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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 22.3 Zahnheilkunde

Füllungen, Kronen und Implantate

veröffentlicht 09/04/2021

Geschrieben von Nicolas Girard

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Zahnschäden treten häufig auf, sie werden aber oft übersehen oder ihre Folgen werden ignoriert, im besten Falle unterschätzt. Die Schäden sind in der Regel traumatischen Ursprungs und werden am häufigsten nach heftigen Tauziehspielen mit abrasiven oder bruchempfindlichen Spielzeugen beobachtet. 

Gegossene Zahnprothese aus Metall, angepasst nach endodontaler und parodontaler chirurgischer Behandlung zur Verlängerung der Krone (zu beachten ist, dass das umgebende parodontale Gewebe entzündungsfrei ist).

Kernaussagen

Zahntraumata sind gleichbedeutend mit Schmerzen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich, Letztere werden aber häufig unterschätzt. Die Behandlung sollte so früh wie möglich eingeleitet werden.


Die Wurzelkanalbehandlung liefert in der Regel zufrieden stellende Ergebnisse, ein wichtiger prognostischer Faktor ist jedoch der zeitliche Abstand zwischen Verletzung und Behandlung.


Die intraorale Radiographie ist das bevorzugte diagnostische Instrument. Sie ermöglicht die genaue Beurteilung einer Läsion und eine Überwachung sämtlicher Schritte des therapeutischen Prozesses. Eine radiographische Verlaufskontrolle über einen längeren Zeitraum ist immer ratsam.


Die Vorteile von Zahnprothesen werden oft unterschätzt. Zahnprothesen müssen aber immer lege artis eingesetzt werden und nur nach effektiver endodontaler und parodontaler Behandlung.


Bei den Überlegungen zum Einsatz von Implantaten ist eine sorgfältige Beurteilung der im Gebiss auftretenden mechanischen Kräfte von zentraler Bedeutung.


Einleitung 

Zahnschäden treten häufig auf, sie werden aber oft übersehen oder ihre Folgen werden ignoriert, im besten Falle unterschätzt. Die Schäden sind in der Regel traumatischen Ursprungs und werden am häufigsten nach heftigen Tauziehspielen mit abrasiven oder bruchempfindlichen Spielzeugen beobachtet. Die zentrale Bedeutung einer gründlichen klinischen Untersuchung, einschließlich einer Beurteilung der Maulhöhle, kombiniert mit einem guten Verständnis der potenziellen Folgen von Zahntraumata, kann an dieser Stelle nicht eindringlich genug betont werden. Fortschritte in der Zahnbehandlung haben den Zugang zu modernen chirurgischen Techniken für den Erhalt, die Verstärkung oder den Ersatz geschädigter oder fehlender Zähne vereinfacht. Der Tierarzt sollte diese therapeutischen Optionen kennen, eine exakte Diagnose stellen können und in der Lage sein, einen geeigneten Behandlungsplan zu erstellen. 
 

Klinische Indikationen für eine endodontale Behandlung 

Das offensichtlichste klinische Symptom, und zugleich das wichtigste für den Tierarzt und für den Patienten ist Schmerz. Schmerzen sind bei Zahntraumata immer vorhanden, sie bleiben vom Besitzer aber nicht selten unbemerkt, und ihre Diagnose verlangt eine gute Beobachtung des Patienten oder eine sorgfältige Erhebung des Vorberichts (Tabelle 1). Die Zahnpulpa, bestehend aus Bindegewebe, Blutgefäßen, Lymphgefäßen und Nerven, erstreckt sich kontinuierlich vom Zahn über die Wurzelspitze in den periapikalen Parodontalspalt. Schmerzen entstehen, wenn mechanische oder thermische Stimuli eine Entzündung der Zahnpulpa hervorrufen. Das Schmerzempfinden steigert sich, wenn das periapikale Parodont beim Kauen komprimiert wird, aber auch im Rahmen der Entwicklung der verschiedenen Phasen akuter und chronischer Entzündungen. Besitzer gewöhnen sich nicht selten an den Zustand ihrer Tiere und wissen in der Regel nur wenig darüber, wie Tiere Schmerzen äußern. Die Diagnose von Schmerzzuständen erfolgt deshalb oft verzögert. Frakturierte Zähne sind zudem eine ideale Lokalisation für eine bakterielle Besiedelung. In der eröffneten Pulpahöhle entsteht eine Infektion meist unmittelbar, es dauert aber mehrere Tage, bis die lokalen Symptome (periapikale Parodontitis) klinisch auffallen werden 1. Auch unter Berücksichtigung der eigentlich außerhalb des Zahnes lokalisierten, aber dennoch zum Krankheitsgeschehen gehörenden periapikalen Entzündung handelt es sich bei einem Zahn um ein mehr oder weniger geschlossenes System, so dass die Entwicklung der Erkrankung in erster Linie von verschiedenen Faktoren auf Seiten des Wirts abhängt (periapikale Umgebung, Alter, allgemeiner Immunstatus). Die Entzündung kann sich als akutes Krankheitsgeschehen (Abszess, Fistel, eitrige Entzündung) oder als chronisches Geschehen (Granulom, Zyste) darstellen (Abbildung 1). Eine irreversible periapikale Entzündung kann aber auch nach Traumata entstehen, die anstelle einer Fraktur eher eine Kontusion verursachen. Diese Läsionen treten häufig bei kleinen Rassen auf und können bei ausbleibender Behandlung hochgradige Schäden hervorrufen.

 
Tabelle 1. Zahntraumata und mögliche Ursachen.
Zahnfraktur Verkehrsunfall, Sturz, Kieferfraktur (einfach, d.h. ohne Freilegung der Pulpa oder kompliziert, d.h. mit Freilegung der Pulpa).
Abrasion Metallgitterstab, Tennisball, vorzeitige Abnutzung am Gegenzahn (einfach oder kompliziert).
Attrition Malokklusion, vorzeitige Abnutzung am Gegenzahn (einfach oder kompliziert).
Zahnluxation Verkehrsunfall, Sturz, Kieferfraktur/Kieferkontusion (keine Zahnverlagerung); laterale Luxation (moderate Verlagerung ohne Ruptur der Zahngefäße); Avulsion (Verlagerung und Ruptur der Zahngefäße).

Abbildung 1a. Erkrankungen infolge von Zahnschädigungen können verschiedene Formen annehmen. Diffuse Osteomyelitis, intraorale Fistel und Entzündung der Lefze bei einem Labrador mit Zahntrauma. © Nicolas Girard
 
 

Abbildung 1b. Erkrankungen infolge von Zahnschädigungen können verschiedene Formen annehmen. Bei Öffnung der Maulhöhle wird eine komplizierte Fraktur des Caninus im Unterkiefer sichtbar. © Nicolas Girard
 
 

Klinische Indikationen für Zahnprothesen 

Funktionelle Defizite, wie zum Beispiel eine Malokklusion infolge einer abgebrochenen Zahnkrone, sind häufig die entscheidenden Gründe für eine Behandlung. Der Besitzer ist davon überzeugt, dass eine Wiederherstellung der natürlichen Zahnhöhe zur Wiederherstellung eines korrekten Bisses führt und unterschätzt dabei in der Regel die durch das periapikale Entzündungsgeschehen hervorgerufenen Schmerzen. In anderen Situationen ist es der Tierarzt, der eine Zahnprothese empfiehlt, mit dem Ziel, den devitalisierten Zahn zu erhalten und zu stärken. Das primäre Ziel einer jeden Zahnprothese ist ein besserer Schutz gegen mechanischen Abrieb, zukünftige Schäden und eine potenzielle bakterielle Kontamination der Pulpahöhle.

Dank jüngster Fortschritte auf dem Gebiet der Kompositrestaurationen stehen heute verschiedene Optionen für eine bestmögliche Versorgung frakturierter Zähne zur Verfügung. Einige Kliniker sind der Auffassung, dass eine Parodontalbehandlung, eine Wurzelkanalbehandlung und eine geeignete Restauration der Zahnintegrität (Versiegelung) ausreichen, um eine gute Funktion wiederherzustellen, und zwar unabhängig von der Höhe des residualen Zahnstumpfes. Da ein restaurierter Zahn aber niemals so stabil sein kann wie der Originalzahn, muss der Besitzer darüber aufgeklärt werden, dass ein Zahnkronenverlust funktionelle Einschränkungen mit sich bringt, das heißt, Stöße müssen minimiert und die Einwirkung übermäßiger Beißkräfte mit Hilfe eines angepassten Trainings vermieden werden. Für andere Kliniker weisen Studien aus der Humanmedizin auf die Vorteile von Zahnprothesen auch in der Tiermedizin hin. Für Zahnprothesen sprechen danach insbesondere eine Verbesserung der mechanischen Kraft und der Schutz des devitalisierten Zahnes vor Flüssigkeiten, die über Mikroleckagen eindringen könnten (Abbildung 2) 2. Bislang gibt es aber noch keine veterinärmedizinischen Studien, die diesen therapeutischen Ansatz wissenschaftlich fundiert befürworten oder ablehnen würden. Die Entscheidung liegt im Einzelfall also ganz in der Hand des behandelnden Tierarztes, stets unter Berücksichtigung des Wohles des Tieres und der Effizienz der Zahnprothese.

 
 

Abbildung 2a. Eine Zahnprothese kann in verschiedenen Situationen angezeigt sein. Hochgradige Abrasion bei einem Belgischen Malinois. © Nicolas Girard
 
 

Abbildung 2b. Eine Zahnprothese kann in verschiedenen Situationen angezeigt sein. Gegossene Zahnprothese aus Metall, angepasst nach endodontaler und parodontaler chirurgischer Behandlung zur Verlängerung der Krone (zu beachten ist, dass das umgebende parodontale Gewebe entzündungsfrei ist). © Nicolas Girard
 
 

Funktionelle Defekte gehen immer mit mehr oder weniger stark ausgeprägten ästhetischen Defekten einher. Letztere werden in der Tiermedizin aber nur selten berücksichtigt. In der Regel erfolgt bei diesen Patienten nämlich eine direkte Restauration (d.h., eine Restauration des defekten Zahns in einem Schritt) ohne den Versuch zu unternehmen, die ursprüngliche, natürliche Höhe des Zahnes wiederherzustellen. Oder es erfolgt eine indirekte Restauration durch eine Metallkrone (anstelle einer Keramikkrone), da das ästhetische Erscheinungsbild nur selten im Vordergrund steht. Gelegentlich (z.B. bei Ausstellungshunden) verlangen Besitzer aber auch eine keramische Überkronung, um das ursprüngliche, natürliche Aussehen des Zahnes wiederherzustellen. In Anbetracht der relativ hohen Fragilität solcher Keramikprothesen sollte der Tierarzt solche Anfragen seitens der Besitzer aber sehr sorgfältig abwägen (Abbildung 3).

Abbildung 3. Keramikkrone auf dem linken Caninus im Oberkiefer eines Boxers nach endodontaler Behandlung. © Nicolas Girard

Fortschritte in der humanen Implantologie zur Lösung parodontaler Probleme haben natürlich dazu geführt, dass diese Techniken auch bei Tieren getestet werden. Die Vor- und Nachteile von Zahnimplantaten müssen aber sehr sorgfältig mit den Besitzern betroffener Tiere diskutiert werden. Wichtig sind dabei insbesondere Hinweise auf die Grenzen dieser Methoden und die zu erwartenden Prognosen. Natürlich müssen dabei auch ganz grundlegende Unterschiede zwischen veterinärmedizinischen und humanmedizinischen Indikationen (z.B. Agenesie von Zähnen, Zahnavulsion und Zahnextraktion) berücksichtigt werden 3.

Die Beurteilung des Patienten und des Zahnes 

Einer Zahnuntersuchung muss stets eine vollständige klinische Untersuchung vorangehen, und je nach Indikation auch eine neurologische Untersuchung. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Kiefergelenken, den knöchernen Strukturen des Kiefers und des Gesichtsschädels und nicht zuletzt auch der Maulschleimhaut. Die Untersuchung eines geschädigten Zahnes beginnt zunächst am wachen Tier, sie muss in aller Regel aber am allgemein anästhesierten Tier vervollständigt werden. Bei der Untersuchung am wachen Tier achtet der Tierarzt zunächst auf folgende Parameter:

  • Jegliche Unterschiede in der Färbung der gesamten Krone oder von Teilabschnitten der Krone 4 (Abbildung 4).
  • Die strukturelle Integrität der Krone. 
  • Jegliche Reaktion des Tieres bei Perkussion des Zahnes 
  • Die Zahnokklusion 
Abbildung 4. Verfärbung und Abrasion des rechten Caninus im Oberkiefer, auf eine Pulpanekrose hinweisend. © Nicolas Girard

Die einfachste und zugleich hilfreichste Technik ist die Untersuchung der Zahnoberfläche mit einer Dentalsonde. Dabei fällt eine mögliche Eröffnung der Pulpahöhle unmittelbar auf. Ist eine Öffnung vorhanden, so hat diese erhebliche Auswirkungen auf mögliche Komplikationen und die therapeutischen Optionen.

Beim anästhesierten Patienten sind folgende Punkte entscheidend:

  • Beurteilung der parodontalen Integrität (Beurteilung der subgingivalen Ausdehnung der Fraktur mit Hilfe einer Sonde). 
  • Intraorale Röntgenaufnahmen zur Beurteilung des Zahnkanals (Pulpahöhle und Wurzelkanal) und zur Abklärung einer periapikalen Entzündung.
Das Behandlungsprotokoll und die Prognose müssen dem Besitzer ausführlich erläutert werden. Wichtig ist eine genaue klinische Diagnose, und bei der Wahl der Methode der endodontalen Behandlung und/oder der Restauration mit einer Zahnprothese müssen folgende Punkte beachtet werden: 
  • Der klinische Status des Patienten (d.h., Alter, Vorbericht, kardiovaskulärer und metabolischer Status). 
  • Die Zahnokklusion und die wahrscheinlich auftretenden mechanischen Kräfte. 
  • Der Zustand des parodontalen Gewebes (Überprüfen, ob eine parodontale Erkrankung vorliegt und beurteilen, ob eine chirurgische Restauration überhaupt möglich ist). 
  • Zufriedenstellender orodentaler Hygienestatus. 
  • Geeignete endodontale Behandlung (Tabelle 2). 
  • Dentale Radiographie (Abklärung periapikaler Läsionen, Ankylose oder Wurzelresorption). 
  • Verwendung von Zahnmodellen zur präzisen Reproduktion der Unterkiefer- und Oberkieferzahnbögen. 
 
Tabelle 2. Beurteilung und Behandlung von Zahntraumata.
Grad der Pulpitis  Verzögerung der Behandlung  Grad der periapikalen Parodontitis  Behandlung
Reversible Pulpitis  0-2 Tage  Fehlt Partielle Pulpotomie oder Wurzelkanalbehandlung
Irreversible Pulpitis  2-7 Tage  Fehlt Wurzelkanalbehandlung in einer Sitzung
Pulpanekrose > 15 Tage  Moderat  Wurzelkanalbehandlung in einer Sitzung
Pulpanekrose > 15 Tage  Hochgradig (Osteomyelitis, Schmerz, Entzündung)  Wurzelkanalbehandlung in zwei Sitzungen


Materialien, Techniken und Nachsorge 

Endodontale Behandlungen unterscheiden sich je nach der seit dem Eintritt des Pulpatraumas vergangenen Zeit. Die Behandlung eines vitalen Zahnes muss innerhalb von 48 Stunden nach dem traumatischen Ereignis erfolgen. Jüngste Studien bestätigen mit Hilfe von Bild gebenden Verfahren und der periapikalen Histologie das schnelle Eintreten einer periapikalen Entzündung nach Infektion des Wurzelkanals 1

Eine partielle Pulpotomie und eine Pulpaüberkappung werden unter aseptischen chirurgischen Bedingungen durchgeführt, das heißt, unter Verwendung steriler Instrumente, einer Desinfektion der Maulhöhle und der zu behandelnden Zahnoberfläche und unter Verwendung eines sterilen Dental-Abdecktuchs. Der Schlüssel zu einer effektiven Behandlung liegt in der Qualität der Restauration und hierbei insbesondere in der Kontrolle jeglicher undichter Stellen. Die infizierte koronale Pulpa wird mit Hilfe eines Zahnbohrers, der etwas größer ist als der Durchmesser des Zahnkanals, entfernt. Nach Stillung der Blutung wird die Pulpa mit einem heilungsfördernden Material (Calciumhydroxid oder eine Hydroxyapatit-Mischung) überkappt. Bei Kontakt des Calciumhydroxids mit der Pulpa bildet sich eine lokale aseptische Nekrose mit Bildung einer so genannten Dentinbrücke (Reparationsdentin). Die Bildung von Ersatzdentin kann mit Hilfe von Röntgenaufnahmen bestätigt werden, die Dentinbrücke selbst stellt jedoch keine hermetisch geschlossene Barriere gegen Flüssigkeiten dar. Der Schlüssel zu einer effektiven Behandlung liegt also in der Qualität der Restauration, und insbesondere in der Frage, wie flüssigkeitsdicht diese ist.

Gute Kenntnisse der Qualitäten und Grenzen der verschiedenen Dentalmaterialien sind wichtig und erleichtern den praktischen Umgang und das Einsetzen dieser Substanzen. Ganz wesentlich für eine erfolgreiche Restauration ist der physikalische und mechanische Schutz der Pulpaüberkappung. Zur Anwendung kommt eine Sandwich-Technik unter Verwendung einer aus einem Glasionomerzement (ausgewählt auf der Grundlage von guter Widerstandsfähigkeit und Impermeabilität) bestehenden Basis, die die Pulpaüberkappung schützt und die Restauration stützt. Die Restauration der Kronenöffnung erfolgt mit einem Komposit (Kompositrestauration), der anhand seiner mechanischen Widerstandskraft und seiner ästhetischen Eigenschaften ausgewählt wird.

Die Behandlung der kontaminierten Pulpa innerhalb von 48 Stunden nach dem Trauma führt zu einer Erfolgsrate von 88% 5. Wird die Infektion der Pulpa dagegen erst zwischen 48 Stunden und sieben Tagen nach dem Trauma behandelt, sinkt die Erfolgsrate auf 41%, und Infektionen, die älter als eine bis drei Wochen sind, erreichen in nur 23% der Fälle eine zufrieden stellende Prognose. Diese Ergebnisse einer veterinärmedizinischen Studie korrelieren mit Empfehlungen aus der humanen Zahnmedizin, denen zufolge die höchsten Chancen auf einen therapeutischen Erfolg (95%) bestehen, wenn eine reversible Pulpitis innerhalb von 24 Stunden behandelt wird 6.

Die Wurzelkanalbehandlung ist die Behandlung der Wahl für Pulpatraumata, die älter als 48 Stunden sind. Die Behandlung umfasst das vollständige Entfernen der Pulpa mit mechanischem Debridement der Wände des Zahnkanals, der anschließend desinfiziert (chemisches Debridement) und vollständig verfüllt wird, bevor schließlich die Krone restauriert wird. Die chirurgischen Techniken variieren und unterscheiden sich vor allem in der Methode der Füllung des Kanals. Die Methoden zur Desinfektion und Formgebung des Wurzelkanals variieren dagegen nur geringfügig, diese Schritte sind aber entscheidend für eine effektive Behandlung. Die Formgebung im Rahmen der Wurzelkanalaufarbeitung erlaubt einen effektiveren Einsatz der Instrumente und eine bessere Zirkulation der Spüllösungen. Ist der Kanal ausreichend geöffnet, kann die Spülflüssigkeit auch die feinsten Verästelungen des Pulpasystems erreichen und dadurch den Wirkungsgrad der Desinfektion verbessern. Das Entfernen des Pulpagewebes ist sicherlich sehr wichtig, der entscheidende Schritt zur effektiven Desinfektion des Wurzelkanals ist aber das vollständige mechanische Debridement, gefolgt von einem chemischen Debridement der Dentinwände. Der Kanal sollte im Rahmen der Aufbereitung konisch ausgeformt werden, im Idealfall in einer Konizität von etwa 10% (d.h. 0,1 mm pro 1 mm) 7 8. Besonders wichtig ist dies im apikalen Drittel der Wurzel. Es folgt eine dreidimensionale Füllung des Wurzelkanals, um eine bakterielle Wiederbesiedelung zu verhindern. Der so genannte Dichtzement (Sealer) ist von wesentlicher Bedeutung, wenn der Wurzelkanal mit Guttapercha gefüllt wird. Als ultradünne Schicht aufgetragen, stellt der Dichtzement sicher, dass das Guttapercha den Wurzelkanal optimal ausfüllt und eine wasserdichte Barriere gegen Bakterien bildet (Abbildung 5).

 
Abbildung 5. Diese Röntgenaufnahme zeigt die endgültige (finale) Füllung. © Nicolas Girard

Die Erfolgsraten endodontaler Behandlungen sind in der veterinärmedizinischen Zahnheilkunde kaum untersucht. An dieser Stelle müssen aber zwei zentrale Unterschiede zur humanen Zahnheilkunde betont werden.

  • Die Behandlung bei Tieren wird oft erst längere Zeit nach dem initialen Trauma eingeleitet, und die periapikale Parodontitis ist zu diesem Zeitpunkt oftmals bereits weit fortgeschritten. 
  • Die Anatomie des Wurzelkanals ist bei Tieren sehr komplex. Ein Zahnkanal kann bis zu 40-42 mm lang sein, so dass sich ein effektives mechanisches und chemisches Debridement sehr schwierig gestaltet.

Eine retrospektive Studie stellt fest, dass die Behandlung einer irreversiblen Pulpitis mit klinischen und radiographischen Erfolgsraten von etwa 85% einhergeht, wenn sich jedoch eine Pulpanekrose entwickelt hat, fällt die Erfolgsrate auf etwa 45% ab 9. Betrachtet man aber nur Tiere ohne klinische Symptome (Schmerzen, Entzündung) und ohne radiographische Symptome einer Verschlechterung, so liegen die Gesamterfolgsraten der Wurzelkanalbehandlung etwa im Bereich der in der humanen Zahnheilkunde beschriebenen Raten von um die 96% 9. Diese Ergebnisse sind eine mögliche Erklärung dafür, warum die Meinungen unter Praktikern auseinander gehen, sie sollten Kliniker aber in jedem Fall für eine mögliche Unterschätzung chronischer Schmerzen bei behandelten Tieren sensibilisieren. Wird eine periapikale Parodontitis eindeutig diagnostiziert, sollte aus besagten Gründen ein zusätzliches Debridement bzw. eine zusätzliche Desinfektion empfohlen werden, auch wenn dies für den Patienten eine zweite Allgemeinanästhesie bedeutet (Abbildung 6). In diesen Fällen wird nach Abschluss der initialen Wurzelkanalaufbereitung Calciumhydroxid in den Kanal appliziert. Anschließend wird der Kanal über einen Zeitraum von 15 Tagen durch eine temporäre Füllung mit hartem Füllmaterial verschlossen und so vor einer externen Kontamination geschützt. Die endgültige Füllung des Wurzelkanals erfolgt anschließend im Rahmen einer zweiten Sitzung. Mit diesem zweistufigen Vorgehen hat eine periapikale Parodontitis bessere Heilungschancen. Die Vorteile dieser Behandlung in zwei Sitzungen werden in einer prospektiven Studie mit Hilfe der zwei-und dreidimensionalen dentalen Bildgebung und der Histologie dargelegt 10. Die Nachteile einer zweiten Allgemeinanästhesie müssen dabei stets im Lichte von Parametern wie Schmerzen, dem Status der Pulpaentzündung (einfache Pulpitis gegen-über Pulpanekrose) und dem Grad des periapikalen Entzündungsgeschehens abgewogen werden 11.

 
Abbildung 6. Diffuse periapikale Osteomyelitis des Caninus im Unterkiefer, die eine Wurzelkanalbehandlung in zwei Sitzungen verlangt. © Nicolas Girard

Indirekte Zahnrestauration

Indirekte Zahnrestaurationen umfassen verschiedene chirurgische Prozeduren. Bei der Wahl zwischen der im Einzelfall geeigneten Option sollten das Ausmaß der Zahnschädigung, die vom restaurierten Zahn zu tragenden mechanischen Belastungen und die Notwendigkeit der Plaquekontrolle berücksichtigt werden, nicht zuletzt aber auch finanzielle und ästhetische Aspekte.

Im Idealfall wird die Überkronung sowohl eine exzellente Retention, als auch eine optimale mechanische Widerstandskraft aufweisen. Die Qualität der Retention der Restauration steht in direktem Bezug zum prozentualen Anteil der Zahnoberfläche, die von der Prothese bedeckt ist. Eine vollständige Überkronung, also eine Krone, die einen geschädigten Zahn vollständig überzieht, wird deshalb in der Veterinärmedizin weitgehend bevorzugt. Eine gegossene Metallprothese stärkt den geschädigten Zahn, indem sie die okklusalen Kräfte über eine große Oberfläche verteilt und indem sie eine direkte Krafteinwirkung auf die tatsächliche Frakturstelle vermeidet. Wichtig ist, dass die Überkronung selbst den Zahn nicht schwächt 12. Um dies zu erreichen, müssen die folgenden fünf Hauptprinzipien der dentalen Aufbereitung im Vorfeld des Einsetzens einer Krone berücksichtigt werden:

  • Erhalt der Zahnstruktur 
  • Retention und Widerstandsform der Krone 
  • Dauerhaftigkeit der Krone 
  • Integrität der Kronenränder 
  • Respektieren der darunter liegenden parodontalen Gewebe

Der Zahn wird im Rahmen einer ersten Allgemeinanästhesie präpariert. Die axialen Oberflächen müssen mit Hilfe eines konischen Diamandbohrers zurückgeschliffen werden, um den Halt der gegossenen Krone zu gewährleisten. Die Menge des entfernten Zahnschmelzes sollte so gering wie möglich sein (0,5 mm tief), und wünschenswert ist ein optimaler Präparationswinkel von 6% 12. Das ist aber nicht einfach: Eine Studie über Präparationswinkel, die von Zahnmedizinstudenten angefertigt wurden, zeigt, dass die Fähigkeit, diesen theoretisch idealen Winkel zu erreichen, erheblich variiert 13. Die Retention der Zahnprothese ist das Ergebnis einer mikromechanischen und chemischen Bindung. Allgemein anerkannt ist, dass ein signifikanter Anteil der Kronenretention zwar mit der Qualität der Adhäsion des Komposits zusammenhängt, ein minimaler Präparationswinkel für eine effektive Retention aber ebenfalls von fundamentaler Bedeutung ist 13. Die primäre Ursache von Kronendehiszenzen ist eine schlechte Präparation. Essentielle Parameter, die der zahnheilkundlich tätige Tierarzt beherrschen sollte, sind die Qualität der Form des Randes an der Basis der Krone, die optionale Anwendung eines endodontalen Retentionsstiftes und die finale supragingivale prothetische Abdeckung (die über dem Zahnfleischrand liegen sollte).

Ein während des Eingriffes angefertigter Silikonabdruck wird zu einem spezialisierten zahntechnischen Labor geschickt, das die Zahnkrone unter Verwendung einer Metalllegierung (Nickel-Kobalt oder Kobalt-Chrom) herstellt. Diese gewährleistet eine hohe Widerstandskraft gegenüber den im Gebiss auftretenden mechanischen Kräften. Im Rahmen einer zweiten Sitzung unter Allgemeinanästhesie wird nun die Krone eingesetzt, nach Bedarf angepasst und schließlich mit einem geeigneten, flüssigen Komposit versiegelt. Die Behandlung gilt als gescheitert, wenn der Zahn unter der Krone frakturiert oder sich die Krone ablöst. Der mittelfristige therapeutische Erfolg (drei Jahre nach Einsatz der Krone) liegt bei etwa 80% 13 und es scheint, dass die Rate des Scheiterns direkt in Verbindung steht mit der Höhe des residualen Zahnstumpfes, das heißt, je niedriger der residuale Zahnstumpf, desto schlechter die Retention (Abbildung 7). 

 

 

Abbildung 7. Gescheiterte Zahnprothetik aufgrund von mangelndem Verständnis und der Nichtbeherrschung der grundlegenden Regeln der endodontalen/parodontalen Behandlung und der Zahnrestauration. © Nicolas Girard

 

Schlussfolgerung 

Der Einsatz von Zahnprothesen in der Veterinärmedizin muss sorgfältig überlegt sein. Das ästhetische Erscheinungsbild steht dabei nur selten im Vordergrund. Entscheidend sind vielmehr der Schutz der Pulpa und die Gewährleistung eines schmerzfreien Zahnes. Zahnprothesen müssen stets lege artis eingesetzt werden und erst nach einer effektiven endodontalen und parodontalen Behandlung. Schließlich muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Fragen der Ästhetik und der Praktikabilität des Ersetzens fehlender Zähne stets sehr ausführlich mit den Besitzern betroffener Tiere diskutiert werden sollten. Alle vier zur Verfügung stehenden Restaurationstechniken (herausnehmbare Prothese, herausnehmbare oder feste Teilprothese oder Brücke oder eine von einem parodontalen Implantat gestützte Prothese (Abbildung 8)) tragen gewisse Risiken. Die im Gebiss eines Hundes wirkenden mechanischen Kräfte, aber auch die Schwierigkeiten bei der Sicherstellung einer zufrieden stellenden Verhaltenskontrolle, machen solche Behandlungen problematisch. Diese verschiedenen Aspekte der Zahnprothetik bei Kleintieren müssen Besitzern betroffener Tiere im Vorfeld etwaiger Maßnahmen ausführlich erläutert werden.

 

Abbildung 8a. Parodontales Implantat und Zahnprothese bei einem Hund. Die Röntgenaufnahme zeigt eine gute knöcherne Integration von zwei Implantaten im Alveolarknochen auf Höhe des rechten Caninus im Oberkiefer bei einem Hund einer großen Rasse nach Avulsion eines Zahnes. © Nicolas Girard
 
 

Abbildung 8b. Parodontales Implantat und Zahnprothese bei einem Hund. Zwei auf die Implantate geschraubte Suprastrukturen dienen als Halt für die Zahnprothese. © Nicolas Girard
 
 

Abbildung 8c. Parodontales Implantat und Zahnprothese bei einem Hund. Die finale Zahnkrone aus Keramik, auf den beiden Implantaten sitzend. © Nicolas Girard
 
 

Literatur

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Nicolas Girard

Nicolas Girard

Nicolas Girard, Centre VetDentis, Saint-Laurent-du-Var, Frankreich Mehr lesen

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