innenseite des Ramus mandibulae, verlaufen dann im Canalis mandibularis parallel zum Ventralrand des Unterkiefers nach rostral, Anteile treten an den Foramina mentalia im Bereich des dritten Unterkieferprämolaren wieder aus. Der Unterkiefer ist über das Kiefergelenk mit der Schädelbasis im Bereich des Os temporale verbunden. Die Katze besitzt eine sehr tiefe Fossa mit ausgeprägter kaudaler und rostraler Begrenzung, dem Processus retroarticularis und Processus anteglenoidalis. Das Kiefergelenk ist ein inkongruentes Walzengelenk, welches durch einen Diskus vollständig in eine obere und untere Etage getrennt wird. Die Freiheitsgrade des Kiefergelenks der Katze sind aufgrund der engen Einfassung fast ausschließlich auf eine Scharnierbewegung begrenzt, welche in der schneidenden Funktion der rein sekodonten Dentition der Katze ihre Entsprechung findet. Durch die Anisognathie in Form eines im Vergleich zum Oberkiefer schmaleren, lingual stehenden Unterkieferzahnbogens ist die sekodonte Funktion komplettiert. 

An der lateralen und medialen Fläche des Ramus mandibulae setzen mit dem M. masseter, M. pterygoideus medialis und M. temporalis achsennah die großen Schließer der Kaumuskulatur mit einer rostrodorsal ausgerichteten Zugrichtung an. Achsenfern, rostral am Unterkieferkörper, unterstützen vor allem der kaudoventrale Zug des M. digastricus und die Unterzungenmuskulatur die Öffnungsbewegung des Kiefers. Entsprechend der funktionellen Beanspruchung weist der Unterkiefer belastungsbedingte Anpassungen in Form eines Trajektoriensystems mit Ausrichtung von Spongiosabälkchen sowie der Dicke der Kortikalis auf. 

Je nach Verlauf einer Frakturlinie kann somit eine „günstige“ oder „ungünstige“ Voraussetzung zur Versorgung der Fraktur vorliegen. Der Ventralrand des Unterkiefers ist auf Druckbelastung, der Alveolarkammanteil auf Zugbelastung ausgerichtet, so dass für die Reparatur der Fraktur eine Technik zur Neutralisierung der Zugkräfte auf der ventralen Seite oder eine Zuggurtung auf der dorsalen Seite eingesetzt werden kann, oder beide Verfahren kombiniert. Für eine gute Funktionalität ist die Wiederherstellung des Trajektoriensystems notwendig. Das Vorhandensein der Zähne auf Seiten der Zugbelastung im Frakturbereich ist sehr hinderlich für eine konventionelle invasive Frakturversorgung, dadurch ist insbesondere im zahntragenden Abschnitt des Unterkieferkörpers eine Modifikation der Versorgung anzustreben.

Für Ober- wie für Unterkieferfrakturen gilt, dass eine gute Einstellung der Verzahnung nach Reponieren der Fraktur nur dann gewährleistet ist, wenn die Kontrolle des Kieferschlusses möglich ist. Neben der passageren Extubation zur Kontrolle kommt alternativ die Intubation mittels Pharyngostomie in Betracht, welche während der gesamten Zeit der operativen Versorgung eine fortwährende Kontrolle gewährleistet sowie bei der Verblockung von Ober- und Unterkiefer bei kaudalen Frakturen eine Fixierung im Schlussbiss erlaubt. 

 
Frakturen der Unterkiefersymphyse
 
Da in der Regel die Unterkiefersymphyse keinen knöchernen Durchbau zeigt, stellt sie bei Unfällen genau genommen eine präformierte Bruchstelle dar, häufig kommt es zu einer „Sprengung“ oder „Separation“ dieser Verbindung. Insbesondere bei Stürzen aus großer Höhe (High rise syndrome) kommt es bei der Katze häufig zu Verletzungen der Unterkieferfront, da die Katze durch geschickte Drehung in der Luft es zwar schafft, mit allen vier Gliedmaßen aufzukommen und sich abzufangen, allerdings schlägt infolgedessen der Kopf mit dem Unterkiefer voran auf den Boden, welches in den meisten Fällen zu einer Separation von linkem und rechtem Unterkieferast führt. Klinisch wie röntgenologisch zeigt sich infolge Muskelzugs eine Verschiebung der Unterkieferäste gegeneinander, dieses ist sowohl vertikal wie horizontal möglich. Die Standardversorgung einer Unterkiefersymphysenseparation ist das Anlegen einer circummandibulären Draht-cerclage kaudal der Unterkiefercanini (Abbildung 2). Bei intraoraler Lage der Verdrillung wird der Draht rostral des seitlichen Lippenbändchens unter Zuhilfenahme einer Kanüle subkutan um die Unterkieferfront geführt. Bei seitlichem Anlegen der Verdrillung kann es zu Störkontakten mit dem Oberkiefercaninus kommen, daher kann die Verdrillung auch lingual der Incisivi gelegt und dort in der Schleimhaut versenkt werden. Bei extraoralem Anlegen der Verdrillung wird der Draht über eine Kanüle nach einem kleinen Hautschnitt ventral der Unterkieferfront eingestochen und rostral des seitlichen Lippenbändchens herausgeführt, dann kontralateral rostral des Lippenbändchens wiederum über eine Kanüle eingestochen und zum Ende des Drahtes am Hautschnitt geführt, dort verdrillt und subkutan versenkt. Die verwendete Drahtstärke variiert je nach Größe der Katze zwischen 0,3 und 1mm Durchmesser.

Bei Anziehen der circummandibulären Drahtcerclage muss darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer Konvergenz der Unterkiefercaninikronen kommt, welches konsekutiv zu Störkontakten in der Okklusion führt und gegebenenfalls sogar den Kieferschluss inhibieren kann. Zur Vermeidung des Einwärtskippens kann gegebenenfalls eine Kompositbrücke zwischen den Unterkiefercanini mittels Anätztechnik befestigt werden. Die Versorgung einer Unterkiefersymphysenfraktur mittels Knochenschraube oder transversalem Pin ist aufgrund der Schädigung der Caniniwurzeln obsolet.
 
 

Abbildung 2. Versorgung einer Unterkiefersymphysenseparation mittels circummandibulärer Cerclage. © Markus Eickhoff / Thieme

 

Fraktur des Corpus mandibulae (horizontaler Unterkieferast)

Je nach Verlauf der Frakturlinie kann sich bei einer Fraktur des Unterkieferkörpers aufgrund des Muskelzugs eine Dislokation ergeben oder dem entgegengesetzt sogar eine Stabilisierung im Frakturbereich, man spricht daher von „ungünstigem“ und „günstigem“ Frakturverlauf. Bei kaudoventralem Frakturverlauf kommt es infolge des achsenfernen Zugs der Mundöffner und des achsennahen Zugs der Mundschließer zu einem Klaffen des Frakturspalts (Abbildung 3a). Bei kaudodorsalem Verlauf dagegen kommt es zu einer Kompression im Frakturspalt (Abbildung 3b). Im zahnlosen Kieferanteil ist der Einsatz einer Osteosyntheseplatte denkbar (z.B. Miniplatte), im zahntragenden Kieferabschnitt ist der Einsatz von Drahtcerclagen oder nicht invasiven Methoden, wie die Nutzung einer Kunststoffschienung günstiger. Beim Legen von Drahtcerclagen muss beim Platzieren der Bohrungen sehr genau auf den Wurzelverlauf geachtet werden, um Schädigungen zu vermeiden, ebenso sollte der Mandibularkanal ausgespart bleiben. Dieselbe Problematik ergibt sich beim Einsatz von Osteosyntheseplatten, da die Bohrlöcher bereits vorgegeben sind. Am Ventralrand des Unterkiefers (Drucktrajektorium) ist das Einsetzen einer Miniplatte relativ problemlos möglich, genügt allein jedoch nicht den Belastungsanforderungen. Daher sollte am auf Zug belasteten zahntragenden Alveolarkamm (Zugtrajektorium) zusätzlich eine Frakturstabilisierung erfolgen, zur Schonung der Zähne vorzugsweise nicht mittels Osteosyntheseplatte, sondern durch ein alternatives Verfahren wie z.B. eine Kunststoffschienung, eine Drahtcerclage oder eine Kombination aus beidem. 

 

Abbildung 3. Fraktur des Corpus mandibulae. Gelber Pfeil = Zugrichtung der Kieferöffner, roter Pfeil = Zugrichtung der Kieferschließer. 
a. Ungünstiger Verlauf der Frakturlinie einer Unterkieferkörperfraktur mit Klaffen des Frakturspaltes.
© Markus Eickhoff

 

 

Abbildung 3. Fraktur des Corpus mandibulae. Gelber Pfeil = Zugrichtung der Kieferöffner, roter Pfeil = Zugrichtung der Kieferschließer. 
b. Günstiger Verlauf der Frakturlinie einer Unterkieferkörperfraktur mit Kompression im Bereich des Frakturspaltes.
© Markus Eickhoff

 

 

Bei günstigem Frakturverlauf kann eine dorsale Cerclage ausreichende Stabilität erzielen, bei ungünstigem Verlauf sind zwei Cerclagen gefordert (Abbildung 4 a-d). Alternativ ist eine nicht invasive Versorgung mittels Kunststoffschiene über die Zahnreihe möglich, allein oder in Kombination mit einer Drahtcerclage. Eine zusätzliche Stabilisierung der Kunststoffschienung kann über eine interdental geführte Drahtcerclage erreicht werden. Kaltpolymerisierende Kunststoffmaterialien sind exotherm aushärtenden Kunststoffen wie Methacrylaten vorzuziehen, um eine thermische Schädigung der Zähne zu vermeiden. Bei Verwendung von Methacrylaten ist auf eine ausreichende Kühlung während der Aushärtezeit zu achten. Vor Aushärtung ist eine Okklusionskontrolle anzuraten, um Störkontakte weitestgehend zu vermeiden. Die Zähne werden mit Phosphorsäure geätzt, um ein retentives Mikrorelief zu erzeugen, da eine Verkrallung des Kunststoffes in den Approximalräumen aufgrund der sekodonten Zahnform der Katze nicht gegeben ist. 

Abbildung 4. Unterkieferfraktur mit Dislozierung.
a. Der kaudale Anteil wird durch die Kieferschließer Richtung Schädelbasis gezogen, die Unterkieferfront in ventrale Richtung.
© Markus Eickhoff

Abbildung 4. Unterkieferfraktur mit Dislozierung.
b. Darstellung der Fraktur im Röntgenbild bei deutlicher Dislozierung.
© Markus Eickhoff

 

Abbildung 4. Unterkieferfraktur mit Dislozierung.
c. Fixierung der Unterkieferkörperfraktur mittels Kunststoffschiene und Cerclage nach Reponieren.
© Markus Eickhoff

 

 

Abbildung 4. Unterkieferfraktur mit Dislozierung.
d. Darstellung der reponierten und fixierten Fraktur in der Röntgenbildkontrolle.
© Markus Eickhoff

 

 

Eine Ruhigstellung des Frakturbereichs mittels Maulschlinge ist aufgrund der Kopfform der Katze meist sehr schwierig. Bei der Maulschlinge wie auch beim Mundspaltenverschluss mit Knöpfen handelt es sich per se lediglich um eine relative Ruhigstellung, es verbleiben geringe Bewegungen auf dem Frakturspalt, welche eine knöcherne Ausheilung behindern und zur Entstehung eines Pseudogelenkes beitragen können. Die nutritive Versorgung der Katze muss bei dauerhaftem Verschluss der Mundspalte via Ernährungssonde erfolgen. 

Bei multiplen Bruchfragmenten oder bei Frakturen mit großem Stückverlust kann der Einsatz eines Fixateurs externe erwogen werden. Wiederum ist auf maximale Schonung der Zähne zu achten. Zwei Kirschnerdrähte pro Fragment sind ausreichend und werden interradikulär mit abweichender Achsenrichtung eingebracht. Die Verblockung mittels Kunststoff erfolgt nach Umbiegen der Drähte kiefernah. Der Einsatz eines intramedullären Pins oder eines Pins im Mandibularkanal ist obsolet. 

 
Frakturen des Ramus mandibularis (vertikaler Unterkieferast) 
 
Bei Frakturen des dünnwandigen vertikalen Unterkieferastes werden die Frakturenden durch die medialen und lateralen Muskelmassen der Mundschließer in vielen Fällen ausreichend stabilisiert. Je nach Frakturverlauf ist aufgrund des rostrodorsalen Muskelzugs eine Stauchung im Frakturbereich mit konsekutivem Höhenverlust möglich, eine Versorgung mittels Drahtcerclage oder Miniplatte kann angestrebt werden. 

Frakturen des Gelenkfortsatzes zeigen sich klinisch mit Deviation des Unterkiefers zur kranken Seite, der Kieferschluss ist behindert. Frakturen im Kiefergelenksbereich sind anspruchsvoll in der röntgenologischen Darstellung, eine dorsoventrale sowie laterolaterale Projektion sind häufig nicht ausreichend zur Beurteilung der Fraktur. Durch eine seitliche Schrägprojektion ist eine isolierte Darstellung des Kiefergelenks möglich, besser noch ist die Darstellung mittels Schichtaufnahmen (CT, MRT). Aufgrund der Kleinheit der anatomischen Strukturen ist eine Kiefergelenksfortsatzfraktur chirurgisch sehr schwierig bis unmöglich zugänglich. Aufgrund der permanenten Bewegung des Unterkiefers besteht die Gefahr der Entstehung einer Pseudoarthrose. In manchen Fällen ist die pseudogelenkige Verbindung trotz ausbleibender Ausheilung funktionell ausreichend, so dass keine weitere Versorgung notwendig wird, sofern die Okklusion unbehindert ist. Durch Kallusbildung kann es zur Versteifung mit Ankylose kommen, welche eine Resektion des Kiefergelenksköpfchens nach sich ziehen würde. Da die direkte Versorgung im Frakturbereich meist nicht möglich ist, besteht die Alternative in der Ruhigstellung des Unterkiefers über eine temporär fixe Verbindung zum Oberkiefer, einer so genannten intermaxillären (synonym gebraucht: maxillomandibuläre) Verblockung. Genutzt werden hierzu die vier Canini, die miteinander über eine Kompositbrücke mittels Anätztechnik verbunden werden (Abbildung 5). Die Fixation im Schlussbiss gewährleistet eine sichere Okklusion, macht jedoch in jedem Falle eine Ernährung über eine Ösophagussonde notwendig. Eine Fixation in halboffener Stellung muss genau eingestellt werden, um spätere Störkontakte zu vermeiden, ermöglicht in vielen Fällen jedoch die selbstständige Aufnahme suppigen Futters. Maulschlinge und Mundspaltenverschluss mit Knöpfen zur Ruhigstellung der Kiefergelenksköpfchenfraktur sind aufgrund der deutlich größeren Bewegungsamplitude des Unterkiefers wiederum nur zweite Wahl.

Eine zwei- bis dreiwöchige Dauer der Verblockung ist ausreichend und vermeidet arthrotische Umbauvorgänge im ruhiggestellten Kiefergelenk. Oben beschriebene Drahtcerclagen, Osteosyntheseplatten und Kunststoffschienungen können nach sechs Wochen entfernt werden. 
 

Abbildung 5. Intermaxilläre Verblockung im Caninusbereich mittels Komposit nach kiefergelenksnaher Fraktur. © Markus Eickhoff / Thieme

 

Zähne im Frakturspalt

In vielen Fällen müssen Zähne im Frakturbereich belassen werden, um eine Stabilisierung zu gewährleisten oder als Retention für eine Kunststoffschiene zu dienen. Kontraindikationen für das Belassen eines Zahnes im Frakturbereich sind ein exazerbiertes parodontales Geschehen, eine hochgradige Lockerung oder ein deutlich infizierter Bruchspalt. Bei Fraktur eines benötigten Zahnes sollte dieser provisorisch endodontisch versorgt werden, um ein pulpitisches Geschehen samt negativen Auswirkungen auf die Frakturheilung zu vermeiden. Die definitive endodontische Versorgung kann nach Entfernung der Frakturversorgung durchgeführt oder alternativ der Zahn entfernt werden. Durch die häufig vorliegende Kommunikation des Frakturspaltes mit der bakterienbeladenen Mundhöhle sollte eine antibiotische Abdeckung erfolgen, um die Ausheilung der Fraktur günstig zu begleiten, ebenso ist eine antiphlogistische und analgetische Versorgung obligat. 


Zusammenfassung

Im Vordergrund der Versorgung von Kieferfrakturen bei der Katze steht die Wiederherstellung einer funktionellen Okklusion. Diese ist von der Wertigkeit höher einzustufen als ein röntgenologisch einwandfreies Reponieren der Frakturfragmente. In der Versorgung ist darauf zu achten, dass Zähne so weit wie möglich geschont werden, da sie häufig sogar zur Stabilisierung der Fraktur herangezogen werden müssen. Neben dem Einsatz von Drahtcerclagen und Osteosyntheseplatten kommen auch nicht invasive Techniken unter Verwendung von Kunststoffen zum Einsatz.
 

 

Weiterführende Literatur

  • Bellows J. Feline Dentistry: oral assessment, treatment and preventive care. 1st ed. Wiley: Blackwell 2010. 
  • Tutt C, Deeprose J,Crossley D. Eds. Manual of canine and feline dentistry. 3rd ed. Gloucester: BSAVA 2007. 
  • Eickhoff M. Zahn- Mund- und Kieferheilkunde bei Klein- und Heimtieren. 1st ed. Stuttgart: Enke Verlag 2005. 
  • Niemic BA. Small animal dental, oral and maxillofacial disease. 1st ed. London: Manson 2010.
  • Verstraete FJM, Lommer MJ. Oral and maxillofacial surgery in dogs and cats. 1st ed. Philadelphia: Saunders 2012.
 

 

Markus Eickhoff

Markus Eickhoff

Markus Eickhoff, Weissach bei Stuttgart, Deutschland Mehr lesen

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