Einleitung
Kalzium ist ein essenzielles zweiwertiges Kation, das an zahlreichen lebenswichtigen intrazellulären und extrazellulären Funktionen beteiligt ist, darunter die neuromuskuläre Übertragung, enzymatische Reaktionen, die Blutgerinnung und Hämostase, der vasomotorische Tonus, die Hormonsekretion und der Knochenmetabolismus. Im Körper kommt Kalzium in drei unterschiedlichen Formen vor, nämlich als ionisiertes Kalzium, als proteingebundenes Kalzium und komplexgebunden als Bicarbonat, Lactat, Citrat oder Phosphat. Ionisiertes Kalzium (iCa) macht etwa 50 % des gesamten Serumkalziums aus und ist als wichtigste biologisch aktive Form für die Steuerung zahlreicher physiologischer und zellulärer Funktionen verantwortlich. Aufgrund der vielfältigen biologischen Funktionen des ionisierten Kalziums wird die iCa-Konzentration durch die aufeinander abgestimmten Aktionen von Parathormon (PTH), 1,25-Dihydroxyvitamin D3 (Calcitriol) und Calcitonin sehr eng reguliert 1,2,3. Im Rahmen der Regulation der Kalziumkonzentration im Körper wirkt sich die iCa-Konzentration direkt auf die PTH-Sekretion und die aktive Vitamin-D-Reifung aus.
Kalzium liegt nicht nur in den besagten verschiedenen Formen vor, sondern ist auch unterschiedlich im Körper verteilt, entweder intrazellulär oder extrazellulär. Intrazelluläres Kalzium ist einer der Hauptregulatoren zellulärer Antworten auf viele Agonisten, die durch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren vermittelt werden. Es dient als sekundärer Messenger zur Übertragung von Signalen von der Zelloberfläche zum Zellkern und ist letztlich für Veränderungen der Gentranskription sowie des damit assoziierten zellulären Verhaltens und des zellulären Phänotyps verantwortlich 4. Die zytosolischen Kalziumkonzentrationen in den Zellen sind niedrig. In bestimmten Organellen, wie dem endoplasmatischen Retikulum und den Mitochondrien, ist intrazelluläres Kalzium aber angereichert und wird für den physiologischen Zellstoffwechsel benötigt. Ergänzend zu den wichtigen Funktionen des intrazellulären Kalziums reguliert die extrazelluläre Kalziumkonzentration zahlreiche Vorgänge in Geweben verschiedener Organe, einschließlich Nebenschilddrüse, Niere und Schilddrüse 2.
Kalziumhomöostase
Zur Aufrechterhaltung der Steady-State-Konzentration von ionisiertem Kalzium üben
die drei wichtigsten endokrinen Mediatoren (Parathormon, Calcitriol und Calcitonin) biologische Wirkungen auf drei Zielorgane aus, nämlich Nieren, Darm und Skelett 2,5. Parathormon reguliert die schnellen, minütlichen Schwankungen des Kalziumspiegels. Wenn die Kalziumkonzentration im Serum ansteigt, wird die PTH-Sekretion herunterreguliert, wodurch es zu einem Netto-Kalziumverlust über die distalen Tubuli der Niere, einer verringerten Kalziumabsorption im Darm und einem reduzierten osteoklastischen Knochenabbau kommt 2,6. Ein absinkender Kalziumspiegel stimuliert dagegen die Freisetzung von Parathormon, welches dann die Kalziumrückresorption und die Phosphorausscheidung in den distalen Nierentubuli fördert und die Kalzium- und Phosphorresorption im Darm steigert. Darüber hinaus wirkt Parathormon auf Skelettgewebe und stimuliert dort die Aktivität vorhandener Osteoblasten (frühe Wirkung) oder steigert die Anzahl der Osteoklasten und deren knochenresorbierende Aktivität (späte Wirkung) 5,7.
Calcitriol stimuliert die intestinale Kalziumabsorption, hemmt die Synthese von Parathormon durch Reduzierung der PTH-mRNA-Transkription, fördert die osteoklastische Knochenresorption und wirkt durch ein negatives Feedback auf seine eigene Synthese in Nierenepithelzellen 5. Die Ausschüttung von Calcitonin wird stimuliert durch hohe Kalziumkonzentrationen im Blut (Hyperkalzämie) oder durch Aufnahme kalziumreicher Mahlzeiten über die enterale Sekretion von Gastrin und Cholecystokinin. Calcitonin ist zwar kein entscheidender Faktor bei der schnellen, minütlichen Regulierung des Kalziumspiegels, es dient aber als Notfallhormon zur Senkung des Serumkalziumspiegels und spielt eine wichtige gegenregulatorische Rolle bei schnellen Anstiegen der Kalziumkonzentration. Die Hauptfunktion von Calcitonin besteht in der Hemmung der osteoklastischen Knochenresorption 8.
Beurteilung hyperkalzämischer Patienten
Die klinischen Symptome bei Katzen mit Hyperkalzämie können vage, intermittierend und unspezifisch sein und werden von Besitzern oder Besitzerinnen betroffener Tiere oft gar nicht bemerkt. Das insgesamt am häufigsten beobachtete klinische Symptom ist Anorexie, oft beschrieben werden aber auch Erbrechen, Lethargie, Schwäche, Obstipation, Polyurie/Polydipsie (PUPD) 9,10. Einige hyperkalzämische Katzen können klinische Symptome einer Erkrankung der ableitenden Harnwege zeigen, die auf eine erhöhte Kalziurese und die Entwicklung von Kalziumoxalaturolithen zurückzuführen sein können 11. Ein mögliches klinisches Bild bei Katzen mit Hyperkalzämie kann daher das einer Harnwegsobstruktion infolge einer Urolithiasis sein. PUPD wird bei Katzen weniger häufig beschrieben als bei Hunden mit Hyperkalzämie, möglicherweise weil Katzen ihren Harn höher konzentrieren können 3.
Der differenzialdiagnostische Ausschluss bekannter Ursachen einer Hyperkalzämie erfordert einen methodischen klinischen Ansatz (Abbildung 1), bestehend aus einer gründlichen klinischen Untersuchung, einem großen Blutbild, einem biochemischen Serumprofil, einer Harnanalyse, der Messung der iCa- und PTH-Konzentrationen sowie bildgebender Untersuchungen von Thorax und Abdomen mittels Röntgen und Ultraschall. Weiterführende diagnostische Tests zur Erstellung einer umfassenderen Datenbasis wären eine Quantifizierung der Konzentrationen von 25-Hydroxy-Vitamin D, 24,25(OH)2-Vitamin D, Calcitriol und Parathormon-related Protein (PTHrP) im Serum sowie fortschrittlichere bildgebende Verfahren wie die Sonographie des Halses zur Abklärung verdächtiger Nebenschilddrüsenknoten oder die Computertomographie (CT) zum Nachweis okkulter Neoplasien.