Das „Gehirn der zwei Geschwindigkeiten“
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass unser Gehirn mit zwei verschiedenen Systemen und mit zwei Geschwindigkeiten arbeitet: „System 1“, ist schnell, instinktiv und emotional, während „System 2“ langsam, reflektierend und logisch arbeitet. In 95 % der Zeit werden wir standardmäßig von System 1 geleitet, das es dem Gehirn ermöglicht, Energie zu sparen, indem es komplexe Aufgaben durch Shortcuts und Automatismen vereinfacht. Wenn aber die intuitiven Mechanismen von „System 1“ nicht ausreichen, um komplexere Probleme zu lösen, müssen wir zu einem analytischen Denken mit „System 2“ übergehen. Dies geschieht jedoch nicht automatisch, und aufgrund von menschlichen Faktoren wie Stress, Müdigkeit oder Dehydrierung kann unser Gehirn im „Routinemodus“ verharren. Obwohl wir also in einem sehr komplexen Beruf arbeiten, der eine hohe Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert, führen wir viele Aufgaben automatisch aus: eine Spritze vorbereiten, einen Infusionsschlauch legen, eine Bestellung ausführen, eine klinische Untersuchung durchführen, eine Katze kastrieren usw. Mit zunehmender Erfahrung werden diese sich häufig wiederholenden Handlungen und Gesten allmählich integraler Teil unseres „Systems 1“. In Beispiel 2 handelt der Empfänger der Botschaft in diesem System, also gewissermaßen im „Autopilot“-Modus. Nachdem der Mitarbeiter drei Anästhetika nach demselben Protokoll vorbereitet hat, bereitet er automatisch auch das vierte Anästhetikum nach diesem gewohnten Schema vor. Auch wenn der Absender der Botschaft die richtigen Anweisungen gegeben hat, besteht die Möglichkeit, dass der Empfänger durch selektives Hören gar nicht wahrnimmt, dass anstelle von Propofol in diesem Fall Alfaxalon angegeben wurde, obwohl die beiden Wörter nicht einmal ähnlich klingen.
Neben dem Abgleich, der es dem Absender ermöglicht, ein mangelndes Verständnis auf Seiten des Empfängers zu erkennen, besteht die Herausforderung bei wichtigen Informationen oder bei einer Änderung einer Routine insbesondere darin, den Empfänger dazu zu bringen, vom schnellen und intuitiven System 1, auf das langsamere und reflektierendere System 2 umzuschalten. Hierbei ist es wichtig, die Änderung ausdrücklich anzukündigen, oft noch bevor man die konkreten neuen Anweisungen gibt. Erreicht werden kann dies durch die konkrete Nennung des Ansprechpartners bei seinem Namen, durch die Verwendung eines Schlagworts wie „Achtung“ und durch die explizite Formulierung dessen, was man dieses Mal nicht tun wird. In Beispiel 2 könnten Sie beispielsweise statt „1,8 ml Alfaxalon“ sagen: „Achtung Frau Schmitt, diesmal verwenden wir nicht Propofol, sondern Alfaxalon“.
Seien Sie präzise in Ihrer Botschaft
Es ist durchaus normal, unterschiedliche Wege der Kommunikation und des Handelns zu verfolgen, denn das macht letztlich auch die spezifische Unternehmenskultur aus. Wenn aber implizite Regeln nicht von allen Mitarbeitern geteilt werden, kann dies eine Quelle von Fehlern sein (Beispiel 3).
Um jegliches Risiko zu vermeiden, muss eine Zahl immer zusammen mit ihrer Einheit angegeben werden. Wenn der Absender die Einheit nicht selbst nennt oder wenn diesbezüglich Zweifel bestehen, zögern Sie nicht, eine entsprechende Spezifikation zu erfragen.
Darüber hinaus gibt es in der Sprache zahlreiche Kuriositäten, unsachgemäße Verwendungen und banale, oberflächliche Ausdrücke, die letztlich zu Kommunikationsfehlern führen können. Zum Beispiel: „Ich würde gerne ein Glas trinken“ (Ersetzung des eigentlichen Ausdrucks durch einen anderen, der in naher sachlicher Beziehung zum ersten steht, bekannt als Metonymie) oder „er ist ein bisschen ein Einstein“ (Ersetzung der Bezeichnung einer Person oder Sache durch einen Eigennamen oder Markenmanen eines ihrer typischen Vertreter, bekannt als Antonomasie). Auch Ihr Praxisteam wird solche Formulierungen wahrscheinlich täglich einsetzen, ohne sich dessen tatsächlich bewusst zu sein. Einige Beispiele: „Bereiten Sie die TPLO für mich vor“, „Hat die FUS-Katze schon gefressen?“, „Geben Sie dem Hund seine Kortikos“, „Wir werden die Katze jetzt schlafen legen“ oder die Verwendung eines bestimmten Handelsnamens für ein Arzneimittel auf einer Rechnung, obwohl die Praxis bereits seit zwei Jahren eine generische Version verwendet. Die Bezeichnung eines Patienten nach seiner Spezies, Rasse und/oder Farbe, Erkrankung oder sogar nach der durchgeführten oder geplanten Operation, die Bezeichnung eines Arzneimittels mit seinem ursprünglichen Namen, einer Abkürzung seines Wirkstoffs oder sogar eines anderen Produkts mit demselben Wirkstoff – all dies sind Angleichungen, die in tierärztlichen Praxen regelmäßig verwendet und die mitunter schwerwiegende Folgen haben können (Beispiel 4).
Auch die Verwendung einiger unpräziser Verben mit mehreren Bedeutungen, wie zum Beispiel geben, tun, machen oder setzen, kann zu Fehlern führen (Beispiel 5). Es ist daher wichtig, das von uns verwendete Arzneimittel, die von uns gewünschte Maßnahme und den zu behandelnden Patienten genau zu beschreiben, um eine Fehlinterpretation durch den Empfänger der Botschaft auszuschließen.
Identifizieren Sie den Empfänger Ihrer Botschaft
Schließlich ist es wichtig, nicht nur mit Worten und Zahlen präzise zu sein, sondern auch die der Person genau zu definieren, an die Sie Ihre Botschaft senden (Beispiel 6).
In vielen tierärztlichen Praxen und Kliniken sind solche Situationen an der Tagesordnung. Bestenfalls können sie unangenehm sein, manchmal auch aber schwerwiegende Folgen haben: ein resezierter Tumor, der fälschlicherweise entsorgt wird, weil niemand die Verantwortung für die Einsendung an das Labor übernimmt, obwohl die Tierärztin darum gebeten hatte; die stationäre Katze mit einer Hyperthermie, die unentdeckt blieb, weil zwei Kollegen denken, der jeweils andere kümmere sich um den Patienten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Und wenn der Empfänger nicht eindeutig identifiziert wird, kann es auf der anderen Seite auch passieren, dass Aufgaben – von Bestellungen bis hin zu administrativen Maßnahmen – doppelt ausgeführt werden. Vermeiden können wir solche Situationen, indem wir die Person, an die eine Botschaft gerichtet ist, eindeutig nennen und uns von dieser Person bestätigen lassen, dass sie sich um die gewünschte Aufgabe kümmern wird. Das schriftliche Fixieren bestimmter Dinge (z. B. in speziellen Formularen zu Behandlungs- und Pflegeprotokollen) erweist sich oft als hilfreich, um sicherzustellen, dass eine Aufgabe auch tatsächlich von der richtigen Person ausgeführt wird.
Die Autorin dieses Artikels erklärt, dass sie keinen Interessenkonflikt mit dem betreffenden Thema hat.
Schlussfolgerung
Schlechte Kommunikation innerhalb des Praxisteams ist eine Quelle zahlreicher Fehler, die sich letztlich nachteilig auf unsere Patienten auswirken. Wählen Sie einen konkreten Angriffspunkt (z. B. Patienten mit Namen ansprechen oder das Verb „tun“ nicht mehr verwenden) und versuchen Sie, sich daran zu halten. Wenn möglich, arbeiten Sie zu zweit oder idealerweise mit dem gesamten Team und korrigieren Sie sich gegenseitig. Der beste Weg, einen Fehler zu erkennen und zu korrigieren, besteht darin, Ihre Botschaft abzugleichen und die Kommunikationsschleife erst zu schließen, wenn Sie sicher sind, dass der Empfänger Ihre Botschaft richtig verstanden hat. Das Vermeiden unklarer Andeutungen, das deutliche Kennzeichnen ungewöhnlicher Aufträge oder solcher, die eine besondere Aufmerksamkeit erfordern, das Verwenden präziser Verben, das Versehen einer Zahl mit ihrer Einheit und das Nennen Ihres Gesprächspartners bei seinem Namen – all dies trägt zu einer sicheren Kommunikation bei.
Weiterführende Literatur
- Cros J. Mieux communiquer entre soignants. Un enjeu majeur de sécurité : Guide de phraséologie médicale (1re édition). Arnette Edition 2018
- Kahneman D. Système 1/Système 2 : Les deux vitesses de la pensée. Flammarion 2012