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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 32.1 Kommunikation

Die Herausforderungen des tierärztlichen Berufes

veröffentlicht 06/07/2022

Geschrieben von Cara McNeill und Ewan McNeill

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Português , Español , English und ภาษาไทย

Die Welt stellt täglich neue Herausforderungen an den tierärztlichen Berufsstand, und es kann hilfreich sein, unsere individuellen Erfahrungen mit unseren Kollegen zu teilen, wo auch immer diese sein mögen – und durch das Verständnis der Herausforderungen, mit denen andere Stakeholder konfrontiert werden, können wir uns gegenseitig unterstützen.

Credit: Shutterstock

Die verschiedenen Interessenvertreter und ihre Verbindungen zu Tierhaltern

Kernaussagen

Der tierärztliche Berufsstand ist Teil eines Ökosystems rund um die Tierhaltung, das aus zahlreichen verschiedenen Interessensvertretern besteht, die alle unterschiedliche Einstellungen, Ziele und Sorgen haben.


Je besser wir die unterschiedlichen Beziehungen zwischen den Interessenvertretern in diesem Ökosystem verstehen, desto erfolgreicher können wir zusammenarbeiten – zum Nutzen aller.


Das Arbeiten in der Praxis führt unvermeidlich zu Spannungen oder „Schmerzpunkten“ für die meisten Tierärzte; diese Schmerzpunkte sind für Tierärzte weltweit bemerkenswert ähnlich.


Diese Herausforderungen zu erkennen und zu verstehen ist der erste Schritt, um sie erfolgreich zu meistern; wichtig ist aber auch, die Spannungen und Sorgen der anderen Interessensvertreter zu erkennen.


Einleitung

Die Welt, in der wir leben, verändert sich in schnellem Takt, angetrieben durch zahlreiche verschiedene Faktoren, Technologien und Studien. Auch in unserem eigenen kleinen Mikrokosmos können wir uns diesen Veränderungen nicht entziehen. Die zentrale Herausforderung für Tierärzte – nämlich der Wunsch, dafür zu sorgen, dass Tiere so gesund und so glücklich wie möglich leben können – hat sich seit den Anfängen unseres Berufes zwar nicht geändert, das Leben eines Tierarztes war aber selbst vor 20 Jahren aus vielerlei Gründen nicht dasselbe wie das Leben eines Tierarztes im Jetzt und Heute. Und auch wenn die Tierärzte von heute ohne Zweifel sehr viel mehr wissen über die von ihnen behandelten Tiere und sehr viel besser gerüstet sind für den Kampf gegen Krankheiten als jede Generation zuvor, so kann nicht bestritten werden, dass viele von uns die tägliche Arbeitslast als sehr stressig empfinden. Einige von uns bewältigen diese Belastungen besser als andere, aber die hohe Berufsabbrecherquote und die negativen Auswirkungen auf die mentale Gesundheit vieler Tierärzte sollten als warnender Hinweis darauf verstanden werden, dass das Tierarztsein im 21. Jahrhundert einerseits zwar sehr viel Spaß und Befriedigung geben kann, andererseits aber auch mit Belastungen verknüpft ist.

Royal Canin hat kürzlich eine umfangreiche internationale Untersuchung in Auftrag gegeben, um einen tieferen Einblick in die Welt der Hunde und Katzen zu bekommen. Eines der genauer betrachteten Themenfelder der Studie waren die Probleme und Sorgen – gelegentlich auch als „Schmerzpunkte“ bezeichnet – die von den unterschiedlichen Interessenvertretern im Bereich Kleintiere empfunden werden. Dieser kurze Artikel beleuchtet einige der Schlüsselbefunde, die für die tierärztliche Seite der Dinge relevant sind, und zeigt positive Wege nach vorn.

Cara McNeill

Wir müssen anerkennen, dass unsere Kunden ihre eigenen Sorgen und Herausforderungen haben, die nur selten deckungsgleich mit denen von uns Tierärzten sind und sich oft von dem unterscheiden, was wir als tiermedizinische Profis erwarten würden.

Cara McNeill

Das Tierhalter-„Netz“

Das gesamte „Ökosystem“ oder der Marktsektor rund um Kleintiere umfasst zahlreiche Interessenvertreter, von denen einige auf den ersten Blick deutlicher im Vordergrund stehen als andere. Das Epizentrum ist natürlich der Tierhalter selbst (meist ein Individuum, ein Paar oder eine Familie), der aber innerhalb des Kleintierkosmos mit zahlreichen weiteren Parteien verbunden ist, und in diesem Netzwerk nicht selten auch mit Interessenskonflikten konfrontiert wird. Ein Interessenvertreter oder neudeutsch „Stakeholder“ kann definiert werden als „eine Person oder Organisation, die ein berechtigtes Interesse an etwas hat, zum Beispiel an einem Business“. Dieses Interesse kann finanzieller, gesetzlicher oder emotionaler Natur sein, nicht selten handelt es sich aber auch um eine Kombination aller dieser Faktoren. Die Gruppe der Interessenvertreter rund um den Tierhalter besteht also nicht nur aus Tierärzten, sondern auch aus Züchtern, Tierheimen, dem Einzelhandel und Herstellern (einschließlich Zoohandlungen, Tiernahrungshersteller und Hersteller von Zubehör), diversen Dienstleistern (z. B. Hundefrisöre, Hundesitter), Zuchtverbänden und – in geringerem Ausmaß – Behörden (Abbildung 1).

Die verschiedenen Interessenvertreter und ihre Verbindungen zu Tierhaltern

Abbildung 1. Die verschiedenen Interessenvertreter und ihre Verbindungen zu Tierhaltern. Ein typischer Tierhalter interagiert früher oder später zu verschiedenen Zeitpunkten des Lebens seines Tieres mit allen diesen Playern und hat unterschiedlich geprägte Beziehungen zu jedem von ihnen.
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Jeder von uns neigt dazu, seinen ganz eigenen, individuellen Blick auf die Welt zu haben. Meist stellen wir uns dabei selbst ins Zentrum, und sehen alles andere um uns herum kreisen. Problematisch ist, dass es aus dieser Position heraus sehr schwierig sein kann, die Welt auch vom Standpunkt einer anderen Person zu betrachten. Jeder Interessenvertreter hat nämlich seine ganz eigene Perspektive und Motivation. Da Interessenvertreter aber immer auch mit anderen Individuen und Organisationen interagieren, können Spannungen oder „Schmerzpunkte“ in diesen Beziehungen deutlich werden. Ein Weg, um dieser Problematik entgegenzuwirken, ist das Konzept der „Economics of Mutuality“ also der „Ökonomie der Gegenseitigkeit“. Da sämtliche Interessenvertreter innerhalb eines Sektors auf die eine oder andere Weise untereinander in Verbindung sind, sollten wir als Bestandteil dieses Kosmos stets danach streben, die Einstellungen, Ziele und Sorgen aller anderen Parteien besser zu verstehen. Wenn wir dann in der Lage sind, die in solchen komplexen Beziehungen nahezu unvermeidlich entstehenden Spannungen abzubauen, wird dies letztlich für alle Beteiligten von Vorteil sein.

Das Tierhalter-Ökosystem haben wir oben bereits kurz angesprochen. Jeder Interessenvertreter in diesem Netzwerk wird aber wiederum sein ganz eigenes individuelles Ökosystem haben, wiederum mit anderen Playern, die wiederum andere Ziele, Sorgen und Ansprüche haben. In der Welt der Tierärzte besteht die relevante Gruppe von Interessenvertretern also nicht nur aus unseren Kunden und deren Tieren, sondern auch den Herstellern von Pharmazeutika und Praxisequipment, diagnostischen Laboren, Fortbildungsanbietern und tierärztlichem Hilfspersonal (TFAs und andere Praxismitarbeiter) (Abbildung 2). Die verschiedenen Beziehungen und Interaktionen zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen werden dann wiederum ihre ganz eigenen Konflikte und Probleme generieren.

Die verschiedenen Interessenvertreter aus der Tierarzt-zentrierten Sicht

Abbildung 2. Die verschiedenen Interessenvertreter aus der Tierarzt-zentrierten Sicht.
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Ergebnisse der Untersuchung

Die Studie verfolgte einen sehr facettenreichen, mehrdimensionalen Ansatz. Der interessante Teil für unsere Perspektive als Tierärzte ist jedoch insbesondere die sehr detaillierte Untersuchung der tierärztlichen Welt und unserer Beziehungen zu Tieren und deren Besitzern. Ziel war es, nicht nur die zentralen Schmerzpunkte der verschiedenen Interessenvertreter zu identifizieren, sondern darüber hinaus auch die so herausgearbeiteten Probleme im Detail zu analysieren und zu quantifizieren und auf diese Weise Individuen und Organisationen dabei zu unterstützen, diese Herausforderungen rational anzugehen und entsprechende adaptive Strategien für deren Bewältigung aufzuzeigen. Beteiligt waren insgesamt 250 Tierärzte aus verschiedenen Ländern: USA, Frankreich, China, Thailand, Schweden und Polen. Die Analyse der Ergebnisse zeigt unmittelbar, dass Tierärzte weltweit häufig ganz ähnlichen Spannungen und Stressoren ausgesetzt sind. Diese Schmerzpunkte können grob in drei Hauptgruppen unterteilt werden – Wissen und persönliche Gesundheit, Finanzen und Beziehungen. Die Hauptsorgen innerhalb dieser jeweiligen Kategorien sind folgende:

  • In der Kategorie „Wissen und Gesundheit“ geben viele Tierärzte lästige administrative Tätigkeiten als ein Hauptproblem an. Insbesondere werden die umfassende Büroarbeit und viele der unerlässlichen Managementaufgaben in der Praxis als sehr belastend genannt. Ein weiterer Hauptfaktor ist der emotionale Tribut, den die tägliche Arbeit fordert, zum Beispiel im Zusammenhang mit schwierigen Operationen oder im Umgang mit dem Tod von Tieren. Darüber hinaus geben viele Befragte an, dass sie das Gefühl haben, „in Isolation“ zu arbeiten, d. h. ohne wesentliche Unterstützung von ihrem Team oder ihren Vorgesetzten – und dass sie im Allgemeinen einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sind, die dazu führt, dass sie sehr viele Stunden in der Praxis verbringen.
  • Was die finanziellen Aspekte betrifft, sind viele der befragten Tierärzte der Meinung, dass sie als Angestellte schlecht bezahlt sind, insbesondere, wenn sie die Höhe ihres Einkommens ins Verhältnis zu dem langen und schwierigen Studium setzen. Als weitere Faktoren wurden der unfaire Online-Wettbewerb um tierärztliche Leistungen und Produkte genannt, wobei viele Befragte anmerkten, dass die Preise von Internethändlern viel zu niedrig sind. Ein weiteres Hauptproblem ist, dass sich nicht wenige Tierärzte gestresst fühlen, wenn Kunden empfohlene Behandlungen aus Kostengründen ablehnen. Zum Teil liegt dies wahrscheinlich daran, dass Tierhalter die tierärztlichen Gebühren generell als sehr hoch empfinden und dabei gern vergessen, dass das humane Gesundheitssystem eines Landes entweder über Steuern oder über Krankenkassen finanziert wird, und dass es Vergleichbares im Bereich Kleintiere nicht gibt.
  • In der Kategorie der Schmerzpunkte im Bereich der Beziehungen erwähnen viele befragte Tierärzte, dass ihre Interaktionen mit den Kunden allzu oft zu zahlreichen Problemen führen. Tierärzte wollen in erster Linie Tiere behandeln, und nicht primär mit Menschen umgehen, und Tierhalter ignorieren oft die Anweisungen und Empfehlungen des Tierarztes. Alles andere als hilfreich ist in diesem Zusammenhang die stetige Zunahme zahlreicher, von so genannten „Experten“ lancierten Webseiten und Plattformen in sozialen Medien, auf denen jeder Hinz und Kunz seine Meinung kundtun kann, sei sie auch noch so falsch. So kommt es vor, dass Besitzer die Praxis betreten und bereits vollumfänglich informiert (oder desinformiert) über die Erkrankung ihres Tieres sind. Dies kann von Tierärzten durchaus als Angriff auf ihre Autorität und ihren Status empfunden werden. Für viele Tierärzte sind solche Situationen nicht nur deshalb stressig, weil sie der Meinung sind, die Kunden sollten ihnen mehr Respekt entgegenbringen. Ein weiterer Aspekt ist nämlich die Sorge, dass viele Besitzer gar nicht zu wissen scheinen, auf welche Weise sie ihr Tier versorgen müssen oder wie sie grundlegende Fehler bei der Versorgung und Haltung von Tieren vermeiden können.
Ewan McNeill

Mehr als 40 % aller Tierärzte sagen, dass administrative Tätigkeiten ihr Hauptproblem darstellen, und 20-40 % nennen verschiedene andere Gründe einschließlich Arbeitsbelastung, Stress, ein niedriges Einkommen und die Zahlungsbereitschaft der Kunden.

Ewan McNeill

Anschließend wurden die verschiedenen Herausforderungen quantifiziert, indem die Befragten aufgefordert wurden, die zwei für sie persönlich wichtigsten Probleme zu nennen (Abbildung 3). Mehr als 40 % der befragten Tierärzte sagten, dass die administrativen Tätigkeiten in der Praxis ihr Hauptproblem darstellten, und 20-40 % nannten verschiedene andere Gründe als Hauptursachen für Spannungen im Job. Dazu gehörten die Arbeitsbelastung insgesamt und der allgemeine Stresslevel, ein niedriges Einkommen, die geringe Bereitschaft der Kunden, für erbrachte Leistungen zu zahlen und eine insgesamt unbefriedigende Beziehung zu Tierbesitzern – oft verknüpft mit einer schlechten Compliance der tierärztlichen Anweisungen und Empfehlungen. Weniger als 20 % der befragten Tierärzte nannten als Hauptprobleme die Beziehungen zu anderen Interessenvertretern (z. B. zu Mitarbeitern am Arbeitsplatz oder zu Züchtern), die Stressbelastung im Zusammenhang mit Euthanasie oder Sorgen um ihre eigene Sicherheit. Große Übereinstimmung unter den Befragten herrschte darüber, dass der tägliche Umgang mit Tierbesitzern nicht selten einer Tortur gleicht, auch wenn dieser Aspekt sicher nicht von allen Teilnehmern als Schmerzpunkt Nummer 1 genannt wurde.

Zusammengefasst können wir also feststellen, dass unser Berufsstand eine gemeinsame Passion für das Wohl der Tiere teilt, aber die Herausforderung, dies in der Praxis auch erfolgreich umzusetzen, zu erheblichen Spannungen für den einzelnen Mitarbeiter und das gesamte Praxisteam führen kann. Tierärzte neigen nicht selten dazu, selbstzentriert und statusfokussiert zu sein, und viele von uns sind nur eingeschränkt kunden- und serviceorientiert – um ein Unternehmen zu leiten und mit Menschen umzugehen müssen wir aber sehr oft unsere Komfortzone verlassen. Und viele von uns sehen das digitale Zeitalter als eine Bedrohung und nicht etwa als Chance. Eine Schlussfolgerung aus der Studie lautet, dass wir als Tierärzte allzu oft dazu neigen, angespannte, unvollkommene Beziehungen mit vielen Interessenvertretern unseres beruflichen Umfeldes zu pflegen.

Die wichtigsten Schmerzpunkte, die Tierärzte bei ihren Interaktionen mit Kunden empfinden

Abbildung 3. Die wichtigsten Schmerzpunkte, die Tierärzte bei ihren Interaktionen mit Kunden empfinden (Daten einer Umfrage von Royal Canin). 
(Kategorien; rosafarben = Finanzen; grau = Wissen und Gesundheit; weiß = Beziehungen)

Der Tierhalter

Bevor wir nun weitergehen, erscheint es sinnvoll, auch die wichtigsten in der Studie ermittelten Spannungen und Sorgen der Tierhalter zu betrachten. Denn wir müssen verstehen und anerkennen, dass unsere Kunden ihre ganz eigenen Sorgen und Herausforderungen haben, die nur selten deckungsgleich mit denen von uns Tierärzten sind und sich oft erheblich unterscheiden, von dem, was wir als tiermedizinische Profis erwarten würden (Abbildung 4). Befragt wurden insgesamt 800 Tierhalter, und es kristallisierten sich verschiedene gemeinsame Punkte heraus, die in dieselben drei groben Kategorien unterteilt werden können, die auch bei der Befragung der Tierärzte identifiziert wurden. Zumindest einige – wenn auch nicht alle – Sorgen der Tierhalter haben auch einen gewissen Einfluss auf die Schmerzpunkte des tierärztlichen Berufsstandes. Eines der wichtigsten Probleme – für immerhin 50 bis 70 % aller befragten Tierhalter – sind die Kosten, die der Besitz bzw. das Halten eines Kleintieres mit sich bringt (einschließlich der Tierarztkosten). Bezeichnenderweise sagen 16 % der befragten Besitzer, dass sie innerhalb der vergangenen drei Jahre eine schlechte Erfahrung mit einem Tierarzt gemacht haben, und bei mehr als der Hälfte dieser negativen Erfahrungen spielten die Tierarztkosten eine Rolle (Abbildung 5). Weit oben in der Liste der Probleme stehen auch verschiedene Fragen des Lebensstils, wie zum Beispiel das Schuldgefühl eines Besitzers, der sein Tier während der Arbeitszeit allein zu Hause lässt, und nicht zuletzt der allgemeine Aufwand für die Bewältigung der täglichen Routine als Tierhalter.

Weitere in der Studie genannte Ängste bezogen sich unter anderem auf das Thema Urlaub (Reisen mit dem Tier, Aufenthalt in der Tierpension, tiergerechte Unterkunft am Urlaubsort), das von 30 bis 50 % der befragten Tierhalter als problematischer Punkt genannt wurde. Und schließlich wurden potenzielle Schäden durch das Tier oder Beeinträchtigungen anderer Menschen (z. B. Beschwerden von Nachbarn) von 5 bis 20 % der Tierbesitzer als belastende Punkte erwähnt (Abbildung 4).

Die wichtigsten Schmerzpunkte der Tierhalter, quantifiziert nach Kategorie

Abbildung 4. Die wichtigsten Schmerzpunkte der Tierhalter, quantifiziert nach Kategorie. Auch wenn die Kosten des Besitzes eines Kleintieres, einschließlich Tierarztkosten, eine Hauptsorge sind, werden noch zahlreiche weitere Punkte genannt, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Bereich Tiermedizin haben (Daten einer Umfrage von Royal Canin).
(Kategorien; rosafarben = Finanzen; grau = Wissen und Gesundheit; weiß = Beziehungen)

Welche Erkenntnisse können wir nun aus den Ergebnissen dieser Untersuchung ziehen? Auch wenn wir davon ausgehen, dass das Halten von Kleintieren im Allgemeinen als „gut“ für den Menschen gilt, sollten wir vielleicht einmal innehalten und uns vergegenwärtigen, dass der Besitz eines Tieres keineswegs immer unkompliziert ist. Die Ergebnisse dieser Studie weisen uns aber darauf hin, was ein Tierhalter vor, während und nach einem Besuch in unserer Praxis erwarten könnte. So zeigt zum Beispiel die Diskrepanz zwischen dem Gefühl eines Tierarztes, der sein eigenes Einkommen für zu gering erachtet und dem Gefühl eines Tierhalters, der seinen Besuch in der Praxis sehr teuer empfindet, nur allzu deutlich die Notwendigkeit einer Verbesserung der Kommunikation zwischen diesen beiden Parteien.

Interessant ist, dass die Untersuchung auch einige positive Aspekte herausgefunden hat, die uns als Tierärzten durchaus Mut machen sollten. So haben immerhin 94 % der befragten Besitzer Vertrauen in ihren Tierarzt, und 92 % zeigen sich zufrieden mit den in der tierärztlichen Praxis angebotenen Leistungen und Services. Auch wenn einige Tierhalter sagen, dass sie Tierärzte als anmaßend und überheblich empfinden, so betrachten sie uns insgesamt doch als fachlich kompetent, und sind zudem der Meinung, dass unser Berufsstand in der heutigen Gesellschaft durchaus einen gewissen Status und ein hohes Ansehen hat.

16 % der Tierhalter hatten eine schlechte Erfahrung mit einem Tierarzt innerhalb der letzten drei Jahre; 51 % dieser schlechten Erfahrungen hatten einen Zusammenhang mit den Tierarztkosten

Abbildung 5. 16 % der Tierhalter hatten eine schlechte Erfahrung mit einem Tierarzt innerhalb der letzten drei Jahre; 51 % dieser schlechten Erfahrungen hatten einen Zusammenhang mit den Tierarztkosten (Daten einer Umfrage von Royal Canin). 

Der Weg nach vorn

Oft wird angemerkt, dass Studierenden der Tiermedizin in der Universität jede Menge Wissenschaft beigebracht wird, sie aber andere wichtige Kompetenzen und Fähigkeiten in sehr viel geringeren Maße vermittelt bekommen, die letztlich unerlässlich sind, um im Praxisalltag zu bestehen. Auch wenn im Zentrum einer Praxis zweifellos die Behandlung von Tieren steht, ist auch der optimale Umgang mit Besitzern eine ganz wesentliche Voraussetzung für das Tierwohl und die Linderung der von Tierärzten empfundenen Spannungen im Berufsalltag. Die Kunst der guten Kommunikation sollte aus diesen Gründen eigentlich ein Kernbestandteil eines jeden Lehrplans im Tiermedizinstudium sein. Aber auch wir „alte Hasen“, die wir bereits täglich in der Praxis arbeiten, sollten unsere Kommunikationstechniken regelmäßig überprüfen und hart daran arbeiten, ihre Qualität aufrechtzuerhalten und stetig weiterzuentwickeln. Frisch approbierte Tierärzte sollten darüber hinaus auch über wirtschaftliche Basiskenntnisse verfügen und ein grundlegendes Verständnis der finanziellen Rahmenbedingungen einer Praxis haben.

Neben den bereits genannten Aspekten sollten Berufstätige in der tierärztlichen Praxis auch in der Lage sein, eine Resilienz, also eine psychische Widerstandskraft, zu entwickeln, um die tägliche Routine zu bewältigen. Ganz praktisch können wir uns gezielt die in der Studie von den befragten Tierärzten als besonders problematisch herausgestellten Themen (Abbildung 6) betrachten, und dann individuelle Strategien entwickeln, um deren Auswirkungen für uns und unser Umfeld abzumildern. Unerlässlich für unser mentales und physisches Wohlbefinden ist es, zu wissen, wie wir Stress effizient abbauen können, insbesondere, wenn wir uns vom Druck unseres Jobs überfordert fühlen. Zudem sollten wir bereit und in der Lage sein, geeignete Hilfe und Unterstützung von außen zu suchen und auch anzunehmen, wenn dies erforderlich ist. Auch wenn unser Berufsstand in den letzten Jahren durchaus gute Fortschritte macht, was entsprechende Angebote zur Unterstützung betroffener Kollegen betrifft, so besteht ohne Zweifel auch weiterhin die Notwendigkeit, diesbezügliche Dienstleistungen stärker zu fördern und weiter zu entwickeln. Eine ausschließlich passive Herangehensweise ist hier jedoch keineswegs ausreichend – wir als Tierärzte sollten auch auf individueller Basis stets aktiv daran arbeiten, eine positive Sicht auf unseren Job zu verinnerlichen, und eine proaktive Strategie für unsere mentale und körperliche Gesundheit verfolgen.

Insbesondere Tiermedizinstudenten und frisch approbierte Tierärzte sollten eindringlich auf den mit dem Job verbundenen potenziellen Stress hingewiesen und ermutigt werden, geeignete Wege zu finden, um die Entwicklung von Schmerzpunkten aktiv zu verhindern, anstatt lediglich passiv abzuwarten, bis diese so weit fortgeschritten sind, dass sie die Arbeitsbelastung beeinflussen und weitreichende Probleme hervorrufen. Erforderlich ist aber in jedem Fall eine ganzheitliche Herangehensweise. Und nicht zuletzt sorgen die interessierte Wahrnehmung und die Anerkennung der Schmerzpunkte der anderen Interessenvertreter in unserem Wirkungsbereich dafür, dass der einzelne Tierarzt sehr viel besser in der Lage sein wird, die Probleme zu verstehen, die zur Entstehung von gegenseitigem Misstrauen, Frustration oder negativen Emotionen führen können.

Letztlich sollten wir also in der Lage sein, uns primär auf die Stärken unseres Jobs zu fokussieren, und uns weniger den Kopf über Dinge zerbrechen, die wir nur wenig oder gar nicht beeinflussen können. So wird zum Beispiel der Online-Verkauf von Kleintierprodukten sehr wahrscheinlich nie zu unserer Haupteinnahmequelle werden, und wir sollten deshalb nicht allzu viel Zeit damit verbringen, mit Händlern im Internet konkurrieren zu wollen, die im Zweifel sehr viel größere finanzielle Mittel und Ressourcen besitzen, um umfangreiche Webseiten zu betreiben. Ernsthaft entgegentreten können wir den selbst ernannten Online-Experten letztlich nur über das Anbieten fundierter tierärztlicher Leistungen und eines hervorragenden Preis-Leistungsverhältnisses für unsere Kunden. Dabei müssen wir uns auf unsere individuellen Stärken fokussieren und selbstbewusst das betonen, worin wir gut sind. Auf diese Weise wird es uns gelingen, nachhaltige Bindungen zwischen Tierhaltern und unserer Praxis zu knüpfen und dadurch die Zukunft der individuellen Mitarbeiter der Praxis sowie des gesamten wirtschaftlichen Unternehmens Tierarztpraxis zu sichern.

Das Balkendiagramm zeigt die wichtigsten Schmerzpunkte für Tierärzte in dieser Untersuchung

Abbildung 6. Das Balkendiagramm zeigt die wichtigsten Schmerzpunkte für Tierärzte in dieser Untersuchung. Genannt wurden jeweils die Top-Zwei-Probleme – 53 % aller Befragten sagten, dass administrative Aufgaben entweder die Nummer 1 oder die Nummer 2 ihrer Sorgen sind. Diese Klassifikation kann uns zeigen, welche Schmerzpunkte die größten Auswirkungen auf unser tägliches Leben haben, und kann uns helfen, Wege zu finden, wie wir diese minimieren oder uns anpassen können (Daten einer Umfrage von Royal Canin). 

Schlussfolgerung

Wenn es uns gelingt, die von Tierärzten wahrgenommenen Schmerzpunkte zu lindern, werden wir belohnt durch ein besseres Arbeitsmilieu, zufriedenere Mitarbeiter und eine bessere Kommunikation mit den anderen Interessenvertretern unseres beruflichen Ökosystems, insbesondere mit den Tierhaltern. Man sagt: „die Welt, die wir morgen haben möchten, beginnt damit, wie wir heute wirtschaften“, und nicht zuletzt deshalb sollten wir uns stets an das Konzept der „Economics of Mutuality“ erinnern. Denn wenn wir uns untereinander besser verstehen, profitieren letztlich alle davon. Gelingt dies, sollte eine bessere Welt für unsere Kleintiere entstehen – ein gemeinsames Ziel, das alle im Kleintierbereich tätigen Menschen weltweit teilen.

Die Autoren danken Yassine El Ouarzazi von EoM Solutions für seine Beratung bei der Vorbereitung dieses Artikels. 

Cara McNeill

Cara McNeill

Nach Abschluss ihrer Secondary School Education sammelte Cara McNeill über 15 Monate zahlreiche Erfahrungen – z. B. als Tierarzthelferin in einer erstbehandelnden Kleintierpraxis und in einem Schäfereibetrieb Mehr lesen

Ewan McNeill

Ewan McNeill

Dr. McNeill erwarb seinen Abschluss in Veterinärmedizin an der Universität Glasgow und verbrachte fünf Jahre in einer Gemischtpraxis, bevor er sich auf die Kleintiermedizin konzentrierte. Mehr lesen

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