Helfen Sie Katzen und Hunden, ihr gesündestes Leben zu führen
Veterinary Focus

Ausgabe nummer 22.3 Zahnheilkunde

Systemische Auswirkungen der parodontalen Erkrankung

veröffentlicht 08/04/2021

Geschrieben von Alessandro De Simoi

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Bei der parodontalen Erkrankung handelt es sich um die bei Kleintieren am häufigsten festzustellende infektiöse Erkrankung mit einer Prävalenz von nahezu 80%. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter und sinkt mit zunehmender Körpergröße...

Intraorale Röntgenaufnahmen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Beurteilung von Hunden und Katzen mit Verdacht auf Parodontitis. Zu beachten ist der Verlust an Alveolarknochen um die betroffenen Zähne.

Kernaussagen

Bei der parodontalen Erkrankung handelt es sich um die bei Kleintieren am häufigsten auftretende infektiöse Erkrankung.


Vermutet wird, dass die parodontale Erkrankung ein zentraler Faktor bei verschiedenen systemischen Erkrankungen sein kann, so z.B. bei kardiovaskulären Problemen, bei Reproduktionsstörungen, bei Lebererkrankungen und bei Diabetes mellitus.


Es gibt verschiedene Hypothesen darüber, auf welche Weise eine Parodontitis systemische Erkrankungen beeinflussen kann, einen definitiven Beweis einer entsprechenden Verbindung gibt es bislang aber noch nicht.


Die Entstehung der parodontalen Erkrankung kann mit Hilfe einer gründlichen Entfernung bakterieller Zahnbeläge (Plaque) durch Zähneputzen und Zahn-/Maulhöhlenhygiene verhindert werden.


Einleitung 

Bei der parodontalen Erkrankung handelt es sich um die bei Kleintieren am häufigsten festzustellende infektiöse Erkrankung mit einer Prävalenz von nahezu 80% 1. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter und sinkt mit zunehmender Körpergröße, das heißt, bei kleineren Tieren kommt die Erkrankung sehr viel häufiger vor als bei mittelgroßen oder großen Tieren 1. Das auch als Zahnhalteapparat bezeichnete Parodont besteht aus dem Zahnfleisch, dem Wurzelzement, der Zahnwurzelhaut und dem Alveolarknochen. Gemeinsam sorgen diese anatomischen Strukturen für die Befestigung des Zahnes im Kieferknochen. Verursacht wird die parodontale Erkrankung durch einen auch als Plaque bezeichneten bakteriellen Zahnbelag. Die Erkrankung kann in zwei Teilelemente unterteilt werden: Gingivitis und Parodontitis. Bei der Gingivitis handelt es sich um eine reversible Entzündung des Zahnfleisches, die sich nach Beseitigung der Ursache, also der bakteriellen Plaque, wieder vollständig zurückbilden kann. Dagegen handelt es sich bei der Parodontitis um ein irreversibles entzündliches Geschehen des nicht-gingivalen Gewebes (Zahnwurzelhaut, Wurzelzement und Alveolarknochen). Die klinische Beurteilung einer Parodontitis erfolgt durch die Messung des Verlustes der Befestigung des Zahnes (epitheliales, desmodontales Attachment) im Kiefer. Eine Parodontitis kann entweder inaktiv (ruhende Phase) sein, ohne Hinweise auf eine Zahnfleischentzündung (wenn ein Attachmentverlust vorliegt, so kann dieser einige Zeit vorher eingetreten sein) oder aber es handelt sich um ein aktives Krankheitsgeschehen mit fortgesetzter Zerstörung des Zahnhaltegewebes (Abbildung 1). Obwohl unbestritten ist, dass es sich bei der Parodontitis um eine infektiöse Erkrankung handelt, und mehr als 700 Bakterienspezies mit der Fähigkeit zur Besiedlung des Biofilms im Sulcus gingivalis nachgewiesen sind, gelten die Koch’schen Postulate* hier nicht 2.

* 1. The microorganism must be found in abundance in an animal suffering from the disease, but should not be found in healthy animals. 2. The microorganism must be isolated from a diseased animal and grown in culture. 3. The cultured microorganism should then cause disease when introduced into a healthy animal. 4. The microorganism must be re-isolated from this experimentally infected animal and identified as being identical to the original causative agent.

 

Abbildung 1. Hochgradige, aktive Parodontitis bei einem Hund. © Dr. De Simoi
 

Eine Gingivitis, selbst wenn sie unbehandelt bleibt, führt nicht in jedem Fall zur Entstehung einer Parodontitis. In der Tat wird die Entwicklung der parodontalen Erkrankung in erster Linie durch ein Ungleichgewicht zwischen der bakteriellen Population und dem Immunsystem des Wirts bestimmt. Faktoren, die das Fortschreiten einer parodontalen Erkrankung unterstützen oder hemmen sind die Immunkapazität des Wirts, Stress, das Alter, der Ernährungs- und Stoffwechselstatus, die Rassezugehörigkeit und endokrine Erkrankungen. Schreitet die Erkrankung weiter fort, rufen die Zerstörung des Knochengewebes und die apikale Migration des stützenden Bindegewebes eine Lockerung des Zahnes hervor, die bis hin zum Verlust eines oder mehrerer Zähne reicht.

Bei der parodontalen Erkrankung handelt es sich um eine fokale Infektion. Diesem bereits vor mehr als einem Jahrhundert eingeführten Konzept zufolge handelt es sich um eine lokal begrenzte, chronische Erkrankung, die eine Quelle für Mikroorganismen, Toxine und Abbauprodukte von Bakterien und Gewebe darstellt, welche über den Blutkreislauf auch in weiter entfernt liegende Organe und Gewebe gelangen können 3. Bei erkrankten Toy-Rassen hat man die von der Parodontitis betroffene Oberfläche gemessen und herausgefunden, dass diese zwischen 3,18 und 29,8 cm2 liegt 4. Die Fläche des erkrankten Gewebes kann also einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Gesamtkörperoberfläche des Hundes einnehmen. 

Im Laufe der Entwicklung einer Parodontitis können die in den Parodontaltaschen siedelnden Bakterien in den Blutkreislauf gelangen und eine Bakteriämie hervorrufen. Bei gesunden Individuen wird diese Bakteriämie in aller Regel zwar mit Hilfe des retikulohistiozytären Systems gestoppt 5, eine fortgesetzte und dauerhafte bakterielle Exposition kann jedoch zur Entstehung systemischer Erkrankungen unter Einbeziehung weiter entfernt liegender Organe und Organsysteme führen 6 7. Die systemischen Auswirkungen einer parodontalen Erkrankung beschränken sich jedoch keineswegs nur auf die Folgen der bakteriellen Belastung. Chemische Entzündungsmediatoren, bakterielle Endotoxine und Toxine aus dem Gewebeabbau können ebenfalls an den Folgen beteiligt sein, entweder über direkte schädliche Wirkungen oder aber durch das Hervorrufen von Immunreaktionen in weiter entfernt von der Maulhöhle gelegenen Organen.

Auswirkungen auf das Herz-/Kreislaufsystem 

In der Humanmedizin gibt es mehr als 50 veröffentlichte Studien, die die Zusammenhänge zwischen parodontaler Erkrankung und kardiovaskulären Erkrankungen beleuchten. Die meisten dieser Studien stimmen darin überein, dass es eine direkte Korrelation zwischen diesen beiden Entitäten gibt. So wurden zum Beispiel Bestandteile paradontopathischer Bakterien in atherosklerotischen Plaques gefunden 8, und auch zwei neuere Meta-Analysen kommen zu dem Ergebnis, dass es eine signifikante Korrelation zwischen der parodontalen Erkrankung und kardiovaskulären Erkrankungen gibt  9 10

Dies trifft auch auf die Veterinärmedizin zu, wo verschiedene Studien ebenfalls eine positive Korrelation zwischen dem Vorhandensein parodontaler Erkrankungen und histopathologischen Veränderungen im Herzen und anderen inneren Organen zeigen 4 5 6 711 12 13 Dennoch herrscht in der internationalen wissenschaftlichen Meinung keine Übereinstimmung bezüglich der tatsächlichen Bedeutung oraler Infektionen bei der Entstehung systemischer Erkrankungen. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass es gegenwärtig immer noch keine schlüssigen Evidenzen einer direkten Verbindung zwischen der parodontalen Erkrankung und anderen Erkrankungen gibt 14.
 

Reproduktionsstörungen 

Nachgewiesen ist, dass schwangere Frauen mit Parodontitis ein um bis zu 7,5fach höheres Frühgeburtsrisiko haben, und dass Babys betroffener Mütter ein niedriges Geburtsgewicht aufweisen. Dieser Befund korreliert mit der durch zirkulierende bakterielle Lipoproteine hervorgerufenen Erhöhung proinflammatorischer Zytokine. In einigen Fällen konnten parodontopathische Bakterien auch direkt in der Amnionflüssigkeit nachgewiesen werden 15.

Diabetes mellitus 

Hohe zirkulatorische Konzentrationen chemischer Entzündungsmediatoren, wie zum Beispiel Interleukin 6 (IL6), Tumornekrosefaktor (TNF) und C-reaktives Protein (CRP) können die Insulinresistenz erhöhen und somit eine wirksame Kontrolle des Blutzuckerspiegels bei diabetischen Patienten verhindern. Ein Bericht stellt fest, dass die Behandlung einer parodontalen Infektion bei einem diabetischen Hund in der Folge die Kontrolle des Blutzuckerspiegels mit einer Insulinbehandlung ermöglichte 16.
 

Lebererkrankungen 

Beschrieben wird ein Zusammenhang von Lebererkrankungen wie Leberdegeneration, Steatose und intrahepatischen Abszessen mit Parodontitis bei Menschen und bei Hunden 7. Eine neuere Veröffentlichung stellt fest, dass sich die Ergebnisse von Leberfunktionstests bei Menschen nach parodontaler Behandlung verbesserten, und berichtet, dass eine Infektion mit dem Bakterium Porphyromonas gingivalis ein Risikofaktor für die Entwicklung und das Fortschreiten der hepatischen Steatose und der Steatohepatitis sein kann 17.
 

Ätiopathogenetische Hypothesen

In Anbetracht der Tatsache, dass ein klarer Nachweis von Mechanismen, die orale und systemische Erkrankungen eindeutig miteinander verbinden, sehr schwierig ist, wurden verschiedene Hypothesen zur Erklärung dieses Zusammenhangs entwickelt, namentlich die Hypothese der direkten Infektion, die Hypothese der systemischen Entzündung mit endothelialen Schäden und die Hypothese der molekularen Mimikry zwischen bakteriellen Antigenen und Autoantigenen.

Die Hypothese der direkten Infektion

Bakterien wie Streptococcus spp., Staphylococcus spp. und P. gingivalis sowie deren Nebenprodukte können die Gefäßbarriere überschreiten und auf diesem Weg in den systemischen Kreislauf eindringen. Eine transiente Bakteriämie wird nach dem Kauen und nach dem Zähneputzen sowie während der Zahnprophylaxe und dentalen chirurgischen Eingriffen beobachtet. Bei gesunden Individuen ist diese Bakteriämie in der Regel jedoch nur von geringer oder gar keiner klinischen Relevanz. Im Experiment konnte aber gezeigt werden, dass eine Bakteriämie mit P. gingivalis bei entsprechend empfänglichen Schweinen und Mäusen eine Atherosklerose induziert. Mehrere parodontopathogene Erreger konnten schließlich entweder direkt oder mittels PCR in weit von der Maulhöhle entfernt gelegenen Organen und Geweben isoliert bzw. nachgewiesen werden. Eine neuere Studie zeigt darüber hinaus, dass P. gingivalis bei Menschen in 100% aller untersuchten Fälle von atherosklerotischen Plaques vorhanden waren 18 19.
 

Die Hypothese der systemischen Entzündung

Dieser Hypothese zufolge verursacht eine Parodontitis eine Erhöhung zirkulierender Zytokine, die das Endothel von Blutgefäßen direkt schädigen können und auf diesem Weg zur Entstehung von Läsionen im Herzen und anderen inneren Organen führen. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass proinflammatorische Zytokine wie TNF und IL6 durch eine Aktivierung intrazellulärer Signale anabole Mutationen in Myozyten hervorrufen können, die schließlich zu myokardialer Hypertrophie führen 20. In mehreren Studien wurden bei Patienten mit chronischer Parodontitis hohe Konzentrationen an C-reaktivem Protein (CRP) beobachtet 21, und eine neuere Studie 22 zeigt, dass Menschen, die einer intensiven parodontalen Behandlung unterzogen wurden (Scaling und Root Planing) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe 24 Stunden nach der Therapie eine signifikant herabgesetzte Elastizität der Arteria brachialis aufwiesen. Zurückgeführt wurde dieser Elastizitätsverlust auf den Anstieg von CRP und IL6 im Verlauf der parodontalen Therapie. Sechzig und 180 Tage nach der Zahnbehandlung war die Gefäßelastizität in der Gruppe mit parodontaler Therapie allerdings signifikant höher als in der unbehandelten Kontrollgruppe. Dieser Anstieg der Elastizität wurde auf die vorteilhaften Effekte der parodontalen Behandlung zurückgeführt.

Die Hypothese der molekularen Kreuzreaktivität

Der Hypothese der molekularen Kreuzreaktivität zufolge ist die Entwicklung systemischer Erkrankungen die Folge einer durch bakterielle Hitzeschockproteine (Heat Shock Proteins, HSPs) induzierten Immunantwort. Alle Zellen (einschließlich endothelialer Zellen), die Stress unterschiedlicher Formen ausgesetzt werden, exprimieren HSP. Während einer Infektion stellen bakterielle HSPs nun eine zusätzliche antigene Belastung dar. Das Immunsystem des Wirts ist in diesen Fällen nicht immer in der Lage, zwischen bakteriellen und autologen HSPs zu differenzieren, so dass im Laufe einer parodontalen Infektion kreuzreaktive T-Lymphozyten aktiviert und Antikörper gebildet werden, die eine Autoimmunreaktion gegen Wirtsgewebe mit ähnlicher Antigenität hervorrufen können 23. Im Falle der Atherosklerose konnte gezeigt werden, dass Endothelzellen ein als hHSP60 bezeichnetes humanes HSP exprimieren. Herausgefunden wurde aber auch, dass verschiedene parodontopathische Bakterienspezies ihr eigenes HSP60 bilden, das dem autologen Stressprotein sehr ähnlich ist. Die bakteriellen HSPs induzieren schließlich die Synthese zielgerichteter Antikörper, die dann die Wirtszellen attackieren können. Verschiedene Studien zeigen, dass eine parodontale Infektion auf dem Wege molekularer Mimikry-Mechanismen zur Entstehung von Atherosklerose und kardiovaskulärer Erkrankungen beitragen kann 24 25.
 

Diagnose der parodontalen Erkrankung 

Im Allgemeinen beginnt eine parodontale Erkrankung mit nur wenigen oder gar keinen klinischen Symptomen. Der Hauptgrund, aus dem Besitzer beim Tierarzt eine Untersuchung der Maulhöhle ihres Tieres verlangen, ist Foetor ex ore. Eine genaue Diagnose kann sich in diesen Fällen aber nicht allein auf die Adspektion der Maulhöhle stützen. Ganz wesentlich ist eine sorgfältige parodontale Untersuchung einschließlich einer Untersuchung mit einer Parodontalsonde (Abbildung 2) und intraoraler Röntgenaufnahmen unter Allgemeinanästhesie. Erhältlich sind verschiedene Arten von Parodontalsonden, alle Sonden dienen letztlich jedoch der Messung der Tiefe der Parodontaltaschen und der Beurteilung von gingivaler Hyperplasie bzw. gingivaler Rezession. Mit der Parodontalsonde können zudem der Grad der Zahnlockerung und das Vorhandensein von Furkationsbefall in zwei- oder dreiwurzeligen Zähnen beurteilt werden (Abbildung 3). Für die Messung der Taschentiefe wird die Spitze der Sonde an mehreren Stellen vorsichtig in den Sulcus gingivalis eingeführt (Abbildung 4 und 5). Für eine vollständige Beurteilung wird der gesamte Umfang jedes einzelnen Zahnes an vier bis sechs Punkten sondiert, da zum Beispiel auf der bukkalen Seite offenbar gesunde Zähne palatinal oder lingual durchaus tiefe Taschen aufweisen können. Sämtliche Befunde werden sorgfältig auf einer Zahnbefundkarte dokumentiert, um schließlich den Zahnstatus des Patienten in seiner Gesamtheit beurteilen zu können.

 

Abbildung 2. Parodontalsonde mit Farbskalierung für die Messung der Tiefe von Parodontaltaschen. © Dr. De Simoi

Abbildung 3. Furkationsbefall: Die Sonde kann problemlos zwischen den Wurzeln des Zahnes durchgeschoben werden. © Dr. De Simoi

Abbildung 4. Die Parodontalsonde wird vorsichtig an vier bis sechs Stellen im gesamten Umfang eines jeden Zahns in den Sulcus gingivalis eingeführt. Zu beachten sind die unterschiedlichen Taschentiefen in verschiedenen Sulcusabschnitten dieses Zahns. © Dr. De Simoi

Abbildung 5. Die Parodontalsonde wird vorsichtig an vier bis sechs Stellen im gesamten Umfang eines jeden Zahns in den Sulcus gingivalis eingeführt. Zu beachten sind die unterschiedlichen Taschentiefen in verschiedenen Sulcusabschnitten dieses Zahns. © Dr. De Simoi

 

Prävention und Behandlung der parodontalen Erkrankung 

Die Entstehung einer parodontalen Erkrankung kann mit Hilfe einer sehr gründlichen Entfernung bakterieller Zahnbeläge (Plaque) durch regelmäßiges Zähneputzen und Zahn-/Maulhöhlenhygiene verhindert werden. Einige kommerzielle Futtermittelprodukte können die Reduzierung von Plaque im Bereich der Zahnkronen unterstützen, der entscheidende Faktor einer erfolgreichen Prophylaxe bzw. Behandlung ist allerdings die Entfernung der subgingivalen Plaque. Das Ziel ist dabei nicht die Keimfreiheit der Maulhöhle, sondern vielmehr das Verhindern einer Umwandlung des bakteriellen Biofilms von einer gemischten kommensalischen und von aeroben Bakterien dominierten Population zu einer überwiegend anaeroben Population. Die Behandlung der parodontalen Erkrankung sollte stets am anästhesierten Tier bei intubierter Luftröhre erfolgen. Sobald die Zahnbögen genau untersucht, die Befunde dokumentiert und intraorale Röntgenaufnahmen beurteilt sind (Abbildung 6 und 7), wird ein supra- und subgingivales Scaling durchgeführt, das je nach Indikation ergänzt wird um komplexere Maßnahmen wie die Extraktion von Zähnen oder parodontalchirurgische Eingriffe.

Abbildung 6. Intraorale Röntgenaufnahmen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Beurteilung von Hunden und Katzen mit Verdacht auf Parodontitis. Zu beachten ist der Verlust an Alveolarknochen um die betroffenen Zähne. © Dr. De Simoi

Abbildung 7. Intraorale Röntgenaufnahmen sind eine wesentliche Voraussetzung für die Beurteilung von Hunden und Katzen mit Verdacht auf Parodontitis. Zu beachten ist der Verlust an Alveolarknochen um die betroffenen Zähne. © Dr. De Simoi

 

Der Einsatz von Antibiotika 

Selbst eine hochgradige und ausgedehnte parodontale Erkrankung sollte bei einem ansonsten gesunden Tier nicht über einen längeren Zeitraum mit Antibiotika behandelt werden. Die richtige Behandlung ist vielmehr das Entfernen der Ursache (Plaque, Zahnstein, irreparabel geschädigte Zähne) durch Scaling und je nach Indikation durch Extraktion von Zähnen. Antibiotika sollten aus den beiden im Folgenden näher erläuterten Hauptgründen zum Einsatz kommen: Zur Behandlung lokaler Infektionen und zur Verhinderung einer Bakteriämie.

Behandlung lokaler Infektionen

Eine antibiotische Therapie ist ratsam, wenn die parodontale Erkrankung eine Osteomyelitis der Maxilla oder der Mandibula hervorgerufen hat. Die antibiotische Behandlung wird einige Tage vor dem geplanten chirurgischen Eingriff eingeleitet und danach über mehrere Wochen fortgesetzt. Ein frühzeitiger Einsatz von Antibiotika bereits einige Tage vor dem chirurgischen Eingriff ist auch dann angezeigt, wenn sich ulzeröse Zahnfleischläsionen entwickelt haben (auch wenn nur geringgradige Zahnbeläge vorhanden sind), sowie bei Hunden mit einer chronisch ulzerösen paradentalen Stomatitis (Abbildung 8a und b) und schließlich auch bei Katzen mit Stomatitis.
 

Abbildung 8a. Ulzeröse Zahnfleischläsionen bei einem Hund mit chronisch ulzeröser paradentaler Stomatitis. © Dr. De Simoi

Abbildung 8b. Ulzeröse Zahnfleischläsionen bei einem Hund mit chronisch ulzeröser paradentaler Stomatitis. © Dr. De Simoi

 

Prophylaxe der Bakteriämie

Eine Bakteriämie kommt bei Patienten mit aktiver Gingivitis und Parodontitis häufig vor und entsteht im Rahmen normaler täglicher Aktivitäten wie Zahnpflege oder dem Kauen von Futter. Bei gesunden Tieren wird dieser Bakteriämie durch das retikulohistiozytäre System sehr schnell entgegengewirkt. Bei Parodontitis-Patienten mit schwerwiegenden systemischen Erkrankungen wie Herzproblemen, bei Individuen mit Gelenk- oder Augenersatz, bei splenektomierten Individuen oder bei Patienten mit Hyperadrenocorticismus sowie bei Individuen mit einem durch eine systemische Erkrankung unterdrückten Zellstoffwechsel, rechtfertigt das Risiko einer Infektion von Geweben außerhalb der Maulhöhle den perioperativen Einsatz von Antibiotika. Das Mittel der Wahl in diesen Fällen ist ein bakterizides Breitspektrumantibiotikum, das bei der Einleitung der Anästhesie intravenös verabreicht werden kann und entsprechend wiederholt wird, wenn die Operationsdauer zwei Stunden übersteigt. Eine Alternative ist die Gabe einer einzelnen oralen Dosis am Morgen des chirurgischen Eingriffes.

Schlussfolgerung 

Ungeachtet der Tatsache, dass verschiedene Hypothesen existieren, die mögliche Zusammenhänge zwischen parodontaler Erkrankung und systemischen Auswirkungen erklären, gibt es bislang keine eindeutigen Evidenzen einer direkten Verbindung zwischen diesen beiden Krankheitskomplexen. Es gibt jedoch sehr viele Hinweise, die dafür sprechen, dass eine parodontale Erkrankung Entzündungen in entfernt von der Maulhöhle gelegenen Organen fördern und aufrechterhalten kann. Beobachtet wird zudem, dass der Körper selbst in den frühen Stadien einer Parodontitis mit der Synthese von Akutphasenproteinen reagieren kann. Auch dies kann als ein Hinweis auf die Induzierung einer systemischen Erkrankung durch eine Entzündung in der Maulhöhle gewertet werden.

Die Gesundheit des Parodonts ist nicht nur wichtig für den Erhalt der Zähne. Ein parodontale Erkrankung kann auch signifikante Auswirkungen auf die Gesundheit insgesamt haben und für Morbidität und Mortalität verantwortlich sein, insbesondere bei bestimmten besonders empfänglichen Hunderassen. Präventive Maßnahmen wie eine Zahn- und Maulhöhlenpflege, der Einsatz von Kauspielzeug und die Fütterung von Produkten, die speziell für die Reduzierung der Akkumulation von bakterieller Plaque und Zahnstein entwickelt wurden, sollten im Rahmen eines umfassenden Parodontitismanagements in Betracht gezogen werden. Futtermittelprodukte zur Förderung der Zahngesundheit bestehen in der Regel aus Trockenfutterkroketten einer speziellen Textur, die beim Kauen einen mechanischen Abriebeffekt an der Zahnoberfläche erzeugt. Einige dieser Produkte enthalten auch Natriumpolyphosphat, eine Substanz, die das im Speichel vorhandene Calcium in Chelatkomplexen bindet und damit die Mineralisierung von Plaque, also die Zahnsteinbildung, verlangsamt. Diese Futtermittel können deshalb als unterstützende Maßnahme im Rahmen eines umfassenden Plans zur Bekämpfung der parodontalen Erkrankung empfohlen werden.

 

Literatur

  1. Lund EM, Armstrong PJ, Kirk CA, et al. Health status and population characteristics of dogs and cats examined at private veterinary practices in the United States. J Am Vet Med Assoc 1999;214:1336-1341.
  2. Haffajee AD, Socransky SS. Introduction to microbial aspects of periodontal biofilm communities, development and treatment. Periodontol 2000,2006; 42:7-12.
  3. Vieira CL, Caramels B. The history of dentistry and medicine relationship: could the mouth finally return to the body? Oral Dis 2009;15(8):538-46.
  4. Pavlica Z, Petelin M, Juntes P, et al. Periodontal disease burden and pathological changes in organs of dogs. J Vet Dent 2008;25(2):97-105.
  5. Silver JG, Martin L, McBride BC. Recovery and clearance of oral micro-organism following experimental bacteremia in dogs. Arch Oral Biol 1975;20:675-9.
  6. Glickman LT, Glickman NW, Moore GE, et al. Evaluation of the risk of endocarditis and other cardiovascular events on the basis of the severity of periodontal disease in dogs. J Am Vet Med Assoc 2009;234:486-494.
  7. DeBowes LJ, Mosier D, Logan E, et al. Association of periodontal disease and histologic lesions in multiple organs from 45 dogs. J Vet Dent 1996;13:57-60.
  8. Paquette DW. The periodontal infection-systemic disease link: a review of the truth or myth. J Int Acad Periodontol 2002;4(3):101-9.
  9. Janket SJ, Baird A, Chuang S, et al. Meta-analysis of periodontal disease and risk of coronary heart disease and stroke. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 2003;95:559-596.
  10. Khader YS, Albashaireh ZSM, Alomari MA. Periodontal disease and the risk of coronary heart and cerebrovascular disease: a meta-analysis. J Periodontol 2004;75:1046-1153.
  11. Glickman LT, Glickman NW, Moore GE, et al. Association between chronic azotemic kidney disease and the severity of periodontal disease in dogs. Prev Vet Med. 2011 May 1;99(2-4):193-200. Epub 2011 Feb 23.
  12. Peddle GD, Drobatz KJ, Harvey CE, et al. Association of periodontal disease, oral procedures, and other clinical findings with bacterialendocarditis in dogs. J Am Vet Med Assoc. 2009 Jan 1;234(1):100-7.
  13. Yu G, Yu Y, Li YN, et al. Effect of periodontitis on susceptibility to atrial fibrillation in an animal model. J Electrocardiol. 2010 Jul-Aug;43(4):359-66. Epub 2009 Dec 29.
  14. O’Reilly PG, Claffey NM. A history of oral sepsis as a cause of disease. Periodontol 2000. 2000;23:13-18.
  15. Baskaradoss JK, Geevarghese A, Al Dosari AA. Causes of adverse pregnancy outcomes and the role of maternal periodontal status - a review of the literature. Open Dent J 2012;6:79-84. Epub 2012 May 9.
  16. van Nice E. Management of multiple dental infections in a dog with diabetes mellitus. J Vet Dent 2006;23(1):18-25.
  17. Yoneda M, Naka S, Nakano K, et al. Involvement of a periodontal pathogen, Porphyromonas gingivalis on the pathogenesis of non-alcoholic fatty liver disease. BMC Gastroenterol 2012;12:16.
  18. Ford PJ, GemmelE, Hamlet SM et al. Cross-reactivity of GroEL antibodies with human heat shock protein 60 and quantification of pathogens in arterosclerosis. Oral Microbiol Immunol 2005;20:296-302.
  19. Deshpande RG, KhanMB, Genco CA. Invasion of aortic and heart endothelial cells by Porphiromonas gingivalis. Infect Immun 1998;66:5337-5343.
  20. Franek E, Blach A, Witula A, et al. Association between chronic periodontal disease and left ventricular hypertrophy in kidney transplant recipients. Transplantation 2005;80:3-5.
  21. Amar S, Gokce N, Morgan S, et al. Periodontal disease is associated with brachial artery endothelial dysfunction and systemic inflammation. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2003;23:1245-1249.
  22. Tonetti MS, D’Aiuto F, Nibali L, et al. Treatment of periodontitis and endothelial function. N Engl J Med 2007;356:911-920.
  23. Polla BS. A role for heat shock proteins in inflammation? Immunol Today 1988;9:134-137.
  24. Wick G, Perschinka H, Xu Q. Autoimmunity and atherosclerosis. Am Heart J 1999;138:444-449.
  25. Ando T, Kato T, Ishihara K,et al. Heat shock proteins in the human periodontal disease process. Microbiol Immunol 1995;39:321-327.
Alessandro De Simoi

Alessandro De Simoi

Alessandro De Simoi, Clinica Veterinaria Feltrina, Feltre, Italien Mehr lesen

Andere Artikel in dieser Ausgabe

Ausgabe nummer 22.3 veröffentlicht 11/05/2021

Das VOHC Siegel: Welche Bedeutung hat es?

Entwickelt wurde eine unabhängige Methode für die objektive Beurteilung der Wirksamkeit von Produkten, die eine Plaque und Zahnstein reduzierende Wirkung bei Kleintieren für sich in Anspruch nehmen, wie uns Ana Nemec erläutert.

von Ana Nemec

Ausgabe nummer 22.3 veröffentlicht 13/04/2021

Zahnerkrankungen bei Hunden und Katzen

Die Diagnose von Zahnerkrankungen verlangt eine initiale Untersuchung der Maulhöhle, gefolgt von einer endgültigen Untersuchung der Maulhöhle unter Allgemeinanästhesie.

von Javier Collados

Ausgabe nummer 22.3 veröffentlicht 12/04/2021

Dentalradiologie in der Veterinärmedizin - Ein Überblick

Die Zahnpflege und die zahnärztliche Versorgung sind notwendige Maßnahmen zur Förderung einer optimalen Gesundheit und Lebensqualität.

von Michael Bailey

Ausgabe nummer 22.3 veröffentlicht 09/04/2021

Füllungen, Kronen und Implantate

Zahnschäden treten häufig auf, sie werden aber oft übersehen oder ihre Folgen werden ignoriert, im besten Falle unterschätzt.

von Nicolas Girard