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Veterinary Focus

Ausgabe nummer 34.1 Sonstiges Wissenschaft

Juckreiz bei Hunden: Ursachen und Behandlung

veröffentlicht 19/04/2024

Geschrieben von Frédéric Sauvé

Auch verfügbar auf Français , Italiano , Español und English

Genau zu verstehen, warum sich ein Tier kratzt, ist der erste Schritt auf dem Weg zur erfolgreichen Behandlung von Juckreiz, wie uns dieser Artikel erläutert. 

Bull Terrier

Kernaussagen

Bei Patienten mit Juckreiz muss zunächst mit Hilfe einer systematischen Vorgehensweise versucht werden, die wichtigsten potenziellen Ursachen zu bestätigen oder auszuschließen. 


Die Pathophysiologie des Juckreizes variiert je nach zugrundeliegender Erkrankung. Juckreiz wird durch unterschiedliche Mediatoren vermittelt, und dies kann teilweise das fehlende Ansprechen auf bestimmte Antipruritika erklären. 


Mehrere unterschiedliche therapeutische Strategien können zur Kontrolle von Juckreiz eingesetzt werden, keine davon ist aber in sämtlichen Fällen wirksam.


Das beste Antipruritikum ist das, welches die Ätiologie der Erkrankung behandelt, falls eine Remission möglich ist, oder das, welches die geringsten Nebenwirkungen verursacht.


Einleitung – Was ist Juckreiz?

Juckreiz oder Pruritus wird definiert als „eine Missempfindung, die einen Reflex auslöst, der sich bei Tieren in Form von Kratzen, Beißen oder Saugen, Reiben an Objekten oder übermäßigem Belecken manifestieren kann“ 1,2. In einigen Fällen können die klinischen Symptome des Pruritus sehr subtiler Natur sein und lediglich Haarausfall umfassen (selbstinduzierte Alopezie), es können aber auch klinisch manifeste Effloreszenzen entstehen 3. Mit seinem juckreizbedingten Verhalten schützt sich das Tier gegen externe Reize, zum Beispiel durch Insekten, chemische Substanzen oder giftige Pflanzen 1,2,4). Juckreiz kann aber auch zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität des Tieres und seiner Besitzer führen, insbesondere, wenn es sich um einen chronischen Zustand handelt 5.

Pruritus gehört zu den häufigsten Beschwerden in der Kleintierdermatologie 2. In der Humanmedizin erfolgt die Klassifizierung von Juckreiz nach seinem Typ (akut, chronisch, neuropathisch, prurizeptiv oder psychogen) oder nach seinem klinischen Erscheinungsbild (dermatologisch, systemisch, neurologisch, psychogen, gemischt oder andere) 1,6,7. Bei Tieren gibt es eine solche klar definierte Kategorisierung von Pruritus nicht, beschrieben werden aber dermatologische (Abbildung 1), psychogene (Abbildung 2) und neuropathische (Abbildung 3) Ätiologien 2,3. In der Tiermedizin besteht bei Juckreiz meist ein Zusammenhang mit einer dermatologischen Ätiologie, wobei die diesbezüglichen Empfindungen betroffener Tiere naturgemäß nicht genau definiert werden können 3. Besser beschrieben sind verschiedene Empfindungen im Zusammenhang mit Juckreiz in der Tat beim Menschen, wie zum Beispiel Brennen, Kribbeln, Stechen oder Taubheit 1. Bei einem Tier könnten entsprechende Empfindungen zu Kratzen oder Beißen führen 3.

Alopezie an den Ohrmuscheln eines Hundes mit Sarcoptes-Räude

Abbildung 1. Selbst-induzierte Alopezie im Bereich der Ohrmuscheln eines Hundes mit Sarcoptes-Räude (dermatologische Erkrankung).
© Frédéric Sauvé

Die nach außen hin erkennbaren Juckreizsymptome sind das physiologische Ergebnis einer motorischen Reaktion, die durch Stimulation des Thalamus hervorgerufen wird. Die Aktivierung des Thalamus ist abhängig von den stimulierten Neuronen, die entweder histaminerg oder nicht-histaminerg sein können 1,2,8. Obwohl zahlreiche verschiedene Mediatoren an Pruritus beteiligt sind, gibt es zwei vorherrschende neurophysiologische Pathways, die das Pruritussignal von der Haut zum Thalamus leiten. Zum einen handelt es sich um einen histaminstimulierten Signalweg, an dem primäre Afferenzen beteiligt sind, die nicht auf mechanische Stimuli reagieren, und zum zweiten um einen histaminunabhängigen Pathway, der durch die Aktivierung kutaner Nozizeptoren induziert wird 1,2,9. In der Haut sind so genannte Prurizeptoren vorhanden, es ist aber nicht klar, ob sich diese Rezeptoren tatsächlich von Nozizeptoren unterscheiden 9,10.

Wenn eine reizende Substanz eine plötzliche (akute) Hautreaktion hervorruft, werden Prurizeptoren aktiviert, und sorgen dafür, dass lokale Zellen eine Vielzahl von pruritogenen Substanzen freisetzen. Bei den Hautzellen, die diese Juckreiz auslösenden Substanzen wie Histamin, Zytokine, Proteasen und Chemokine am effektivsten freisetzen, handelt es sich um Keratinozyten, Mastzellen und basophile Granulozyten. Das Schlüsselmolekül im Zusammenhang mit akutem Juckreiz ist das Histamin, das an H1- und H4-Rezeptoren an freien histaminergen Nervenendigungen bindet 2,7,8. Wenn der durch einen entsprechenden Trigger ausgelöste Juckreiz und die daraus resultierende Entzündung den „Aggressor“ erfolgreich supprimieren, sollte der Juckreiz nicht länger als wenige Tage anhalten 7.

Ausschlag in der Leistengegend eines Dobermanns

Abbildung 2. Ausschlag in der Leistengegend und an der linken Flanke eines Dobermanns nach wiederholtem Saugen an diesen Körperstellen (psychogene Störung).
© Frédéric Sauvé

Chronischer Pruritus wird im Unterschied zu akutem Pruritus in der Regel durch nicht-histaminerge chemische oder mechanische Stimuli ausgelöst, die zum Beispiel durch eine systemische Erkrankung oder eine Hauterkrankung verursacht werden. Zugrunde liegt hier eine ganze Reihe komplexer Vorgänge, die zu einer konstanten Freisetzung von pruritogenen Mediatoren führen 1,4. Eine chronische Exposition gegenüber pruritogenen Substanzen kann potenziell zu einer peripheren oder sogar zentralen Sensibilisierung führen 1,8. Definiert wird dieses Phänomen der Sensibilisierung als eine erhöhte Sensibilität gegenüber niedrig-pruriginösen oder nicht-pruriginösen Stimuli 1, ist aber weder bei Hunden noch bei Katzen gut beschrieben. Dennoch könnte eine periphere oder zentrale Sensibilisierung nach chronischer Exposition gegenüber Entzündungsmediatoren durchaus von Bedeutung sein, da sie die Juckreizschwelle verändern könnte, insbesondere im Zusammenhang mit Allergien. Auf peripherer Ebene kann dieser Schwellenwert für Juckreiz durch verschiedene Mechanismen verändert werden, wie zum Beispiel eine intraepidermale Zunahme von Prurizeptoren oder eine Zunahme der Anzahl von Mastzellen 1,8,9,10,11. Auf zentraler Ebene könnte anhaltender Juckreiz die Übertragung des Juckreiz-Signals entlang des Rückenmarks und des spinothalamischen Traktes modifizieren und die Funktionen und Strukturen des Gehirns verändern 8,10,11.

Dieser kurze Überblick über die Pathophysiologie des Juckreizes soll helfen zu verstehen, warum viele Tiere bei chronischem Juckreiz, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Allergie, nicht auf Antihistaminika ansprechen oder warum in einigen Fällen die kombinierte Verabreichung mehrerer Antipruritika erforderlich ist.

Selbst-induziert Wunde an einer Hundekralle

Abbildung 3. Akrales Mutilationssyndrom bei einem Épagneul Français. Die Matrix der Kralle ist freigelegt, und auf der dorsalen Oberfläche der Zehe befindet sich ein ausgedehnter Bereich mit Alopezie. Diese Wunden sind selbst-induziert (neuropathische Störung).
© Frédéric Sauvé

Allgemeine Vorgehensweise bei Juckreiz 

Wenn ein Patient mit Juckreiz zur Untersuchung vorgestellt wird, sollte der erste Schritt die Erhebung eines vollständigen Vorberichts sein, unterstützt durch einen dermatologischen Standardfragebogen (Abbildung 4). Wichtig sind zudem Informationen über andere Körper- und Organsysteme, denn wenn ein Hund beispielsweise eine Gliedmaße übermäßig beleckt, könnte dies ein Hinweis auf Schmerzen sein, die möglicherweise auf eine primär zugrundeliegende Osteoarthritis zurückzuführen sind, und weniger auf Juckreiz. Die unterstützende Anwendung einer visuellen Analogskala1 (Abbildung 5), mit deren Hilfe Besitzer den Grad des Juckreizes bei ihrem Tier bewerten, indem sie diesen auf einer linienförmigen Skala markieren, kann sowohl bei der Erstuntersuchung als auch bei nachfolgenden Kontrolluntersuchungen sehr hilfreich sein. Weitere Hintergrundinformationen, wie zum Beispiel das Alter des Patienten bei erstmaligem Auftreten der klinischen Symptome und die Rassezugehörigkeit, können die Diagnose in einigen Fällen zusätzlich stützen. So ist zum Beispiel laterales Phantomkratzen im Halsbereich bei einem Cavalier King Charles Spaniel stark verdächtig für eine primäre sekretorische Otitis media, die häufig mit einer Syringomyelie einhergeht 12. In ähnlicher Weise kann das Saugen an den Flanken bei einem jungen Dobermann auf eine zugrundeliegende Verhaltensstörung hindeuten 3,13.

1 https://www.cavd.ca/images/CAVD_ITCH_SCALE.pdf

Bestimmung des Schweregrads des Juckreizes

Abbildung 5. Die visuelle Analogskala dient der Messung der Juckreizintensität. Der Besitzer markiert den Punkt auf der Skala, an dem er den aktuell vorhandenen Juckreiz seines Tieres verortet. Zum Beispiel: 2 = sehr leichter Juckreiz, 6 = regelmäßige Phasen mit mäßigem Juckreiz, 10 = extrem starker/fast ständiger Juckreiz.

Der zweite Schritt bei der klinischen Beurteilung eines Juckreizpatienten ist die Identifizierung jeglicher vorhandener Effloreszenzen und die Untersuchung ihrer Lokalisation und Verteilung am Körper. So könnten beispielsweise lumbosakrale Effloreszenzen auf eine Flohallergiedermatitis (FAD) hindeuten, während Juckreiz im ventralen Bereich und im Gesicht auf eine atopische Dermatitis hinweisen kann (Abbildung 6) 14.

Ventrale Erytheme bei einem Bull Terrier

Abbildung 6. Atopische Dermatitis bei einem Bull Terrier. Generalisiertes Erythem insbesondere in den ventralen Körperregionen, einschließlich Nase und Kinn. Zu beachten ist die Lichenifikation in den Achselhöhlen und am Abdomen, die an einigen Stellen mit gelblichen Krusten einhergeht – ein Befund, der die Chronizität dieser Dermatitis widerspiegelt. Diese Lokalisationen sind klassischerweise bei Hunden mit atopischer Dermatitis betroffen.
© Frédéric Sauvé

Sobald die klinisch-dermatologische Untersuchung abgeschlossen ist, sollten zunächst gezielt die häufigsten potenziellen Ursachen ausgeschlossen werden. Dazu gehören Hautinfektionen (bakteriell und mykotisch), Ektoparasitenbefall und kutane Überempfindlichkeit in Verbindung mit Futtermittel- oder Umweltallergenen 14,15. Dieses differenzialdiagnostische Ausschlussverfahren erfordert ein systematisches Vorgehen durch eine Reihe von logischen Schritten, mit deren Hilfe zunächst eine Hautinfektion oder ein Parasitenbefall bestätigt oder ausgeschlossen werden, bevor man sich dann mit Futtermittelunverträglichkeiten und Umweltallergien befasst. Wenn Pusteln, Collarettes oder verkrustete, erodierte oder ulzerierte Effloreszenzen vorhanden sind, ist eine einfache zytologische Untersuchung (Abbildung 7) unerlässlich. Mittels Zytologie kann eine bakterielle (z. B. Staphylokokken) oder mykotische (z. B. Malassezia, Candida) Infektion oder Überwucherung nachgewiesen werden, die entweder den Juckreiz verursacht oder zumindest als ein beitragender Faktor fungiert 2,14,15. Liegt ein Erythem vor, wird unabhängig davon, ob auch Papeln, Alopezie, Komedonen oder verkrustete oder schuppende Effloreszenzen vorhanden sind, eine Suche nach Ektoparasiten empfohlen mit Hilfe von Hautgeschabseln, einem Flohkamm, einem Tesafilm-Abklatsch oder einem Abstrich in Öl (für die Ohren) 2,14,15. Gelegentlich bleibt diese Suche nach Parasiten erfolglos, und die einzige Möglichkeit, die hypothetische Diagnose einer Ektoparasitose zu bestätigen oder auszuschließen, besteht dann in einer Versuchsbehandlung mit einem Breitspektrum-Antiparasitikum 14.

 

Abbildung 7. Verschiedene Entnahmetechniken für die zytologische Untersuchung ((a) Tupfer; (b) Abklatsch; (c) Klebestreifen). Die Wahl der Technik richtet sich nach der Art der Effloreszenz (Krusten, Ulzera, Fisteln usw.). Ziel ist es, ein Maximum an zytologischen Befunden zu erhalten.
© Frédéric Sauvé

Technik der zytologischen Untersuchung: Tupfer

a

Technik der zytologischen Untersuchung: Abklatsch

b

Technik der zytologischen Untersuchung: Klebestreifen

c

Weitere potenziell hilfreiche diagnostische Maßnahmen sind die Anwendung einer UV-Lampe (Woods), eine Pilzkultur oder eine Polymerase-Kettenreaktion (PCR) für den Nachweis von Dermatophyten sowie eine Bakterienkultur und Hautbiopsien 2,15. Hautbiopsien sind für die ätiologische Diagnose einer pruriginösen Hauterkrankung allerdings nur selten hilfreich und sollten atypischen klinischen Fällen vorbehalten bleiben oder wenn Patienten nicht auf antimikrobielle oder antiparasitäre Behandlungen ansprechen und eine kutane Überempfindlichkeit nicht nachzuweisen ist. Empfohlen werden Biopsien insbesondere bei Hauterkrankungen mit Verdacht auf eine ursächlich zugrundeliegende Autoimmunerkrankung (z. B. Pemphigus foliaceus) (Abbildung 8) oder einen kausalen Tumor (z. B. ein kutanes epitheliotropes Lymphom) 2,15.

Sobald Hautinfektionen und Parasitenbefall differenzialdiagnostisch abgeklärt bzw. ausgeschlossen sind, kann mit Hilfe einer achtwöchigen Eliminationsdiät untersucht werden, ob eine kutane Überempfindlichkeit vorliegt, also eine kutane Reaktion bei einer Futtermittelunverträglichkeit. Für die Eliminationsdiät verwendet man im Idealfall eine spezielle kommerzielle „Veterinary Diet“, die hydrolysierte Proteine enthält (idealerweise auch aus einer für das Tier neuen Quelle). Alternativ kann auch eine Diätnahrung mit einer für den Patienten neuen, also zuvor noch nie gefütterten Proteinquelle verwendet werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass zahlreiche Kreuzreaktionen zwischen verschiedenen tierischen Proteinquellen nachgewiesen sind. Ein Allergietest (intrakutan oder serologisch) sollte erst der letzte Schritt im Untersuchungsprozess sein, wenn der Juckreiz auch trotz adäquater Eliminationsdiät persistiert. Zu beachten ist, dass die Diagnose einer atopischen Dermatitis letztlich aber auf Hintergrundinformationen, dem Vorbericht und einem mit Überempfindlichkeit kompatiblen klinischen Bild beruht, nachdem Infektionen, ein Parasitenbefall und Futtermittelunverträglichkeiten ausgeschlossen werden konnten. Allergietests dienen lediglich dazu, potenzielle Umweltallergene zu identifizieren, um dann eine spezifische Allergen-Immuntherapie (AIT) einzuleiten 14,15.

Krustige Läsionen, typisch für Pemphigus foliaceus

Abbildung 8. (a) Die Verteilung der krustösen Effloreszenzen bei diesem Akita ist typisch für Pemphigus foliaceus. Zu beachten sind die Beteiligung der Nase mit Depigmentierung, Erosionen und Ulzera sowie Krusten auf ihrer dorsalen Seite. Ein Nachweis von akantholytischen Keratinozyten zusammen mit neutrophilen Granulozyten (b) bei der zytologischen Untersuchung von Material unter den Krusten deutet zwar auf Pemphigus foliaceus hin, die endgültige Diagnose wird jedoch mittels histopathologischer Untersuchung gestellt.
© Frédéric Sauvé

Das Management von Juckreiz: allgemeine Konzepte

Die Hauptursachen von Pruritus lassen sich in vier große Kategorien einteilen: Parasiten, entzündliche Hauterkrankungen (Infektionskrankheiten, Reizstoffe und Autoimmunerkrankungen oder immunvermittelte Erkrankungen), Allergien und Neuropathien/Neoplasien 2,15. Diese Kategorien schließen sich gegenseitig nicht aus, und es ist möglich, dass Pruritus durch verschiedene Erkrankungen aus mehreren dieser Kategorien gleichzeitig verursacht wird. Der beste Weg zur Kontrolle von Pruritus besteht im Allgemeinen in der vollständigen Eliminierung des kausalen Agens aus der Umwelt des Patienten. Im Fall eines ursächlichen Reizstoffes kann bereits dessen erfolgreiche Identifizierung und Eliminierung eine Remission herbeiführen (z. B. Kontakt mit einer giftigen Pflanze oder chemischen Substanz, Fremdkörper, kürzlich erfolgte Anwendung eines Shampoos, eines Sonnenschutzmittels, eines Insektizidsprays oder -pulvers, eines Flohhalsbandes usw.). Und bei einem Patienten mit einer nachgewiesenen Hautinfektion oder einem bestätigten Parasitenbefall werden antimikrobielle Arzneimittel bzw. Antiparasitika die beste juckreizstillende Behandlung sein. Liegt eine Hautallergie zugrunde, wie zum Beispiel eine Flohstichallergie, eine atopische Dermatitis oder eine Futtermittelunverträglichkeit, führt die strikte Vermeidung des auslösenden Allergens – wenn dies möglich ist – zur Remission 16. Eine aggressive Flohbekämpfung bei einer Flohallergie-Dermatitis oder die strikte Kontrolle der Ernährung im Falle einer Futtermittelunverträglichkeit können dazu beitragen, Juckreiz zu kontrollieren, wenn aber Umweltallergene ursächlich beteiligt sind, ist eine wirksame Vermeidung oder Eliminierung nur selten möglich. In diesen Fällen sollten andere, langfristige Strategien implementiert werden, wie zum Beispiel eine Allergen-Immuntherapie (AIT), die Anwendung steroidaler oder nicht-steroidaler Antipruritika und biologische Therapien 16. Zu den möglichen Ursachen von Hautallergien gehören auch die Arzneimittelüberempfindlichkeit und das allergische Kontaktekzem. In diesen Fällen sollte das Absetzen des auslösenden Arzneimittels oder die Entfernung der verantwortlichen Substanzen oder Gegenstände zu einem Sistieren des Juckreizes führen. Bei Verdacht auf psychogene oder neurogene Erkrankungen stehen an erster Stelle Verhaltenstherapien, zum Beispiel mit trizyklischen Antidepressiva oder selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern 2,8), oder Behandlungen, die auf periphere oder zentrale neurologische Signalwege abzielen (z. B. mit Gabapentin oder Pregabalin) 2,8,9.

Frédéric Sauvé

Hautbiopsien sind für die ätiologische Diagnose einer pruriginösen Hauterkrankung nur selten hilfreich; sie sollten atypischen klinischen Fällen vorbehalten bleiben oder wenn der Patient nicht auf antimikrobielle oder antiparasitäre Behandlungen anspricht und eine kutane Überempfindlichkeit nicht nachzuweisen ist.

Frédéric Sauvé

Antipruriginöse Therapie

Akuter Juckreiz

Antipruritika können kurzfristig hilfreich sein, um die akuten juckreizbedingten Beschwerden eines Tieres schnell zu lindern, während parallel versucht wird, das kausale Agens zu identifizieren und zu bekämpfen oder zu eliminieren. Am wirksamsten in diesen akuten Fällen ist oft eine Behandlung mit topischen oder systemischen Glukokortikoiden (in entzündungshemmender Dosis) aufgrund ihrer starken entzündungshemmenden Wirkung und ihres schnellen Wirkungseintritts. Da Glukokortikoide auf verschiedene Aspekte der Entzündungskaskade und der Juckreiz-Signalwege wirken, sind sie bei entsprechend umsichtiger Anwendung insbesondere in Fällen entzündlicher pruriginöser Dermatosen gut wirksam 2,16,17,18. Allerdings haben sowohl topische als auch systemische Glukokortikoide zahlreiche potenzielle Nebenwirkungen (Tabelle 1), insbesondere bei längerer Anwendungsdauer (Abbildung 9).

Tabelle 1. Nebenwirkungen bei systemischer und topischer Behandlung mit Glukokortikoiden.

System Nebenwirkungen
Integumentäres System
  • Hautatrophie
  • Alopezie
  • Komedonen
  • Prominente dermale Blutgefäße
  • Phlebektasie
  • Purpura
  • Subepidermale Blasen
  • Hypopigmentierung
  • Verzögerte Wundheilung
  • Bakterielle Pyodermie
  • Demodex-Räude
  • Kutane Kalzinose
  • Schuppenbildung
Herz-Kreislauf-System/Stoffwechselsystem
  • Hypertonie
  • Hecheln
  • Hyperlipidämie
  • Glukoseintoleranz
  • Hepatomegalie 
  • Umverteilung von Fetten, Adipositas
  • Polyphagie
  • Polyurie, Polydipsie
Endokrines System
  • Infertilität, Anöstrus, Hodenatrophie
  • Fehlgeburt
  • Verzögertes Wachstum
  • Nebennierenatrophie
  • Iatrogener Hyperadrenokortizismus 
  • Veränderung der Schilddrüsenhormone
Gastrointestinales System
  • Gastrointestinale Ulzera
  • Magenblutungen 
  • Darmperforation
Muskuloskelettales System
  • Osteoporose
  • Atrophie, Muskelschwäche 
  • Abdominale Erweiterung
  • Leistungsintoleranz
  • Bänderschwäche
Andere
  • Immunsuppression
  • Verhaltensänderungen (Reizbarkeit, Aggression, Lethargie)
  • Glaukom, Katarakt
  • Periphere Neuropathie
Calcinosis cutis und Komedonen: Nebenwirkungen nach Verabreichung von Glukokortikoiden

Abbildung 9. Kutane Nebenwirkungen nach längerer oraler Behandlung mit Glukokortikoiden bei einem Hund mit atopischer Dermatitis. Zu beachten sind die Calcinosis cutis und die Komedonen im Bereich der Vulva sowie die kutane Faltenbildung am Abdomen, die auf eine dünne, hypotone Haut hinweist.
© Frédéric Sauvé

Chronischer Juckreiz

Eine universelle Lösung, mit deren Hilfe alle Arten von Juckreiz wirksam bekämpft werden können, gibt es nicht. Die meisten veröffentlichten Studien zur Evaluierung antipruriginöser Behandlungen konzentrieren sich auf allergische Dermatitiden und untersuchen in diesem Zusammenhang unterschiedliche therapeutische Targets. Zu den Zytokinen, die bei Hunden mit atopischer Dermatitis Juckreiz auslösen können, gehören IL-4, IL-13, IL-31 und IL-33 sowie das Thymus-Stroma- Lymphopoietin (TSLP) 1,7,16,19. Letzteres wird mit einer immunologischen Reaktion vom Typ 2 (T-Helfer-Lymphozyten vom Typ 2) in Verbindung gebracht, während bei Katzen, die diesbezüglich weniger detailliert untersucht wurden, Histamin, IL-4 und IL-31 als potenzielle Mediatoren von Pruritus in Frage kommen 16,20).

Bei chronischem Juckreiz infolge einer Allergie können topische Behandlungen mit Glukokortikoiden und Tacrolimus 0,1 % zwar wirksam sein, ihre Applikation unterliegt jedoch häufig praktischen Einschränkungen aufgrund des Haarkleides, der Größe der zu behandelnden Areale und (häufiger bei Katzen) des patienteneigenen Körper- und Fellpflegeverhaltens 2,18,21. Insbesondere in Fällen von chronischem und generalisiertem Pruritus werden deshalb in der Regel systemische Behandlungen bevorzugt. Die am häufigsten angewendeten systemischen Antipruritika sind Glukokortikoide, Oclacitinib, Cyclosporin und Lokivetmab (Tabelle 2).  

Tabelle 2. Systemische Antipruritika zur Behandlung von Juckreiz bei Hunden, insbesondere bei kutaner Überempfindlichkeit.

Behandlung Dosierung
Predniso(lo)n/
Methylprednisolon
0,5 mg/kg oral alle 24 Std., bis der Juckreiz unter Kontrolle ist; die Applikationshäufigkeit und dann die Höhe der Dosis sollten schrittweise reduziert werden, bis die ideale Dosis/Häufigkeit zur Aufrechterhaltung des Wohlbefindens gefunden ist.
Oclacitinib 0,4-0,6 mg/kg oral alle 12 Std. über 14 Tage, dann alle 24 Std. Bei gering- bis mittelgradigem Juckreiz kann mit einem Dosisintervall alle 24 Std. begonnen werden. 
Cyclosporine 5 mg/kg oral alle 24 Std. über 4 bis 6 Wochen. Danach kann die Dosis und/oder die Applikationshäufigkeit gelegentlich reduziert werden. Die Verabreichung von gefrorenen Kapseln oder einer gekühlten oralen Lösung unterstützt die Reduzierung gastrointestinaler Nebenwirkungen.
Lokivetmab 1-2 mg/kg SC alle 4 Wochen oder nach Bedarf. 

 

Glukokortikoide

Prednison und Methylprednisolon sind nach wie vor die bei Juckreiz am häufigsten zum Einsatz kommenden oralen Glukokortikoide. Diese Arzneimittelklasse bietet einen kostengünstigen und wirksamen Weg zur Behandlung akuter Juckreizschübe, eignet sich aber auch zur Kontrolle chronischer pruriginöser Dermatosen, solange die Dosis und die Applikationshäufigkeit entsprechend niedrig gehalten werden können 2,17,19. Langzeitwirksame Injektionspräparate sollten aufgrund ihrer Nebenwirkungen vermieden werden.

Oclacitinib

Oclacitinib ist aufgrund seines schnellen Wirkungseintritts (Plasma-Peak wird innerhalb von 1 Stunde erreicht) das Mittel der Wahl für die Behandlung von sowohl akutem als auch chronischem Pruritus bei Hunden im Alter von über 12 Monaten. Seine hemmende Wirkung auf den JAK-STAT-Pathway interferiert mit der Aktivität wichtiger pruritogener Zytokine, einschließlich IL-4, IL-13 und insbesondere IL-31 21.

Cyclosporin

Cyclosporin hemmt Calcineurin in CD4+ T-Lymphozyten, wodurch die Freisetzung potenziell proinflammatorischer oder pruritogener Zytokine verändert wird. Orales Cyclosporin ist insbesondere angezeigt zur Kontrolle allergischer Dermatitiden, da es verschiedene Aspekte der Immunantwort beeinflusst (Reduzierung der Synthese von IL-2 und IL-4, Veränderung der Anzahl der Mastzellen und ihres Histamingehalts, Veränderung des Überlebens und der Funktion eosinophiler Granulozyten und Reduzierung von IL-31 im Serum) 22,23. Cyclosporin muss jedoch über eine Dauer von mindestens vier Wochen verabreicht werden, um bei Hunden einen Rückgang von Juckreiz feststellen zu können, und eignet sich daher eher für die Behandlung chronischer pruriginöser Erkrankungen 2,17

Lokivetmab

Lokivetmab gehört zur Kategorie biologische Therapie und ist ausschließlich für die Anwendung bei Hunden indiziert. Es handelt sich um einen „caninisierten“ monoklonalen Antikörper, der auf zirkulierendes IL-31 abzielt und dieses pruritrogene Zytokin neutralisiert. Diese hochwirksame antipruriginöse Therapie kommt insbesondere bei atopischer Dermatitis zum Einsatz, weil sie auf einer wichtigen Entdeckung basiert: der entscheidenden Rolle von IL-31 als Vermittler von Juckreiz bei Hunden mit atopischer Dermatitis 21,24. Lokivetmab ist sehr sicher, und Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder begleitenden Erkrankungen sind nicht bekannt. Anwendungsgebiete für eine Behandlung mit Lokivetmab sind akuter oder chronischer Juckreiz (da die Wirkung in weniger als 3 Tagen eintritt) 21.

Antihistaminika

Aus den oben genannten Gründen sind die vorteilhaften Wirkungen von Antihistaminika im Zusammenhang mit Pruritus eher bescheiden. Bestenfalls können Antihistaminika zur Behandlung von Fällen mit geringgradigem Juckreiz als gelegentliche oder regelmäßige Behandlung eingesetzt werden, sobald eine akute Juckreizepisode unter Kontrolle gebracht ist 2,17. Außerdem müssen oft verschiedene Antihistaminika getestet werden, um das bei einem individuellen Patienten wirksame Präparat herauszufinden.

Weitere Wirkstoffe

Amitriptylin ist ein trizyklisches Antidepressivum mit antihistaminergen Eigenschaften. Studien zeigen, dass Amitriptylin den Juckreiz bei etwa 32 % der Hunde zumindest teilweise kontrolliert 25. Untersucht wurden darüber hinaus zahlreiche weitere Wirkstoffe (z. B. Misoprostol, Arofyllin, Pentoxifyllin und Azathioprin), die Ergebnisse deuten aber nicht darauf hin, dass diese bei der Behandlung von Juckreiz besonders wirksam sind 2

Schlussfolgerung

Der Schlüssel zur erfolgreichen Behandlung eines Hundes mit Juckreiz liegt in einer systematischen Vorgehensweise, die es ermöglicht, die verschiedenen potenziellen Ursachen des Juckreizes nacheinander zu eliminieren. Eine gute Kommunikation mit den Besitzern und die Verwendung informativer Hilfsmittel wie Diagramme, Algorithmen oder Informationsblätter tragen dazu bei, dass die Tierhalter in diesen komplexen Prozess einbezogen werden und sämtliche zu befolgenden Schritte verstehen. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen mit Beurteilung der Juckreizintensität sind wichtig, um eine möglichst genaue Diagnose und eine individuell angepasste Therapie zu gewährleisten. Chronische pruriginöse Dermatosen können zu einer erheblichen Belastung für die psychische und physische Gesundheit der betroffenen Tiere, aber auch ihrer Besitzer werden, und ein besseres Verständnis der Pathogenese dieser Erkrankungen und der vielfältigen Mediatoren von Juckreiz trägt dazu bei, dass wir die verfügbaren Therapieoptionen effizienter und wirksamer einsetzen. Gelingt dies, können Besitzer sicher sein, dass ihre Tiere eine höhere Lebensqualität genießen. 

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Frédéric Sauvé

Frédéric Sauvé

Nach seinem Abschluss an der Université de Montréal in Kanada im Jahr 1996 errang Dr. Sauvé einen Master’s Degree in Science Mehr lesen

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Ausgabe nummer 34.1 veröffentlicht 05/04/2024

Sebadenitis bei Hunden

Was ist Sebadenitis? Vielen praktischen Tierärzten und Tierärztinnen ist diese Erkrankung bei Hunden weitgehend unbekannt. Dieser Artikel beschreibt alles, was Sie wissen müssen.

von Elad Perry