Rehabilitation und unterstützende Behandlung bei Kleintieren mit Tumorerkrankung
veröffentlicht 14/02/2025
Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English
Die meisten Hunde und Katzen mit Neoplasien profitieren in irgendeinem Stadium ihrer Erkrankung von Rehabilitation. Das frühzeitige Erkennen eines entsprechenden therapeutischen Bedarfes und die zeitnahe Einleitung einer unterstützenden Behandlung können sich positiv auf die Lebensqualität und das Überleben auswirken.

Kernaussagen
Das Voraussehen von Komplikationen und eine proaktive Schmerzbehandlung sind entscheidende Faktoren einer unterstützenden Tumorbehandlung.
Medizinische Behandlungen oder Änderungen der Lebensweise zu Rehabilitationszwecken müssen regelmäßig überwacht werden, um ihre Wirksamkeit und die Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Patienten zu beurteilen.
Eine gemeinsame Entscheidungsfindung und eine gute Kommunikation mit den Tierhalter*innen sind wesentliche Faktoren bei der Behandlung von Kleintieren mit Tumorerkrankungen.
Integrative Medizin und diätetische Modifikationen für Tumorpatienten werden immer beliebter.
Einleitung
Neoplasien sind eine wichtige Mortalitätsursache bei adulten Hunden. Tumorerkrankungen stehen für bis zu 27 % der Todesfälle bei Hunden, und ein ähnlicher Trend ist auch bei Katzen zu beobachten 1,2. Zweifellos hat sich die Tumordiagnose im Laufe der letzten Jahre durch neu entwickelte Techniken, die das Erkennen von Neoplasien erleichtern, erheblich verbessert. Und auch in der onkologischen Gesundheitsfürsorge konnten in jüngster Zeit zahlreiche Fortschritte erreicht werden, die dazu beitragen, das Leben eines Hundes oder einer Katze mit Tumorerkrankung zu verlängern. Das Management von Tumorerkrankungen bei Kleintieren ist sehr vielschichtig und erfordert die Erstellung individueller Behandlungspläne, die auf dem Vorbericht, der Prognose, den Präferenzen der Tierhalter*innen und persönlichen Erfahrungen basieren. Entsprechende Interventionen zielen in der Regel darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung auf dem Wege einer chirurgischen Tumorresektion und/oder durch Hemmung der Zellproliferation mittels Chemo-, Strahlen- oder Immuntherapie zu kontrollieren oder zu verzögern. Während bestimmte Tumorarten heilbar sein können, zielt die Behandlung fortgeschrittener oder aggressiver Neoplasien häufig auf eine Chronifizierung der Erkrankung bei gleichzeitigem Erhalt einer guten Lebensqualität ab.
Patienten, die sich einer Tumorbehandlung unterziehen, können durch die neoplastische Erkrankung selbst oder durch deren Behandlung mit negativen Auswirkungen konfrontiert werden. Wichtig ist in diesen Fällen eine rechtzeitige Intervention, um entsprechende Nebenwirkungen abzumildern und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern. Rehabilitation und unterstützende Behandlungen gelten daher als integrale Bestandteile der onkologischen Therapie und können grundsätzlich in jeder Phase einer Tumorerkrankung implementiert werden – von der Diagnose über die Behandlung bis hin zur End-of-Life-Phase.
Sowohl unterstützende als auch palliative Behandlungen können einander ergänzen oder sich in bestimmten Phasen der Erkrankung überschneiden, ihnen gemeinsam ist aber der patientenzentrierte Ansatz.
Alexandra Guillén
Die Rolle der Rehabilitation
Die Rehabilitation bei Kleintieren mit Tumorerkrankung vor, während und nach der eigentlichen Behandlung umfasst eine ganze Reihe von physikalischen und medizinischen Interventionen, die letztlich darauf abzielen, die Funktionalität zu verbessern, Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern (Abbildung 1). Erreicht werden diese Ziele in erster Linie durch unterstützende Maßnahmen, deren primäres Ziel es ist, sowohl tumorbedingte Symptome als auch behandlungsassoziierte Nebenwirkungen zu verhindern oder zu reduzieren. In frühen (und manchmal auch chronischen) Stadien einer Tumorerkrankung kann eine solche unterstützende Behandlung aus der Verabreichung von intravenöser Flüssigkeitstherapie, Blutprodukten, Analgetika bestehen sowie einer diätetischen Unterstützung und einer Physiotherapie.
Häufig werden während einer Chemotherapie Antiemetika eingesetzt, um Übelkeit und Erbrechen vorzubeugen, während Appetitstimulanzien oder Probiotika eine Linderung von Diarrhoe oder Veränderungen der Kotkonsistenz unterstützen können. Während Phasen einer Neutropenie können zudem auch Antibiotika eingesetzt werden, um das Risiko der Entstehung von Sekundärinfektionen zu reduzieren.
In späteren Phasen der Tumorbehandlung können sich Rezidive entwickeln oder Metastasen bilden. In diesen Fällen können palliative Behandlungsmaßnahen eingeleitet werden, um tumorassoziierte Komplikationen zu verringern und die Lebensqualität in fortgeschrittenen Stadien oder in der End-of-Life-Phase zu verbessern 3.
Unterstützende therapeutische Maßnahmen und palliative Behandlungen können einander ergänzen oder sich in bestimmten Phasen der Erkrankung überschneiden, ihnen gemeinsam ist aber der patientenzentrierte Ansatz. So wird sichergestellt, dass immer der Patient als Ganzes im Zentrum der Therapie steht, wobei zwei wesentliche Merkmale berücksichtigt werden müssen: eine multidisziplinäre Behandlung und eine gemeinsame Entscheidungsfindung mit den Tierhalter*innen.
- Die multidisziplinäre Behandlung umfasst eine Schmerztherapie, Prognosegespräche, eine diätetische Unterstützung, die Behandlung von Begleiterkrankungen und die Unterstützung in der End-of-Life Phase. So kann zum Beispiel Osteoarthritis – eine häufige Komorbidität bei älteren tumorkranken Hunden und Katzen – eine Änderung der analgetischen Therapieprotokolle erforderlich machen oder Anlass für das In-Betracht-Ziehen einer Physiotherapie zur Verbesserung der allgemeinen Mobilität geben. Zudem können bestimmte Komorbiditäten wie Leber- oder Nierenerkrankungen einen Einfluss auf die Metabolisierung von Chemotherapeutika haben und sollten daher bei der Erstellung patientenspezifischer Behandlungspläne berücksichtigt werden.
- Eine gemeinsame Entscheidungsfindung ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, Tierhalter*innen über die Erwartungen an die Therapie, die Behandlungskosten und das erforderliche Maß an Engagement und Compliance aufzuklären. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die Therapie nicht nur auf den Patienten ausgerichtet ist, sondern auch die Bedürfnisse und Präferenzen der Tierhalter*innen berücksichtigt. Eine offene, mitfühlende Kommunikation fördert einen kooperativen Therapieansatz, der letztlich das Outcome für den Patienten und die Zufriedenheit der Kund*innen optimiert.

Abbildung 1. Diagramm mit den verschiedenen Phasen der Tumorbehandlung. Adaptiert aus: Comprehensive Cancer Care Quelle: National Cancer Institute. EPEC™-O | Education in palliative and end-of-life care for oncology.
Schmerzbehandlung
Tumorassoziierte Schmerzen können durch den Tumor selbst (Abbildung 2) oder als Nebenwirkung der Behandlung entstehen (Tabelle 1) und zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Mobilität führen, aber auch Auswirkungen auf die Mortalität haben. Aus diesen Gründen sind eine genaue Schmerzdiagnose und eine präzise Lokalisierung von Schmerzen bei Tumorpatienten von entscheidender Bedeutung. Ein häufiges Problem bei Hunden und Katzen mit fortgeschrittenen oder inoperablen Tumoren sind chronische, unterbehandelte Schmerzen, die zu einer Sensibilisierung des zentralen Nervensystems führen können. In diesen Fällen gehen die Schmerzen dann nicht auf eine Gewebeschädigung zurück, sondern auf eine veränderte Schmerzmodulation, die noziplastische Schmerzen generiert, also Schmerzen, die durch veränderte Nozizeption entstehen 4. Die Aufklärung von Tierhalter*innen über dieses Risiko ist die Voraussetzung für eine sinnvolle Überwachung des Patienten auf entsprechende Verhaltensänderungen zu Hause. Diese Zusammenarbeit zwischen Tierhalter*innen und Tierärzt*innen unterstützt eine proaktive Herangehensweise, die ein zeitnahes therapeutisches Eingreifen zu einem früheren Zeitpunkt im Krankheitsprozess ermöglicht und damit eine Reduzierung fortgesetzter noxischer Inputs gewährleisten kann.
Tabelle 1. Hauptursachen von Schmerzen bei Tumorpatienten.
Ursache | Beispiele |
---|---|
Primärtumor oder seine Metastasen | |
Direkte Kompression von Strukturen: z. B. Weichteilgewebe, Nerven, Blutgefäße | |
Knocheninvasion | |
Viszerale Infiltration | |
Tumorbehandlung | |
Chirurgie | Gliedmaßenamputation, Mandibulektomie, Mastektomie usw. |
Chemotherapie | Gastrointestinale Schmerzen: Enteritis, Ileus |
Strahlentherapie | Feuchte Dermatitis, Hautulzera, Mukositis |

Abbildung 2. Präoperatives Bild eines Hundes mit einem großen, vaskulären Weichteilgewebesarkom der Abdominalwand, das möglicherweise signifikante Schmerzen hervorruft.
© Alexandra Guillén
Chronische Schmerzen werden aufgrund der damit einhergehenden komplexen Veränderungen im sensorischen System häufig mit Hilfe einer multimodalen Therapie behandelt. In der Regel wird ein mehrstufiger therapeutischer Ansatz empfohlen, bei dem an erster Stelle die am stärksten evidenzbasierten Optionen eingesetzt werden, nämlich COX-hemmende Arzneimittel und nicht-COX-hemmende Arzneimittel (z. B. der EP4-Rezeptor-Antagonist Grapiprant). Sind diese First-Line-Optionen kontraindiziert oder persistieren die Schmerzen trotz entsprechender Behandlung, können Arzneimittel der zweiten Stufe eingesetzt werden, wie zum Beispiel Gabapentin, Paracetamol und Amantadin4. Prednisolon ist eine Option (nach einer Auswaschphase, wenn NSAIDs eingesetzt wurden) bei Patienten mit steroidresponsiven Tumoren wie Lymphomen, Leukämie und Mastzelltumoren oder bei Patienten mit Hirn- und Wirbelsäulentumoren, um peritumorale Ödeme und Entzündungen zu reduzieren. Arzneimittel der dritten Stufe wie die Opioide Tramadol und orales Buprenorphin bleiben im Allgemeinen refraktären, therapieresistenten oder hochgradigen Schmerzen vorbehalten.
Für die kurzfristige Schmerzbekämpfung kann auch eine Ergänzung des analgetischen Therapieplans mit lokalen Nervenblockaden in Betracht gezogen werden. Allerdings sind hierfür gute Kenntnisse der Anatomie und der (gelegentlich sonographisch unterstützen) Injektionstechniken erforderlich (Abbildung 3).

Abbildung 3. 19 Jahre alte, kastrierte männliche Kurzhaarhauskatze mit fortgeschrittenem maxillarem Plattenepithelkarzinom. Der Patient wurde mit Hyporexie und oralen Schmerzen vorgestellt. Nach einer Blockade des N. infraorbitalis und einer Behandlung mit Zoledronsäure gewann die Katze ihren Appetit zurück.
© Alexandra Guillén
Zu den weiteren nicht-pharmakologischen Strategien gehören die palliative Chirurgie bei großen, ulzerierten oder hämorrhagischen Tumoren (Abbildung 4), die palliative Strahlentherapie (z. B. bei primären Knochentumoren oder Knochenmetastasen), Umweltmodifikationen, die Akupunktur und die diätetische Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren aufgrund ihrer entzündungshemmenden Eigenschaften.
Zu den besonders schmerzhaften Neoplasien gehören primäre oder metastasierende Knochentumoren. Die Pathophysiologie der tumorinduzierten Osteolyse ist komplex, allgemein akzeptiert ist jedoch, dass die Resorption von Knochengewebe durch Osteoklasten vermittelt wird, die entweder durch Tumorzytokine oder indirekt durch Osteoblasten aktiviert werden. Intravenöse Bisphosphonate gelten als wirksame Inhibitoren der Knochenresorption und werden bei Hunden und Katzen erfolgreich eingesetzt in der Behandlung von Osteosarkomen und Tumoren, die in den Knochen eindringen oder metastasieren. Die empfohlene Dosierung (beide Spezies) für Pamidronat beträgt 1-2 mg/kg über eine zweistündige Infusion alle 3-4 Wochen, und für Zoledronat 0,1-0,25 mg/kg bis zu maximal 4 mg alle 3-4 Wochen über eine 15-minütige Infusion 5,6.
Die Entwicklung neuartiger Analgetika und nicht-pharmakologischer Behandlungen eröffnet vielversprechende Perspektiven. Ein Beispiel hierfür ist Bedinvetmab, ein monoklonaler Antikörper (mAk) gegen den Nervenwachstumsfaktor (NGF). Bekannt ist, dass Menschen mit Tumorerkrankungen erhöhte endogene NGF-Spiegel aufweisen, und in experimentellen Modellen zeigen mAks in diesem Zusammenhang ein erhebliches therapeutisches Potenzial 7. Darüber hinaus können Anti-NGF-mAks bei Knochentumoren eine signifikante Schmerzlinderung bewirken und die Progressionsrate des Tumorwachstums verlangsamen. Auch wenn diesbezüglich weitere Evidenzen bei Hunden und Katzen mit Tumorerkrankungen erforderlich sind, zieht die Autorin den Einsatz von mAKs bei Hunden mit Osteosarkomen und bei Katzen mit osteoinvasiven oralen Plattenepithelkarzinomen in Betracht 7.
Eine häufige Kontrolle und Neubeurteilung des analgetischen Bedarfs eines Tumorpatienten kann durch die Beobachtung seines Verhaltens während der Praxisbesuche, mittels Überwachung physiologischer Parameter (Herzfrequenz, Blutdruck), durch Tumorpalpation, mit Hilfe von Videoaufnahmen des Patienten in der häuslichen Umgebung und mittels Überwachung der Aktivität erfolgen. Für die Beurteilung der Wirksamkeit verabreichter Arzneimittel werden zunehmend sogenannte Clinical Metrology Instruments (CMIs) eingesetzt, also Fragenbogen-basierte Messverfahren zur Quantifizierung chronischer Schmerzen. Eine Einschränkung der gegenwärtig verfügbaren CMIs liegt jedoch darin, dass diese Skalen lediglich für muskuloskelettale Schmerzen (Osteoarthritis) validiert sind und nicht spezifisch für Hunde und Katzen mit Tumorerkrankungen. Beispiele für solche Skalen sind die Canine Brief Pain Inventory-Skala zur Beurteilung chronischer Schmerzen bei Hunden (https://www.vet.upenn.edu/docs/default-source/VCIC/canine-bpi.pdf?sfvrsn=6fd20eba_0) und die Feline Grimace Scale bei Katzen (https://www.felinegrimacescale.com/).

Abbildung 4. 9 Jahre alter kastrierter Rüde mit einem großen amelanotischen Melanom, das intermittierende Blutungen verursacht.
© Alexandra Guillén
Diätetische Überlegungen
Häufig werden Tierärzt*innen nach einer Tumordiagnose gefragt, ob die Ernährung des betroffenen Patienten angepasst werden sollte. Eine jüngste Umfrage-basierte Studie bestätigt, dass dies ein wichtiges Anliegen für Tierhalter*innen ist, denn festgestellt wurde, dass 25 % der Tierhalter*innen die Hauptnahrung ihres Hundes innerhalb von sechs Monaten nach der Tumordiagnose ändern 8. Die Nahrungsaufnahme tumorkranker Hunde und Katzen ist häufig aus verschiedenen Gründen beeinträchtigt, unter anderem wegen veränderter Nahrungspräferenzen und behandlungsbedingter Nebenwirkungen. Veränderungen des Appetits sind ein häufiges Problem bei Tumorpatienten, wobei entsprechende Studien bei Hunden eine große Bandbreite (17-76 %) beschreiben, je nach eingesetztem Chemotherapeutikum. Gut bekannt ist darüber hinaus, dass eine Chemotherapie zu Veränderungen des Geschmacks- und Geruchssinns führen kann 9. Von entscheidender Bedeutung ist in solchen Fällen ein frühzeitiges pharmakologisches Eingreifen bereits ab dem Auftreten erster klinischer Symptome, einschließlich des Einsatzes von appetitstimulierenden Arzneimittels wie Maropitant, Mirtazapin, Metoclopramid, Glukokortikoiden und Cyproheptadin 10. Die Entwicklung neuartiger Arzneimittel und Applikationswege, wie z. B. Mirtazapin in Form einer transdermalen Salbe, zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung von Anorexie und Gewichtsverlust bei Katzen.
Capromorelin, ein neuer Ghrelin-Rezeptor-Agonist, hat in den USA die FDA-Zulassung für die Anwendung bei Hunden und Katzen erhalten. In einer Dosierung von 3 mg/kg oral alle 24 Std. führt die Lösung nachweislich zu einer erhöhten Nahrungsaufnahme und Gewichtszunahme, sowohl bei gesunden Laborhunden als auch bei inappetenten Hunden privater Halter*innen 11. Auch bei Katzen führt Capromorelin in einer Dosierung von 1-3 mg/kg alle 24 Std zu einer anhaltenden Zunahme des Körpergewichts und zu einem Anstieg des IGF-1 12.
Tumorerkrankungen können darüber hinaus zu Störungen im Bereich verschiedener Mediatoren wie proinflammatorischer Zytokine, Cortisol, Katecholamin, Insulin und Glukagon führen, und dadurch eine Dysregulation des Stoffwechsels hervorrufen. Eine mögliche Folge ist, dass anstelle von Fett überwiegend Aminosäuren aus der Muskulatur als primäre Energiequelle genutzt werden, und dies kann zur Entwicklung eines tumorbedingten Kachexie-Anorexie-Syndroms beitragen 13,14. Kachexie wird definiert als ein Verlust an fettfreier Körpermasse und korreliert in der Humanmedizin bei verschiedenen Krebsarten nachweislich mit der Prognose. Ähnliche Zusammenhänge werden auch bei Kleintieren mit Tumorerkrankungen beobachtet. So wurde in einer Studie zwar eine geringe Prävalenz von Kachexie bei tumorkranken Hunden (4 %) festgestellt, 69 % der Hunde wiesen aber einen gewissen Gewichtsverlust auf und 35 % zeigten einen gering- bis hochgradigen Muskelschwund 15. Eine Studie mit Katzen mit Tumorerkrankungen beschreibt eine Kachexie in 6 % der Fälle, während Muskelverlust bei 91 % der betroffenen Katzen beobachtet wurde 16. Bei Katzen mit großzelligem Lymphom, die nach einmonatiger Chemotherapie ≥ 5 % ihres Körpergewichts verloren hatten, beobachtete man zudem eine signifikant kürzere Überlebenszeit als bei Katzen, die an Körpergewicht zulegt oder ihr Gewicht stabil gehalten hatten 17. In einer weiteren Studie wurden die Auswirkungen von Adipositas auf die Überlebenszeit von Hunden mit Lymphomen oder Osteosarkomen untersucht. Während bei Hunden mit Osteosarkomen kein Zusammenhang zwischen Body Condition Score und der Überlebenszeit festgestellt wurde, wiesen Hunde mit Lymphomen bei Untergewicht eine signifikant kürzere Überlebenszeit auf als Hunde, die ihr Körpergewicht halten oder steigern konnten 18.
Die klinischen Auswirkungen des tumorbedingten Anorexie-Kachexie-Syndroms haben auch in der Tiermedizin das Interesse an der Entwicklung neuer Diätnahrungen und Arzneimittel zur Steigerung der Energieaufnahme, zur Erhöhung der Nährstoffabsorption und zur gezielten Beeinflussung von metabolischer Pathways geweckt, mit dem Ziel, die katabolen Effekte umzukehren, die Muskelmasse zu erhöhen und die Proteinsynthese zu steigern 14. Das frühzeitige Erkennen des Anorexie-Kachexie-Syndroms bei einem individuellen Patienten kann sich als Herausforderung erweisen, eine frühzeitig implementierte, individualisierte diätetische Intervention kann aber dazu beitragen, das Fortschreiten von Anorexie und Kachexie zu verlangsamen und somit eine höhere Lebensqualität erhalten. Aus diesem Grund sollte bei jedem Praxisbesuch eine sehr sorgfältige diätetische Anamnese erhoben werden, wobei auch die Gabe von Ergänzungsfuttermitteln (Supplementen) sowie der Body Condition Score und der Muscle Condition Score berücksichtigt werden. Auf der Grundlage der individuellen klinischen Situation sollte dann von tierärztlicher Seite sichergestellt werden, dass der Patient eine bedarfsgerechte, vollwertige und ausgewogene Ernährung erhält.
Bei Patienten unter Chemotherapie müssen unter Umständen zusätzliche diätetische Überlegungen angestellt werden, um die gastrointestinale Gesundheit zu fördern und mögliche Arzneimittelnebenwirkungen zu minimieren (Abbildung 5). In vielen Fällen umfasst dies Änderungen von Art und Menge der diätetischen Fasern und die Sicherstellung einer hohen Verdaulichkeit der angebotenen Nahrung. Eine Supplementierung der Nahrung mit Fischöl kann aufgrund des hohen Gehaltes an Omega-3-Fettsäuren die Produktion proinflammatorischer Zytokine reduzieren, die Kachexie lindern und die Nahrungsaufnahme verbessern 19.
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Abbildung 5. 9 Jahre alte kastrierte Hündin mit Hämangiosarkom der Milz, die zehn Tage nach erfolgter Splenektomie ihre erste Doxorubicin-Behandlung erhält.
© Alexandra Guillén
Während für die unterstützende Ernährung bei stationären Patienten im klinischen Setting häufig nasogastrale Sonden bevorzugt werden, eignen sich Ösophagussonden oder Gastrostomiesonden für enterale Nahrungszufuhr zu Hause unter der Regie der Halter*innen, auch über längere Zeiträume. Eine weitere Option sind zu Hause selbst zubereitete, nutritiv ausgewogene Nahrungen, individuell zusammengestellt von einem tierärztlichen Ernährungsexperten oder einer tierärztlichen Ernährungsexpertin, diese sollten jedoch besser für die späteren Stadien der Erkrankung reserviert werden.
Tabelle 2 fasst einige Möglichkeiten zur Förderung der Nahrungsaufnahme bei Tieren mit Tumorerkrankung zusammen.
Tabelle 2. Diätetische Überlegungen bei tumorkranken Tieren mit verändertem Appetit oder Kachexie (nach 13).
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Integrative Medizin
Bei Tierhalter*innen wird integrative Medizin mit Anwendung von Akupunktur, Cannabisprodukten, Massagen, Kräutern, Pilzen und Ergänzungsfuttermitteln immer beliebter. Tierärzt*innen, die zu diesen integrativmedizinischen Therapieansätzen befragt werden, sehen sich jedoch mit der Herausforderung konfrontiert, dass Informationen über die Sicherheit und Wirksamkeit dieser Methoden nach wie vor nur in begrenztem Maße verfügbar sind. Einige Anmerkungen zur integrativen Medizin sind an dieser Stelle aber dennoch angebracht.
Eine dieser alternativen Therapien basiert auf der Anwendung von Yunnan Baiyao, eines traditionellen chinesischen Arzneimittels, das die Funktion der Thrombozyten verbessert, dem aber auch antiinflammatorische und antitumoröse Eigenschaften zugeschrieben werden. Die genaue Rezeptur dieser Kräutermischung ist ein Geschäftsgeheimnis, aufgrund der zunehmenden Anforderungen an die Qualitätssicherung und im Rahmen der Entwicklung der Good Manufacturing Practice werden auf dem Etikett der entsprechenden Produkte nun aber die wichtigsten Bestandteile aufgeführt. Eingesetzt wird Yunnan Baiyao zur adjuvanten Behandlung von Tumoren mit Blutungsneigung, zum Beispiel bei viszeralen Hämangiosarkome und nasalen Tumoren 20.
In der Klinik der Autorin werden zur Schmerzbehandlung routinemäßig Akupunktur und Cannabidiol-Öl (CBD-Öl) als Teil eines multimodalen Therapiesatzes bei Tumorerkrankungen in Betracht gezogen. Bei der Akupunktur werden Nadeln in spezifische Punkte der Haut gestochen (Abbildung 6). Ihre Wirkung wird teilweise durch eine Kaskade von Endorphinen, Monoaminen und antiinflammatorischen Zytokinen vermittelt. Bei Tieren wird die Akupunktur hauptsächlich zur Schmerzbehandlung eingesetzt, auch wenn es in der Veterinärmedizin hierfür bislang nur begrenzte Evidenzen gibt. Einige Studien aus der Humanmedizin deuten darauf hin, dass Akupunktur auch bei der Behandlung von Chemotherapie-induzierten gastrointestinalen Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen von Nutzen sein kann, und möglicherweise auch eine Antitumor-Immunität fördert 21,22.
Zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt auch CBD-Öl aufgrund seiner Wirkungen auf die Cannabinoid-Rezeptoren des Typs 1 und 2, denen neben einer möglichen Appetitstimulation unter anderem auch antiinflammatorische, analgetische, antioxidative, antiemetische und immunmodulatorische Wirkungen zugeschrieben werden. Untersucht hat man darüber hinaus potenzielle antineoplastische Eigenschaften von CBD-Öl allein oder in Kombination mit Chemotherapeutika, und dabei vielversprechende Ergebnisse gefunden 23. So zeigt eine kürzlich durchgeführte Studie, dass CBD in vitro Autophagie und Apoptose induziert bei Osteosarkom-, Mammakarzinom- und B-Zell-Lymphom-Zelllinien von Hunden, ein vielversprechendes Ergebnis, dass unter anderen auch die Notwendigkeit nachfolgender klinischer Studien unterstreicht 24. Das Haupthindernis für einen klinischen Einsatz von CBD ist nach wie vor der herrschende Mangel an pharmakokinetischen Daten bei diesen Hunden und Katzen und die bislang nicht beantwortete Frage, ob Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, einschließlich Chemotherapeutika, auftreten könnten 23,24.

Abbildung 6. 17 Jahre alter, kastrierter Ragdoll-Kater, der im Rahmen einer multimodalen Behandlung aufgrund eines fortgeschrittenen nasalen Karzinoms akupunktiert wird (rote Nadeln).
Zukünftige Herausforderungen
In der Tiermedizin gibt es einen zunehmenden Bedarf an evidenzbasierter Medizin zur Beurteilung der Wirksamkeit unterstützender und palliativer Behandlungen. Voraussetzung hierfür sind aber geeignete Studiendesigns, die Definition klarer und spezifischer Endpunkte und die Verwendung quantifizierbarer Messungen von Behandlungsergebnissen. Immer wichtiger wird darüber hinaus die Entwicklung maßgeschneiderte Skalen zur Überwachung der Lebensqualität und chronischer Schmerzen bei tumorkranken Haustieren.
Schlussfolgerung
Bei Kleintierpatienten mit Tumorerkrankungen sollten Rehabilitationsmaßnahmen von der Diagnose bis zum Lebensende in den Therapieplan integriert werden. Eine frühzeitige rehabilitative Intervention kann die Lebensqualität verbessern und die kurzfristige Mortalität verringern. Ein erhöhtes Bewusstsein für die Bedürfnisse dieser Patienten kann Tierärzt*innen dabei unterstützen, tumor- und behandlungsassoziierte Komplikationen zu antizipieren.
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Alexandra Guillén
Dr. Guillén schloss ihr Tiermedizinstudium an der Autonomen Universität Barcelona (Spanien) ab und absolvierte dort 2014 ein rotierendes Internship im Bereich Kleintiermedizin Mehr lesen