Einleitung
Katzen zeigen gelegentlich Verhaltensweisen, die Besitzer als schwer verständlich empfinden und mit denen sie nicht richtig umgehen können. Probleme im Bereich des Verhaltens können grundsätzlich in jedem Stadium der Entwicklung auftreten und weitreichende Folgen für einen Katzenwelpen haben, insbesondere, wenn es darum geht, dass die kleine Katze ihre neue Rolle als Haustier und als Teil der Familie finden soll. Es ist daher wichtig, die verschiedenen felinen Entwicklungsphasen zu verstehen, damit wir Katzenwelpen dabei unterstützen können, zu großartigen adulten Katzen und guten Gefährten des Menschen heranzuwachsen. Das Verhalten wird durch mehrere Faktoren determiniert, wie zum Beispiel die genetische Prädisposition der Katze und der Genotyp des Vaters und der Mutter. Eine Rolle spielt aber auch das, was die Katze aus ihren frühen Erfahrungen (gut, schlecht und neutral) gelernt hat. Und schließlich haben auch die Umwelt, in der sich die Katze zum jeweiligen Zeitpunkt ihrer Entwicklung wiederfindet, und die Epigenetik einen Einfluss auf das Verhalten.
Aus all diesen Gründen müssen wir als Tierärzte wissen, was zu tun ist, um Katzenwelpen beim Heranwachsen zu wohlerzogenen adulten Katzen zu unterstützen, und dies beginnt bereits beim Züchter. Die Entscheidung, welche Kätzin mit welchem Kater gepaart wird, und zu welchem Zeitpunkt, ist dabei nur ein Aspekt, der einen Einfluss darauf hat, was die Zukunft bringen könnte. Wichtig sind in diesem Zusammenhang unter anderem auch das Verständnis und das Wissen darüber, wie die Katze vor, während und nach der Trächtigkeit zu versorgen ist, wie man die Entwicklung von Resilienz bei Katzenwelpen unterstützt, und wie man Katzenwelpen bis zu dem Zeitpunkt aufzieht, an dem sie von ihren neuen Besitzern übernommen werden. Als Tierärzte sollten wir bereit und in der Lage sein, unsere züchtenden Kunden über alle diese Aspekte fachkompetent zu beraten. Genauso wichtig ist es aber, frisch gebackene Besitzer eines Katzenwelpen darüber aufzuklären, wie sie am besten für die körperliche und mentale Gesundheit der kleinen Katze sorgen können, da beide Faktoren wichtig sind, wenn aus Katzen gute Gefährten des Menschen werden sollen. Realistische Erwartungen hinsichtlich dessen, was ein Katzenwelpe kann und zu jedem gegebenen Zeitpunkt seiner Entwicklung können sollte, fördern zudem die Schaffung einer starken Bindung zwischen der Katze und ihrem Halter.
Die Entwicklung eines Katzenwelpen von einem vollständig abhängigen Neugeborenen mit eingeschränkter Fähigkeit, Stimuli wahrzunehmen und zu beantworten, zu einem unabhängigen Wesen mit vollständig ausgebildeter Physiologie, das in der Lage ist, für sich selbst zu jagen und mit Mitgliedern seiner eigenen Spezies – und anderer Spezies – zu interagieren, erfolgt sehr schnell innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes. Dennoch handelt es sich dabei um einen sehr komplexen und heiklen Prozess, der von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Bei Katzen werden mehrere unterschiedliche Entwicklungsphasen identifiziert: die pränatale Phase, die neonatale Phase, die Übergangsphase, die Sozialisationsphase, die juvenile Phase, die adulte Phase und die Seniorenphase, und letztlich haben alle diese Phasen auch einen Einfluss auf das Verhalten der Katze (Tabelle 1).
Während der Katzenwelpe heranwächst, müssen sich sämtliche Körpersysteme wie das muskuloskelettale und das neurologische System, aber auch die psychologische (emotionale) Seite der Dinge in der richtigen Abfolge entwickeln, wenn sich die kleine Katze neurotypisch (d. h. „normal“) entwickeln soll. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Sozialisationsphase gelegt, da Katzenwelpen in dieser Zeit abgesetzt werden, möglicherweise in ein neues Zuhause kommen oder auch bereits kastriert werden. In dieser sehr sensiblen Phase ihrer Entwicklung können Katzen also zahlreichen Stressbelastungen ausgesetzt sein. Die Sozialisationsphase ist aber nicht die einzige Periode, die berücksichtigt werden muss. Anzumerken ist ferner, dass die einzelnen Entwicklungsperioden nicht streng definiert sind und individuell variieren können – gelegentlich verwenden verschiedene Autoren unterschiedliche Zeitrahmen für die einzelnen Phasen.
Tabelle 1. Lebensstadien einer Katze und approximative Altersspannen.
Pränatale Phase
Die pränatale Phase erstreckt sich von der Konzeption bis zur Geburt nach gewöhnlich 63 Tagen und spielt eine größere Rolle für die zukünftigen Charakteristika eines Katzenwelpen, als man allgemein vermuten könnte. Die unterschiedlichen Phasen der embryonalen Entwicklung, die mit der Befruchtung einer Eizelle beginnt und weitergeht mit der Implantation in der inneren Auskleidung des Uterus (etwa zwei Wochen nach der Befruchtung), sind von erheblichen Veränderungen geprägt. Da Katzen multipar sind, wiederholt sich dieser Prozess mit mehreren Zygoten bzw. Morulae, die von Paarungen mit verschiedenen Katern stammen können. Sobald die Trächtigkeit etabliert ist, hat das uterine Milieu weitreichende Auswirkungen auf das zukünftige Verhalten und die Entwicklung des individuellen Katzenwelpen. So zeigt die Forschung zum Beispiel, dass Katzenwelpen von Mutterkatzen, die während der späten Trächtigkeit und über die Laktation proteinarm ernährt werden, emotionaler sind, sich häufiger aktiv bewegen und häufiger vokalisieren als Welpen von Mutterkatzen, die im entsprechenden Zeitraum eine ausgewogene und vollwertige Nahrung erhalten hatten 1. Zudem verloren diese Welpen proteinarm ernährter Mutterkatzen ihr Gleichgewicht häufiger und hatten eine schwache soziale Bindung sowie weniger Interaktionen mit der Mutterkatze. In einer anderen Studie, in der Mutterkatzen zur Deckung der Hälfte ihres Ernährungsbedarfes gefüttert wurden, zeigten die Welpen Wachstumsdefizite in einigen Hirnregionen (z. B. Cerebrum, Cerebellum und Hirnstamm) 2. Diese Hirnareale initiieren und koordinieren Bewegung und Aktionen, und entsprechende Entwicklungsverzögerungen wurden in zahlreichen Bereichen festgestellt wie Saugen, Öffnen der Augen, Kriechen, Körperhaltung, Laufen, Rennen, Spielen und Klettern. Über den Einfluss der Ernährung auf die Epigenetik muss allerdings noch weiter geforscht werden. Das feline Mikrobiom ist ein ebenfalls zunehmend im Fokus der Forschung stehendes Gebiet, und bislang werden Auswirkungen der Mikroorganismen im Körper auf die Entwicklung von Katzenwelpen noch nicht vollumfänglich verstanden.
Neonatale Phase
Die neonatale Phase beginnt mit der Geburt und endet im Alter von etwa zwei Wochen. Einige Autoren sind jedoch der Auffassung, dass diese Phase nur sieben Tage andauert. Da aber das Säugen und der Kot-/Harnabsatz (perineale Stimulation erforderlich) während der ersten beiden Lebenswochen durch die Mutterkatze initiiert werden, ist es wahrscheinlich, dass die neonatale Phase tatsächlich bis zum 14. Lebenstag andauert. Adäquates maternales Verhalten ist daher eine ganz wesentliche Voraussetzung für eine gesunde Welpenentwicklung (Abbildung 1). Da Katzenwelpen blind und praktisch taub geboren werden, mit eingeschränkter Fähigkeit, sich aktiv zu bewegen und ihre Körpertemperatur zu regulieren, hängt ihr Überleben in dieser Phase vollständig von der Mutter ab.
Nahrungsaufnahme und Schlafen sind die Hauptaktivitäten von Katzenwelpen in diesem Stadium, und in der ersten Lebenswoche verbringen sie im Durchschnitt etwa vier Stunden mit dem Saugen. Da Katzenwelpen mit geschlossenen Augen (zahlreiche visuelle Reflexe wie der Blinzelreflex können jedoch bereits vor der Geburt vorhanden sein) 3 und schlechtem Hörvermögen geboren werden, sind sie anfangs abhängig von ihrem Geruchs- und Tastsinn sowie ihrer Fähigkeit, Wärme zu detektieren. Da neugeborene Katzenwelpen nicht in der Lage sind, ihre Körpertemperatur zu regulieren, ist die Fähigkeit zur Detektion eines Temperaturgradienten wichtig für das Überleben, während das Aufsuchen der Zitzen mit Hilfe des Geruchssinnes erfolgt. Katzenwelpen vokalisieren im Allgemeinen nicht besonders viel, sie schnurren aber beim Saugen und schreien als Reaktion auf körperliche Beschwerden. Da Katzenwelpen neurologisch unreif geboren werden, findet aktive Bewegung nach der Geburt nur in eingeschränktem Maße statt, und ihre Gliedmaßen sind vor Erreichen eines Alters von etwa zwei Wochen nicht ausreichend kräftig, um das Körpergewicht zu tragen. Katzenwelpen sind jedoch in der Lage, ihre Position zu korrigieren, wenn sie auf den Rücken gedreht werden, da sich diese Fähigkeit zum Aufrichten bereits vor der Geburt entwickelt.