Tägliche Herausforderungen
Dieses Kapitel befasst sich mit einigen schwierigen Situationen, denen sich praktische Tierärzte tagtäglich stellen müssen...
Ausgabe nummer 1 Kommunikation
veröffentlicht 23/01/2020
Auch verfügbar auf Français , Italiano , Português , Română , Español und English
In den USA begehen Angehörige des veterinärmedizinischen Berufsstandes drei Mal mehr Suizide als die durchschnittliche Bevölkerung, und bei Frauen ist diese Rate sogar noch höher. Dies ist ein guter Grund, zu untersuchen, wie Kommunikationstechniken dieses Phänomen verhindern können. Beginnen wir dieses Kapitel mit einem „klinischen Fall“: dem von Maria.
Führungspersönlichkeiten, die mit ihren Mitarbeitern effektiv kommunizieren, schaffen ein positives Arbeitsklima und generieren bessere ökonomische Ergebnisse für das Unternehmen. Sie entwickeln „positives psychologisches Kapital“.
Maria hat gerade zusammen mit einigen Kollegen aus anderen Praxen eine Fortbildung in Katzenmedizin abgeschlossen. Man beschließt, noch etwas trinken zu gehen, bevor jeder wieder nach Hause in seine Praxis zurückkehrt. Und wie immer bei solchen Gelegenheiten unterhält man sich über Medizin, Chirurgie, schwierige Patientenbesitzer, Beschwerden, Beanstandungen und darüber, wie undankbar es sein kann, eine Praxis zu führen.
Dann läutet das Notfallhandy von Marias Praxis. Es meldet sich ein sehr verärgerter Kunde, dessen Katze am Samstagmorgen von einem Kollegen untersucht worden war. Der Zustand der Katze hatte sich verschlechtert, und sie musste am frühen Sonntagmorgen in einer tierärztlichen Notfallklinik vorgestellt werden. Ohne wirklich zu wissen, worum es geht, beobachten Marias Kollegen die Situation mit großem Erstaunen. Sie sehen, wie sich Maria mit konzentrierter Aufmerksamkeit anhört, was der Kunde zu sagen hat, wie sie um Erlaubnis bittet, sich Notizen zu machen, um sicherzustellen, dass sie alles gut versteht und keine Details übersieht, wie sie Fragen stellt, um klarzustellen, was sie versteht, wie sie alles zusammenfasst, was sie verstanden hat und wie sie schließlich noch einmal fragt, ob sie den Grund für die Beschwerden wirklich verstanden hat.
Schließlich hören die Kollegen, wie Maria einen Termin für die Katze am nächsten Tag vereinbart und sich für das Gespräch bedankt.
Vor Marias innerem Auge tauchen jetzt Bilder aus der Vergangenheit auf, wie die Geister aus einer Zeit, die sie längst hinter sich gelassen hat. So viele Fehler, so viel vermeidbare Unannehmlichkeiten im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern. So viele Situationen wie die an diesem Morgen, die so schlecht geendet und ihr den ganzen Tag verdorben hatten. Sie lächelte, und ihr wurde klar, wie viele Dinge sie inzwischen über Kommunikation gelernt hat und wie diese Kenntnisse ihre Lebensqualität verbessert haben.
Einige Beispiele:
• Aktiv zuhören, vollständig fokussiert bleiben, auf das, was der Kunde sagt. Nicht nur versuchen zu verstehen, was mit dem Tier passiert ist, sondern auch, was der Besitzer empfindet.
• Nicht unterbrechen.
• Weitere Fragen stellen, um sicher zu sein, dass man alles richtig versteht.
• Sensibilisiert sein für die Emotionen des Kunden, auf dessen Gesten und Körpersprache achten.
• Zweifel aufklären mit Hilfe von Fotos, Zeichnungen und jeder Art von Hilfsmittel, die das Verständnis des Kunden und seines Anliegen erleichtern können.
• Anerkennen, wenn man etwas nicht weiß.
• Aufrichtig entschuldigen.
• „Nein“ sagen mit einem Lächeln, wenn man Grenzen setzt in Anbetracht überzogener Forderungen des Kunden.
• Einwände des Kunden als dessen Wunsch nach mehr Information betrachten, und nicht als Beschwerden.
Und dies ist lediglich die Spitze des Eisberges. Wichtig war, dass Maria niemals zuvor einen solchen inneren Frieden empfunden und derartig gesunde und aufrichtige Beziehungen zu Kunden und Kollegen gepflegt hatte.
Für Maria war das eine lange, aber unglaublich produktive Reise durch die Wildnis. Sie hatte in erheblichem Maße gelitten, bevor sie lernte, effektiv mit ihren Kunden zu kommunizieren. Maria drückt das ganz gern so aus: „Wenn sie uns das nur schon im Studium beigebracht hätten…“.
Maria wandte sich ihren Kollegen zu und beantwortete deren Fragen offen und ehrlich:
„Ihr wollt also wissen, was mit mir passiert ist? Natürlich seid ihr überrascht. Ich weiß, dass ich in der Vergangenheit einen eher kurzen Geduldsfaden hatte, wenn Kunden besonders fordernd waren oder den Nutzen meiner Empfehlungen anzweifelten. Und dann ist Folgendes passiert: Vor einiger Zeit kam mir die Erkenntnis, dass meine tiermedizinischen Fähigkeiten nicht ausreichen, um meinen Patienten das erforderliche Wohlbefinden zu garantieren. Wir können so viel über innere Medizin, Krankheiten, neue chirurgische Techniken, neue Therapien oder neue diagnostische Tests lernen, wie wir wollen, wenn wir nicht in der Lage sind, dieses Wissen richtig zu kommunizieren, wird sich das alles nicht auszahlen und uns letztlich nicht die Zufriedenheit geben, die wir suchen und verdienen. Ich habe gelernt, dass effektive Kommunikation mit meinem Team und unseren Kunden zu den KLINISCHEN SKILLS gehört (Abbildung 1).
Einer ihrer Kollegen, recht überrascht und aufgeregt, sagt:
„Maria, das klingt ja alles ganz toll, ergibt für mich aber keinen Sinn. Schließlich kommen wir ja gerade aus einer Fortbildung über Katzenmedizin, und das hier Gelernte wird uns sicher helfen, bestimmte Krankheiten bei unseren Patienten zu verhindern oder besser zu behandeln… Alles ist letztlich Medizin, Maria! Das ist ganz einfach, Du musst in die Praxis gehen, einem Protokoll folgen und voilà! Alles wird gut“.
Maria hört aufmerksam zu ohne zu unterbrechen und antwortet: „ Ich stimme Dir natürlich zu, dass wir aus dieser Fortbildung vieles mitnehmen, aber eine erfolgreiche Umsetzung eines neuen medizinischen Protokolls in unserer Praxis verlangt ganz andere Skills. Zunächst zusammen mit unserem Praxisteam: Wir müssen wissen, wie wir das hier Gelernte im Rahmen eines Meetings vorstellen, die Dinge diskutieren, und die Mitarbeiter dazu bringen, das Neue anzunehmen und zu schätzen. Und dann natürlich auch zusammen mit unseren Kunden: Die Tierhalter müssen uns vertrauen, unsere neuen Empfehlungen akzeptieren und bereit sein, in diese zu investieren.“
Die anderen Kollegen waren erstaunt über Art und Inhalt dieser Kommunikation und sagten: „Maria, Du hast einige wahre Dinge gesagt, und dies auf eine sehr ruhige, abgeklärte Weise. Und Du bringst uns zum Nachdenken darüber, wie wir diese Dinge zurzeit in unserer Praxis handhaben.
Maria dankt ihren Kollegen für ihre Kommentare und sagt, dass sie ja lediglich ihre Standpunkte darlegten, und dass dies kein Kampf oder Wettbewerb sei. Sie untermauert schließlich ihre Ansicht, indem sie berichtet, dass sie in der Vergangenheit nach dem Besuch mehrerer Fortbildungen und Kongresse immer hoch motiviert zurück in ihre Praxis kam und dann aber einige Dinge erkennen musste:
• Ihre Kollegen in der Praxis fanden oft, dass Neues nicht praktisch anwendbar ist – ohne es ausprobiert zu haben.
• Ihre Mitarbeiter sagten zwar, dass sie neue Leitungen oder neue Behandlungen gut finden, es haperte jedoch an der praktischen Umsetzung, und die Ergebnisse waren am Ende schlecht.
• Wenn Kollegen einem Tierhalter die neue Leistung oder Behandlung erläuterten, gab es Missverständnisse und Verwirrung. Sie lernten so auf die harte Weise, dass die Art und Weise „wie wir Dinge sagen“, Übung und Wiederholung erfordert, um besser zu erkennen, „was der Kunde wahrnimmt und versteht.“
• Wenn die neuen medizinischen Empfehlungen mit teureren Leistungen oder teureren Produkten verknüpft waren, fühlten sich meine Kollegen damit unwohl und sagten, dass es ihnen schwer falle, mit den Einwänden der Kunden bezüglich der hohen Preise umzugehen.
• Tierhalter beschwerten sich bei mir, dass die Praxis ihr Tier als „Versuchskaninchen für neue, fremdartige und teure Methoden“ verwendet.
• Ich wurde sehr frustriert und entmutigt, und bekam das Gefühl, dass der Besuch von Fortbildungen und Kongressen keinen Sinn hat, da wir als Team nicht in der Lage waren, den Tierhaltern die Vorteile unserer neuen Empfehlungen erfolgreich zu vermitteln. Um Missverständnisse zu vermeiden, stellte mein Team sämtliche Bemühungen ein, mit neuen Kunden zu kommunizieren.
• Vielen Tierärzten gelang es nicht, das Vertrauen von Kunden zu gewinnen, und zwar nicht aufgrund eines Mangels an technischem Wissen, sondern weil sie nicht wussten, wie man zuhört und etwaige Zweifel auf Seiten des Kunden beseitigt.
• Ich wurde es leid zu hören, dass Kunden unserer Praxis lieber zu mir kommen möchten, weil ich ihnen „die Dinge besser erkläre, als meine Kollegen“.
• Und wie viele Dinge mehr könnte ich hier nennen…
Maria fuhr fort: „ Die Wahrheit ist, dass ich einen Schlüssel entdeckt habe, der mich zu guten Lösungen führte. Ganz entscheidend war das Erlernen von Fertigkeiten, also „Skills“ für eine effektive Kommunikation mit meinen Kunden und mit meinen Mitarbeitern. Und darüber hinaus erkannte ich, dass diese Skills in allen Bereichen des Lebens nützlich sind. Ich erkannte zudem, dass ich auch auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität meiner Mitarbeiter achten muss, und mir darüber im Klaren sein sollte, wie mein persönliches Befinden auch meine Haltung bei der Arbeit und die Art und Weise meiner Kommunikation beeinflusst und dabei meine Leistung entweder behindert oder fördert und somit nicht zuletzt auch meine Freude an dem, was ich tue beeinflusst, und meine Liebe zu meinem Beruf (Abbildung 2).
Nur selten haben unsere Kunden ausreichendes medizinisches Wissen, um unsere tierärztliche Leistung richtig beurteilen zu können. Genau so ergeht es uns, wenn wir zu einem Zahnarzt, einem Rechtsanwalt oder einem Architekten gehen. Die Art und Weise wie wir kommunizieren ist es, die Vertrauen und Sicherheit generiert und darüber hinaus ein Gefühl von Respekt und Interesse. Wir leben heute in Zeiten des „High Tech – High Touch“ 1.
Noch nie in der Geschichte der Tiermedizin standen uns derartig hoch entwickelte Spitzentechnologien zur Verfügung. Um das Optimum aus diesen Möglichkeiten herauszuholen, müssen wir aber auch in der Lage sein, untereinander und mit unseren Kunden auf einem ähnlich hohen Spitzenniveau zu kommunizieren.
Diese Sonderausgabe des Veterinary Focus unterstützt Sie dabei, Wege zu einer „High Touch“-Kommunikation auf Spitzenniveau zu finden. Wir helfen Ihnen, diese essenziellen klinischen Skills zu entwickeln, um das Optimum aus der „High Tech“ herauszuholen: Effektive Kommunikation mit Ihren Kunden.
Leeds D. Berkley Books 2000, Smart Questions, page 1.
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