Impfkonzepte neu überdacht – Das Impfdesign
Weltweit gibt es zahlreiche kommerzielle Impfstoffe, die auf eine Vielzahl verschiedener Infektionserreger bei Katzen abzielen. Die AAHA/AAFP Feline Vaccination Task Force (2020) unterteilt Impfstoffe gegen diese Erreger in „Core“-Impfstoffe (Kernimpfstoffe) und „Non-Core“ -Impfstoffe (Nicht-Kernimpfstoffe), auf der Basis des relativen Risikos, sowie der Impfstoffwirksamkeit und -sicherheit (Tabelle 1). Impfstoffe werden unter Anwendung einer Vielfalt unterschiedlicher Konzepte designt, wie zum Beispiel inaktivierte Impfstoffe (Totimpfstoffe), modifizierte Lebendimpfstoffe (attenuierte Impfstoffe) und gentechnisch veränderte rekombinante Subunit-Impfstoffe. Jedes Design basiert auf unterschiedlichen Strategien zur Induzierung von Immunität, wobei die Wahl des Designs von zahlreichen Faktoren abhängig ist wie dem Infektionserreger selbst, der anwendbaren Impfstofftechnologie, der Immunantwort des Wirts und potenziellen Nebenwirkungen. Ein grundlegendes Verständnis dieser Unterschiede und die Kenntnis, welches Design dem im Einzelfall verabreichten Impfstoff zugrunde liegt, sind ganz entscheidende Voraussetzungen, um die Auswirkungen auf den Patienten zu verstehen. Dazu gehören der Typ der Immunität, die Wirksamkeit des Impfstoffes und potenzielle Nebenwirkungen.
Tabelle 1. Impfempfehlungen für Katzenwelpen.
Legende: Ersten Boxen: Kernimpfungen. Letze Box: Nicht-Kernimpfungen; IN: intranasal; SC: Subkutan
*FHV = Felines Herpesvirus, **FPV = Felines Panleukopenievirus, ***FCV = Felines Calicivirus
Totimpfstoffe enthalten inaktivierte Viruspartikel, die nicht in der Lage sind, eine Infektion beim Patienten zu initiieren. Um eine angemessene Stimulation der Immunantwort zu erreichen, müssen diese Impfstoffe oftmals zusätzliche Inhaltsstoffe enthalten, wie zum Beispiel Adjuvanzien. Diese verstärken das Entzündungsgeschehen an der Injektionsstelle, stimulieren den angeborenen Zweig des Immunsystems und triggern die notwendigen Immunantworten. Zu den in Impfstoffen eingesetzten Verbindungen gehören Freund’s komplettes Adjuvans, Aluminiumsalze, Lipide in wasserbasierten Emulsionen, Saponin-basierte Adjuvanzien und Liganden (Oligonukleotide). Die Antwort auf einen Totimpfstoff ist primär antikörperbasierter/humoraler Natur und produziert im Allgemeinen eine im Vergleich zu anderen Technologien schwächere Immunantwort, wobei auch die auf diese Weise generierte Immunität über kürzere Dauer anhält. Wahrscheinlich sind bei Totimpfstoffen auch häufigere Auffrischungsimpfungen erforderlich.
Modifizierte Lebendimpfstoffe (attenuierte Impfstoffe) enthalten Viruspartikel mit teilweise erhaltener Lebensfähigkeit, aber reduzierter Kapazität, Wirtszellen zu infizieren. Diese attenuierte Virusaktivität generiert eine Immunantwort, die den Schutz imitiert, der durch die natürliche Infektion erreicht würde, und umfasst sowohl eine humorale (antikörpervermittelte) als auch eine zellvermittelte Immunität, ohne die Erkrankung zu induzieren. Die Antwort des Immunsystems auf modifizierte Lebendimpfstoffe erfolgt im Allgemeinen schneller als bei Verwendung von Totimpfstoffen. Wenn keine maternalen Antikörper vorhanden sind, kann bereits eine Impfdosis reichen, um einen wirksamen Schutz zu generieren..
Die in der Tiermedizin am häufigsten eingesetzten rekombinanten Impfstoffe enthalten ein Gen oder mehrere Gene, die für ein Protein oder mehrere Proteine des Infektionserregers kodieren. Diese Gene werden in das genetische Material eines Vektorvirus einer nicht verwandten Spezies eingespleisst. So wurde zum Beispiel für die Herstellung eines rekombinanten Tollwutimpfstoffs das Gen für das Tollwutvirusoberflächenantigen in das Kanarienpockenvirus eingespleisst. Der Impfvektor kann die Erkrankung bei der auf diese Weise geimpften Spezies nicht verursachen, er ermöglicht aber die Präsentation eines viralen Zielantigens gegenüber dem Immunsystem des Impflings.
Impfkonzepte neu überdacht – Unerwünschte Ereignisse
In der Tiermedizin sind Impfungen in der täglichen Praxis im Allgemeinen frei von unerwünschten Ereignissen und sind nur mit geringen Risiken behaftet. Wenn das Immunsystem den Impfstoff erkennt und entsprechend reagiert, können jedoch leichte lokale Beschwerden an der Einstichstelle oder geringgradige Allgemeinreaktionen auftreten. Bei dieser normalen Immunantwort kommt es zur Freisetzung von Zytokinen, die die Antwort auf eine natürliche Infektion nachahmen und systemische Allgemeinreaktionen hervorrufen können wie Fieber, Gelenkschmerzen und Unwohlsein. Betroffene Katzenwelpen können in diesen Fällen von einer symptomatischen Behandlung profitieren. Der Begriff „Impfnebenwirkung“ ist für die Beschreibung dieser Form der natürlichen Impfreaktion jedoch nicht geeignet, da er bei Besitzern zu Misstrauen gegenüber Impfstoffen führen kann. Die Aufklärung der Besitzer über antizipierte Impfreaktionen als Ausdruck der erwünschten Auseinandersetzung des Immunsystems mit dem Impfstoff und potenziell damit zusammenhängender Symptome wird dafür sorgen, dass die Besitzer aufmerksamer auf solche Reaktionen achten, so dass eine frühzeitige Behandlung möglich ist. Und nicht zuletzt wird eine entsprechende Aufklärung auch verhindern, dass unnötiges Misstrauen gegenüber dem Impfen entsteht.
Seltener entwickeln Katzen regelrechte Impfnebenwirkungen im Sinne unerwünschter Arzneimittelwirkungen wie lang anhaltendes Fieber, Erbrechen, Diarrhoe und Inappetenz oder Anorexie. Letztere können auf unbehandelte Impfreaktionen (siehe oben) zurückzuführen sein. Schwere akute Reaktionen wie plötzlich einsetzendes Erbrechen, Diarrhoe, Tachykardie, Tachypnoe, Desorientierung und/oder Kollaps beobachtet man bei Katzen dagegen nur selten. Meist treten solche akuten Reaktionen noch vor Verlassen der tierärztlichen Praxis auf, Besitzer sollten aber über die Möglichkeit eines Auftretens solcher schweren Reaktionen aufgeklärt werden, damit der Patient im Fall der Fälle unmittelbar zurückgebracht werden kann, um gegebenenfalls einer entsprechenden Notfallbehandlung unterzogen zu werden.
Impfsarkome oder „Vaccine Injection Site Sarcomas“ (VISS) sind die am häufigsten beschriebene Ursache von felinen Injektionsstellen-assoziierten Sarkomen (FISS) 1. Die Inzidenz ist niedrig und variiert geographisch. Die Entwicklung von FISS ist komplex und wird bislang nur wenig verstanden. Eine entzündliche Komponente an der Injektionsstelle könnte eine ätiologische Rolle spielen, obgleich eine direkte Ursache-Wirkungsbeziehung hier nur schwer definierbar ist. Möglicherweise spielen genetische Mutationen eine Rolle, zum Beispiel in Tumorsuppressorgenen und Onkogenen. Entzündungsfördernde Adjuvanzien in bestimmten Impfstofftypen werden als beitragende Faktoren diskutiert. Kausale Daten lassen jedoch nach wie vor keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu, lediglich einige anekdotische Berichte beschreiben eine niedrigere Inzidenz von Impfsarkomen bei Verwendung nicht-adjuvantierter Impfstoffe. Da es sich bei FISS um hochinvasive Neoplasien handelt, deren chirurgische Exzision sehr schwierig sein kann, sollte jede verdächtige Schwellung oder Zubildung an einer bekannten oder vermuteten Impfinjektionsstelle sehr eng überwacht werden. Das 3-2-1-Protokoll liefert eine Leitlinie über das Vorgehen bei diesen Veränderungen. So sollte eine Keilbiopsie von jeder Reaktion an einer Impfinjektionsstelle genommen werden, die mehr als drei Monate persistiert, größer als 2 cm ist und/oder innerhalb eines Monats nach der Injektion an Größe zunimmt 6. Nicht geeignet sind Exzisionsbiopsien, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Ränder der Zubildung verfehlen, und lokal invasiven FISS damit die Möglichkeit geben, sich weiter auszubreiten, so dass eine weitere Exzision schwieriger wird. Die chirurgische Exzision verlangt eine spezifische Diagnose und eine gut geplante Vorgehensweise, die zwei Faszienebenen umfassen muss. Da wir zum einen die Ätiologie der Impfsarkome noch nicht vollständig verstehen und zum anderen die Notwendigkeit einer aggressiven chirurgischen Behandlung besteht, sollten sämtliche Impfungen bei Katzen distal von Ellbogen oder Knie oder distal am Schwanz erfolgen (Abbildung 1).